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Tofik Dibi: Moslem mit erhobenem Haupt

Tofik Dibi hat Mut bewiesen und nach den Sternen gegriffen. Letztendlich ist er deutlich gescheitert: Nur 12,2% seiner Parteifreunde sahen in ihm den geeigneten Spitzenkandidaten für GroenLinks. Nun setzt er erneut alles auf eine Karte … und seine politische Karriere aufs Spiel. Dabei braucht Europa gerade Moslems wie ihn.

Von André Krause Donnerstag, 28.06.2012, 8:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 29.06.2012, 4:02 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Am 12. September 2012 finden (mal wieder) Wahlen zur Zweiten Kammer, dem nationalen Parlament in den Niederlanden, statt. Diesmal konnten die Mitglieder zahlreicher Parteien ihren Spitzenkandidaten wählen. Bei den Sozialdemokraten (PvdA) und den Christdemokraten (CDA) klappte alles reibungslos. Nur bei GroenLinks, eigentlich ein Vorbild in puncto Basisdemokratie, gab es Theater. Und in der Folge sogar einen Sturzflug in den Meinungsumfragen: Aktuell liegt die Schwesterpartei von Bündnis 90/Die Grünen bei nur 5 Sitzen – nur 2 mehr als die Tierschutzpartei PvdD. Beim letzten Urnengang am 9. Juni 2010 errang GroenLinks noch 10 Mandate. Der ewige Traum, endlich einmal mitzuregieren, erscheint derzeit illusorisch…

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Was ist passiert? Eine parteiinterne Kommission, die mit der Auswahl der Kandidaten für das Amt des Spitzenkandidaten betraut war, urteilte, Tofik Dibi sei „ungeeignet“, um die Liste der niederländischen Grünen anzuführen. Ein bemerkenswertes Urteil: Tofik Dibi, Jahrgang 1980, ist seit 2006 Mitglied der Zweiten Kammer und eines der bekanntesten Gesichter seiner Partei. Auf den Politikfeldern „Integration“ und „Asyl“ konnte sich der geborene Vlissinger mit marokkanischen Wurzeln in den letzten Jahren als einer der eloquentesten Gegner der rechtspopulistischen Hetzer im Land profilieren. Im Jahre 2008 wurde Dibi zudem zum „politischen Talent des Jahres gewählt“. Die Wertschätzung geht also eigentlich über Parteigrenzen hinaus.

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Dennoch das Etikett: „ungeeignet“. Nach internem und öffentlichen Druck durfte Dibi letztendlich trotzdem seinen Hut in den Ring werfen. Er wäre der erste muslimische Spitzenkandidat bei der wichtigsten Wahl im Land geworden. Allerdings schlug die bisherige GroenLinks-Spitzenfrau Jolande Sap ihren jungen Konkurrenten mühelos: 84% – der Unterlegene sprach beim Blick auf das niederschmetternde Ergebnis scherzhaft von „beinahe osteuropäischen Zahlen“. Ein Karriereknick für den ehrgeizigen Dibi?

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Das wird die Zukunft zeigen. Vielleicht verschwindet Dibi sogar komplett aus der Zweiten Kammer. Dafür wäre er jedoch in erster Linie selbst verantwortlich. Dibi möchte nämlich nicht den 2. Platz der GroenLinks-Liste einnehmen, sondern für den 10. Platz kandidieren. Das Signal lautet: Dibi hat das Ziel, das ordentliche Wahlergebnis seiner Partei aus dem Jahre 2010 zu wiederholen. Wie oben bereits geschrieben: GroenLinks verweilt derzeit recht konstant bei 5 Sitzen. 10 Sitze erscheinen im Juni 2012 utopisch. Aber in der äußerst unruhigen politischen Landschaft der Niederlande ist grundsätzlich alles möglich. Auch in kurzer Zeit.

