Interview mit Elmas Topcu
„Uns geht’s wirklich gut“
Elmas Topcu, Moderatorin und Redakteurin beim WDR spricht im Interview über ihren Lebensweg, Integration in Deutschland und über die Vorreiterrolle des WDR. Ihr Fazit ist kurz und bündig: „Kızlar, uns geht’s wirklich gut.“
Donnerstag, 22.03.2012, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 25.03.2012, 21:04 Uhr Lesedauer: 8 Minuten |
Frau Topcu, fangen wir doch ganz vorne an: Was haben Sie gemacht, ehe sie beim WDR gelandet sind?
Elmas Topcu: Viel! Ich habe in Istanbul Metallurgie, also Hüttenwesen und Gießereitechnik studiert und mein Diplom gemacht. Danach war ich ein Jahr lang auf der Schauspielschule. Dann dachte ich aber, dass ich irgendwann anfangen muss, zu arbeiten. Bevor ich richtig in die Berufswelt einstieg, wollte ich aber kurz nach Europa: In Augsburg und Duisburg leben Verwandte von uns, sie waren in den Sommerferien oft bei uns und haben uns oft zu sich eingeladen. Einer dieser Einladung wollte ich folgen. Somit kam mich vor 16 Jahren nach Deutschland. Ich war in Duisburg, habe in Augsburg und Hamburg Bekannte besucht. Nach zwei Woche war es mir langweilig. Ich wollte mich irgendwie beschäftigen. Dann habe ich angefangen Deutsch zu lernen. Die Artikel, die Deklinationen und den Kasus, besonders Akkusativ und Dativ. Die Grammatik machte mich verrückt. Aber ich wollte nicht so schnell aufgeben. Nach sechs Monaten hat das Lernen Spaß gemacht, denn wir haben nicht nur Arbeitslosigkeit, Recycling oder Dosenpfand als Thema gehabt, sondern haben auch Heine, Böll und Tucholsky lesen. Danach war es einfach: ich habe der Reihe nach alle Zertifikate, die Oberstufe, das kleine Sprachdiplom und das große Sprachdiplom abgelegt. Während des Deutschkurses habe ich als studentische Hilfskraft bei WDR Funkhaus Europa angefangen.
Wie kam es dazu, dass Sie jetzt als Journalistin bzw. Moderatorin arbeiten?
Topcu: 1999 war ein Jahr mit vielen wichtigen Ereignissen für die Türkei. Der Rahmenvertrag zwischen der Türkei und der EU, die Festnahme von PKK-Führer Öcalan und das große Erdbeben in Düzce. WDR Funkhaus Europa hatte intensiv über diese Ereignisse berichtet. Leider gab es kaum türkischstämmige Reporter, die sofort zur Community gehen und die Stimmung einfangen konnten. Einmal hat mich unser Redakteur vom Dienst gefragt, ob ich rausgehen und eine O-Ton-Collage machen könnte. Ich kam zurück mit emotionalen Statements. Die Redaktion war begeistert. Ich fühlte mich mitten im Geschehen, war ein tolles Gefühl. Als ich aber ernsthaft darüber nachdachte, hatte ich echt Angst. Ich sollte in einem fremden Land, in einer Fremdsprache, die das wichtigste Instrument des Journalismus ist, arbeiten. Ich war unsicher, aber die Redaktion hat mich sehr stark unterstützt. Nach einem Jahr habe ich an einem Casting teilgenommen und seitdem arbeite ich als Moderatorin und Reporterin.
Das Funkhaus Europa ist ein beispielhaftes und innovatives Projekt. Wie ist das Konzept von Funkhaus Europa entstanden, wer war der Initiator?
Topcu: Der WDR ist ein Hörfunk- und Fernsehanstalt, der auf die kulturelle Vielfalt oder das Zusammenleben großen Wert gelegt hat und legt, wie reden hier von den 90ern. Damals war Deutschland noch nicht mal ein „Einwanderungsland“. Aber die Macher waren mutig – und wenn ich jetzt zurückblicke, sage ich: „Respekt“. Sie haben die großen Themen von heute und der Zukunft schon damals richtig erkannt. Nirgendwo hat man über den Islam, die Migration, das Zusammenleben etc. so intensiv berichtet. Nirgendwo kamen so viele Zuwanderer selbst so oft zu Wort. Daher waren wir vielleicht mit unseren Call-In-Sendungen am erfolgreichsten.
