ARB 1/80
Geringfügige Beschäftigung reicht bei türkischen Arbeitnehmern für ein Aufenthaltsrecht
Eine Wochenarbeitszeit von fünf bis zehn Stunden und ein vorübergehender Bezug von öffentlichen Mitteln können nach ARB 1/80 einen Anspruch auf Aufenthaltstitel begründen. Das entschied das Bundesverwaltungsgericht.
Montag, 23.04.2012, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 25.04.2012, 1:18 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Erste Schlappe, zweite Schlappe, dritte Schlappe, vierte Schlappe. Das ist das Ergebnis eines jahrelangen Rechtsstreits aus Sicht der Bundesrepublik, die gegen eine Türkin geführt wurde. Das letzte Wort hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig im Anschluss an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) am Donnerstag (19.4.2012) gesprochen (1 C 10.11): Auch ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis mit einer geringen Wochenarbeitszeit eines türkischen Staatsangehörigen kann ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht vermitteln.
Der Entscheidung liegt der Fall einer inzwischen 45jährigen türkischen Staatsangehörigen zugrunde, die Mitte 2000 im Wege des Familiennachzugs nach Deutschland kam. Ihr wurde wegen ihrer Ehe mit einem türkischen Staatsangehörigen eine befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt. Nach Trennung von ihrem Ehemann nahm die Klägerin im Juni 2004 eine geringfügige Beschäftigung als Raumpflegerin im Umfang von 5 ½ Wochenstunden auf.
Verwaltungsgericht gibt der Türkin Recht
Ihren Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis lehnte die Ausländerbehörde im Februar 2008 wegen des Bezugs ergänzender Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch ab. Während des gerichtlichen Verfahrens erweiterte die Klägerin das Beschäftigungsverhältnis im Mai 2008 auf 10 Wochenstunden. Seitdem erhält sie auch keine Sozialleistungen mehr.
Nach Einholung einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Auslegung des Art. 1 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei (ARB 1/80) – erste Schlappe, gab das Verwaltungsgericht der Türken Recht und verpflichtete die Ausländerbehörde, der Klägerin eine Aufenthaltserlaubnis auszustellen – zweite Schlappe. Das überzeugte das Innenministerium nicht und so wurde das Oberwaltungsgericht angerufen. Aber auch die Richter dort sahen die Rechtslage eindeutig und bestätigten das vorinstanzliche Urteil – dritte Schlappe.
Schlappe für Ausländerbehörde auch vor dem Bundesverwaltungsgericht
Und weil nicht sein kann, was nicht sein darf, wurde vonseiten der Behörde auch die letzte mögliche Instanz bemüht. Aber auch das Bundesverwaltungsgericht wies die Klage der Behörde zurück – vierte Schlappe. Zur Begründung führten die Richter aus: Der Klägerin steht aufgrund ihrer langjährigen geringfügigen Beschäftigung als Arbeitnehmerin ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht nach Art. 6 Abs. 1, 3. Spiegelstrich ARB Nr. 1/80 zu.
Entgegen der Auffassung des Innenministeriums sei die türkische Staatsbürgerin trotz der Wochenarbeitszeit von zunächst 5 ½ Stunden und des vorübergehenden ergänzenden Bezugs öffentlicher Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts als Arbeitnehmerin im Sinne dieser Bestimmung anzusehen.
Arbeitnehmerbegriff ist unionsrechtlich auszulegen
„Der Arbeitnehmerbegriff ist nach der Rechtsprechung des EuGH unionsrechtlich auszulegen. Arbeitnehmer ist jeder, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisungen ausübt und hierfür eine Vergütung erhält. Dabei bleiben Tätigkeiten außer Betracht, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen. Die hierfür erforderliche Gesamtbewertung fiel zu Gunsten der Klägerin aus“, heißt es in einer Mitteilung des Gerichts. Dabei sei neben der vereinbarten Wochenarbeitszeit auch zu berücksichtigen, dass die Klägerin bei demselben Reinigungsunternehmen seit fast sieben Jahren arbeitet.
Mit dieser Entscheidung werden die allgemeinen Anwendungshinweise des Bundesinnenministeriums zur Auslegung des ARB 1/80 aus dem Jahre 2002 in einem weiteren Punkt überarbeitungsbedürftig. Darin sind 10 bis 12 Wochenstunden und ein Mindestgehalt von 325 Euro als Mindestgrenze genannt. Entsprechend diesen Hinweisen bescheiden Ausländerbehörden bundesweit und beschneiden seit zehn Jahren das Recht türkischer Staatsbürger. (bk) Aktuell Recht
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bitte nicht vergessen – „das Recht TÜRKISCHER Statsbürger“ -> in Deutschland! Vielleicht sollten wir mal fragen wer denn von dem Abkommen aktuell noch profitiert.
Es muss ja nicht positiv für Deutschland ausfallen, aber all zu negativ solllte es auch nicht sein.
Vielleicht sollte man das EWG einfach mal überarbeiten.
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