Eine Zweite Kammer ohne Tofik Dibi: Wäre das ein Verlust? Unabhängig von parteipolitischen Präferenzen lautet die Antwort ganz klar: Ja! Dibi ist ein Typ, eine auffällige Erscheinung. Selbstbewusst, leidenschaftlich und offen. Vielleicht wirkt er bisweilen einen Tick zu ehrgeizig. Vielleicht wirft er sich auch zu gerne in Pose – aber auch Politiker dürfen gut aussehen und modern gekleidet durch das Leben gehen. Andere verbergen ihre indonesischen Wurzeln unter mehreren Ladungen Wasserstoffperoxid…

Was jedoch viel wichtiger ist: Beim Thema „Islam“, DAS Thema in den letzten 10 Jahren, vertritt Dibi offenkundig sehr kluge, ausgewogene Positionen. Er ist nämlich nicht nur die Zielscheibe von rechtspopulistischen Hetzern, sondern auch von radikalen Muslimen. Letzteres überrascht nicht: Dibi lehnt zum Beispiel orthodoxe Koran-Interpretationen ab, die dazu führen, dass Frauen unterdrückt werden. Im vergangenen Jahr hat er in einem Interview mit der Tageszeitung Trouw die Einsetzung von weiblichen Imamen ins Spiel gebracht und für einen Zusammenschluss der freisinnigen Vorhut von muslimischen Frauen plädiert. Als Vorbild nannte Dibi in diesem Zusammenhang unter anderem die lesbische Feministin Irshad Manji („Der Aufbruch – Plädoyer für einen aufgeklärten Islam“, 2003). Insgesamt betrachtet sieht der GroenLinks-Politiker die Notwendigkeit, „jungen, suchenden Moslems“ Orientierung zu verschaffen. Nicht zuletzt aus diesem Grunde beabsichtigt er, einen Dialog zwischen orthodoxen und freisinnigen Moslems in Gang zu setzen.

Dibi verortet sich also in der Mitte: Er verurteilt den Islam nicht wie Ayaan Hirsi Ali. Im Gegenteil: Er bekennt sich zum Islam. Dibi möchte jedoch dafür sorgen, dass jeder Moslem in den Niederlanden seinen eigenen Weg wählen kann: Selbstbewusst, selbstbestimmt und individuell.

Darin ist Tofik Dibi sogar sehr missionarisch veranlagt, ohne Scheu vor großen Worten: Im Internet ist unter www.finalfatwa.com der Text „Die letzte Fatwa: Appell an die Vernunft“ zu lesen, der die Ansichten des Parlamentariers anlässlich des 10. Jahrestages der Anschläge vom 11. September 2001 auf den Punkt bringt:

„Zehn Jahre nach 9/11 und in einer Zeit, in der sich Moslems während der Revolutionen in der arabischen Welt dem Terror von Extremisten und Diktatoren entreißen, ist jetzt der Moment für eine letzte Fatwa gekommen, die Moslems aufträgt, Mensch zu sein. Die letzte Fatwa ist ein Aufruf zum selbstständigen Denken, zum Lernen und zum Diskutieren. Zu offenen und frei dargelegten Meinungsunterschieden. Mit dieser Fatwa nehmen wir Stellung gegen den Taliban, der 13-jährige Mädchen mit Salzsäure übergießt und für das ganze Leben entstellt, weil sie einfach nur in die Schule möchten. Aber, sei es in einem geringeren Maße, gegen radikale Islamkritiker, die probieren, uns in ihre dogmatische Interpretation unseres Glaubens einzuschließen. Mit der letzten Fatwa ist der 11. September 2001 nicht umsonst gewesen. Mit dem kollektiven und massenhaften Aussprechen einer letzten Fatwa lassen wir uns nicht länger auf Maschinen ohne Herz und Seele reduzieren, mit der letzten Fatwa zeigen wir, wer wir sind: Individuen mit einem eigenen Herzen, einer eigenen Seele, einem eigenen Geist und einem eigenen Gewissen. Wir sind Moslems mit erhobenem Haupt und diese letzte Fatwa ist eine Einladung an Moslems weltweit, um Teil einer neuen Generation zu sein, die erklärt: Nie wieder eine Fatwa.“

Wer diese Worte liest, dürfte im 31-jährigen Dibi einen der größten Hoffnungsträger für die Schaffung eines liberalen Euro-Islams bzw. eines Polder-Islams sehen. Wer eine Mission hat, benötigt den Mut, pathetisch zu sein. Objektiv betrachtet, ist demnach festzustellen: Kein Parlament auf unserem Kontinent kann auf solch eine Stimme verzichten. Außerdem stünde der niederländischen Politik ein neuer, diesmal lebensbejahender, zukunftsorientierter, Exportschlager gut zu Gesicht.

Der Auftrag, Mensch zu sein, ist zudem universell. Er richtet sich an jeden – Moslem, oder nicht. Zu viel Mensch kann nie schaden… Aktuell Meinung

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