Bei Ihnen arbeiten viele ModeratorInnen mit Migrationshintergrund. Wie würden Sie die Erfolgsquote ihres Programms bewerten und hat das aus Ihrer Sicht etwas mit dem kulturellen Hintergrund der ModeratiorInnen zu tun?
Elmas Topcu, Journalistin und Moderatorin beim WDR, lebt und arbeitet seit vielen Jahren in Köln. Ihr Weg führte sie aus einer anatolischen Arbeiterstadt zunächst in die Metropole Istanbul. Sie entwickelte ein starkes Interesse an kulturellen und politischen Themen sowie gesellschaftlichen Phänomenen. Nach dem eher unerwarteten Umzug nach Deutschland, landete sie in Köln, wo es ihr bald gelang, beim WDR erste journalistische Erfahrungen zu sammeln. In WDR Funkhaus Europa und Cosmo TV arbeitete sie als Autorin, später dann auch als Moderatorin des Magazinformats „Café Alaturka“. Inzwischen ist sie auch redaktionell im türkisch- als auch deutschsprachigen Programm tätig. Neben ihrer Arbeit für den WDR war sie als Projektmanagerin auch für die künstlerische Leitung des Kulturhauptstadtbüros RUHR.2010 tätig, wo sie vor allem die Zusammenarbeit mit der anderen Kulturhauptstadt Istanbul koordiniert sowie Veranstaltungen und Events organisiert hat.
Topcu: Ich bin keine Wissenschaftlerin, aber als gute Radiohörerin kann ich sagen, dass WDR Funkhaus Europa von der Neugier auf das Fremde von Nebenan lebt. Allein im Ruhrgebiet, in unserem großen Sendegebiet, leben Menschen aus 171 Kulturen, aber seien wir mal ehrlich, was wissen wir wirklich über diese Kulturen? Woran glaubt meine griechische Blumenhändlerin? Warum ziehen meine türkischen Nachbarn die Schuhe vor der Wohnungstür aus? Warum fastet mein alevitischer Gemüsehändler nur 12 Tage im Jahr? Warum kauft die Familie meiner besten Freundin unbedingt ein Haus mit Bidet? All das wollen wir wissen, auch wenn wir nicht den direkten Kontakt zu diesen Kulturen haben. WDR Funkhaus Europa hat über die Unterschiede und Gemeinsamkeiten berichtet, ohne das sogenannte „Fremde“, zu beurteilen. Das war und ist die Stärke dieses Senders. Natürlich bringt jeder Moderator, der einen anderen kulturellen Hintergrund hat, seine Farbe in die Sendung. Das macht sie interessanter.
Wie schätzen Sie die gegenwärtige Situation der MigrantInnen in Deutschland ein? Was bedeutet für Sie – ganz allgemein – soziale Integration von Menschen mit Migrationshintergrund?
Topcu: Ehrlich gesagt versteht nicht jeder das Gleiche unter dem Wort „Integration“. Daher ist es eine unendliche Diskussion. Für mich bedeutet es, meinen Lebensstil aussuchen zu dürfen, meine Umgebung, meinen Job, meinen Sportclub, meine Wohnung, meinen Glauben, meine Sprache und meine Regierung. Aber all das hat eher mit der wirtschaftlichen Lage zu tun, nicht mit der Herkunft, das zeigen auch die internationalen Untersuchungen. Für viele bin ich nicht integriert, wenn ich in Duisburg-Marxloh oder in Köln-Mülheim wohne, in dem türkischen Laden dort türkische CDs bestelle, bei dem kurdischen Gemüsehändler einkaufe, in dem persischen Imbiss Kebap, bei den Italienern Eis esse. Ich liebe diese Stadtteile und kann mir gut vorstellen, da zu leben, weil sie kulturell vielfältig sind, weil man in diesen Stadtteilen 24 Stunden das Leben in der Luft spürt, weil meine Ohren in solchen Vierteln jeden Tag neue Geschichten hören, meine Augen neue Sachen sehen. Wenn ich aus finanziellen Gründen dort wohne, habe ich wirklich ein Problem.
„Die Integration von Muslimen in europäischen Gesellschaften ist nicht möglich“, lautet die These des dänischen Psychologen Nicolai Sennels. Was sagen Sie dazu?
Topcu: Ich bestehe als Elmas Topcu aus vielen Teilen; ich bin eine Frau, ich bin Journalistin, ich bin Tante, ich bin Tochter, ich bin Wählerin, ich bin Leserin, ich bin Bürgerin, bin Musikliebhaberin, etc. Der Glaube ist nur ein Teil von mir, ich will nicht darauf reduziert werden.
Welche Aufgaben haben Eltern von Kindern mit Migrationshintergrund aus Ihrer Sicht in Bezug auf die Integration?
Topcu: Die Eltern sind die Eltern, also ganz normale Menschen. Und in erster Linie sind sie verpflichtet, für ihre Kinder zu sorgen, für sie eine gute Schulbildung zu ermöglichen, wenn ihnen auch Mittel zur Verfügung stehen. Wenn nicht, sind sie verpflichtet, ihren Kindern beizubringen, dass wir in einer globalisierten Gemeinschaft leben, in der die Chancengleichheit nur eine Utopie ist, daher müssen sie sich bemühen, falls sie auf ihren eigenen Füßen stehen und einigermaßen freie Entscheidungen treffen möchten. Integration ist die Pflicht der Politik, die Politiker haben die Macht, das Mittel dafür, Entscheidungen zu treffen, Maßnahmen zu ergreifen.
In welcher Art und Weise kommen MigrantInnen in den deutschen Medien vor? Wie werden Einwanderer in den dargestellt und gibt es aus Ihrer Sicht Möglichkeiten, wie man eine „integrationsfördernde Berichterstattung“ unterstützen kann?
Topcu: Wir alle wissen, wie die Zuwanderer in den Medien dargestellt werden. Es würde völlig ausreichen, wenn man nur aus dem Alltag, aus der Normalität und Realität berichten würde. Mehr brauchen wir nicht.
Ein Kultur- und Integrationskanal – wäre das eine neue Aufgabe für den WDR? Oder sehen Sie das Ziel eher darin, MigrantInnen in das reguläre Programm als Nutzer und Macher zu integrieren?
Topcu: Meinen Sie einen deutsch-türkisches Kulturkanal? Eine Art ARTE a la Turca! Hmm, gute Idee, aber mit meinen deutschen und türkischen Kanälen bin ich gut bedient. Jede Medienlandschaft tut, was sie kann. Türkische Sender mit emotionalen und kitschigen Serien, deutsche Sender mit guten Talkshows und Dokus. Wir dürfen aussuchen!
Verfolgen Sie auch die Berichterstattung ausländischer Medien in Deutschland? Wie beurteilen Sie die ausländische Presse wie z.B. die türkischsprachige Hürriyet in Deutschland?
Topcu: Jedes Blatt verfolgt seine eigene Sendepolitik.
Welches Appell haben Sie an Migrantenjugendliche? Da Sie selbst eine erfolgreiche Frau mit Migrationshintergrund sind, ggf. insbesondere an türkischstämmige Mädchen in Deutschland?
Topcu: Kızlar 1, auch wenn wir manchmal das Gefühl haben, dass die Welt ungerecht ist, dürfen wir nicht aufgeben. Wir müssen alle Möglichkeiten für eine bessere Zukunft ausprobieren, das Beste aus unseren Mitteln machen, was uns zur Verfügung steht, und uns geht’s wirklich gut. Es gibt so viele Mädchen und Frauen auf der Welt, die ihre Dörfer verlassen, die ihre Eltern verlieren, die keine eigene Entscheidung treffen, die keinen Zugang zum sauberen Trinkwasser haben, die noch nicht mal die Möglichkeit haben, lesen und schreiben zu lernen. Niemals können sie einen Roman von Pamuk, Marquez, Grass oder Murakami lesen.
Wie sieht Ihrer Einschätzung nach die Zukunft der MigrantInnen in Deutschland aus?
Topcu: Wenn das stimmt, was die Statistiken zeigen, dass in vielen Städten bis zu 60 Prozent der Kinder in den Kindergärten mit Migrationsgeschichte sind, sage ich nur: Hurra!
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