Und sie hängen doch
Vermisst-Plakate in Berlin-Neukölln gefunden
Entgegen der Ankündigung des BMI, die Vermisst-Plakataktion zu verschieben, wurden sie in Berlin-Neukölln angebracht. Für Aufregung sorgt auch eine Vermisst-Postkartenaktion in Köln. Die Vermisst-Motive wurden auf der Keupstraße verteilt - 2004 explodierte dort eine NSU-Nagelbombe.
Mittwoch, 26.09.2012, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 01.10.2012, 22:46 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Berlin-Neuköllner Bewohner staunen in diesen Tagen nicht schlecht. Nicht wegen ihres Bezirksbürgermeisters Heinz Buschkowsky, der in bester Sarrazin Manier und Inszenierung gegen Migranten hetzt. Nein, es sind erneut die „Vermisst“-Plakate, die für Aufregung sorgen. Entgegen der Ankündigung des Bundesinnenministeriums (BMI) vom Donnerstag (20.9.12), die Plakataktion verschoben zu haben, wurden die Plakate in Berlin-Neukölln angebracht, wie am Dienstag bekannt wurde.
Ein Ministeriumssprecher bestätigte dies gegenüber dem MiGAZIN. „Es ist nicht auszuschließen, dass ein oder zwei Plakate angebracht wurden“, so ein Ministeriumssprecher. Maximal könne es sich um eine Handvoll handeln. Wo die Plakate hängen und wie es dazu kommen konnte, könne man derzeit noch nicht sagen.
Respekt vermisst
Eine peinliche Panne, zumal das Ministerium die Verschiebung mit „einer aktuellen Gefährdungsbewertung des Bundeskriminalamtes“ begründet hatte. Peinlich auch der Zustand der Plakate. Sie sind beschmiert mit Farbe und überklebt mit Flyern. Auf dem einem steht: „Wir vermissen die 300.000,- €, die für diese rassistische Kampagne ausgegeben wurden“; auf dem anderen: „Wir vermissen Respekt“.
Respekt vermissen an diesen Tagen auch die Menschen auf der Kölner Keupstraße, wo das BMI die umstrittenen Vermisst-Motive in Form von Postkarten verteilen lies (wir berichteten). Es ist die Straße, wo die NSU im Jahr 2004 ein Nagelbombenanschlag verübt hatte, bei der 22 Menschen teilweise schwer verletzt wurden. Die Polizei ermittelt über viele Jahre in vermeintlichen mafiösen Strukturen und verdächtigte teilweise sogar die Kleingewerbetreibenden vor Ort. Bis zum zufälligen Auffliegen der NSU. Das alles ist nicht vergessen. Hinzu kommen die zahlreichen „Fehler“ und „Pannen“ während der NSU-Aufklärung.
Kölner OB empört
Der Kölner Oberbürgermeister Jürgen Roters (SPD): „Es ist in hohem Maße unsensibel, diese Aktion ausgerechnet zum jetzigen Zeitpunkt durchzuführen. Mir fehlt außerdem das Verständnis dafür, ohne jegliche Beratung mit der Stadt Köln heute ausgerechnet in der Kölner Keupstraße bei den Anwohnern, die jahrelang unter falschen Verdächtigungen zu leiden hatten, Postkarten aus dieser Werbeaktion verteilen zu lassen.“ Roters fordert den Bundesinnenminister auf, die gesamte Kampagne zu stoppen.
Der Kölner Grünen-Landtagsabgeordnete Arif Ünal sieht das ähnlich: „Der Bundesinnenminister drückt den Menschen, die in der Keupstraße leben, nach jahrelangen eklatanten Ermittlungspannen schon wieder eine Täterrolle auf. Es ist äußerst unsensibel, gerade hier diese Postkarten zu verteilen, da die Anwohner der Keupstraße jahrelang unter falschen Verdächtigungen zu leiden hatten. Die Kampagne ist von Anfang an so gründlich falsch konzipiert, dass sie hätte eingestampft werden müssen. Sie stellt Menschen mit Migrationshintergrund unter Generalverdacht. Der Bundesinnenminister jedoch ignoriert offenbar weiterhin sämtliche Einwände.“
Sensibilität vermisst
Kritische Stimmen waren auch aus Berlin zu hören. Grünen-Bundestagsabgeordneter Volker Beck kommentierte die Postkartenaktion auf Facebook: „Bundesinnenminister Friedrich lässt seine Vermisst-Anzeigen als Postkarten in der Kölner Keupstraße verteilen. Ich fasse es nicht! Vermisst wird bei Friedrich + seiner Kampagne Verstand + jegliche Sensibilität. Wie kann man so etwas nach diesem Schmähfilm + NSU machen?“
Auch die SPD-Vorsitzende und Integrationsbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion, Aydan Özoğuz, zeigte sich bestürtzt: „Dieses Vorgehen ist höchst unsensibel und eine Ohrfeige für die Menschen in der Straße, insbesondere für die Türkeistämmigen. Ausgerechnet am Anschlagsort der NSU-Terrorzelle für die Kampagne, die viele Muslime zu Recht als stigmatisierend kritisieren, mit einer solchen Aktion zu beginnen, ist ungeheuerlich“.Es stelle sich die Frage, welche unterschiedlichen Einschätzungen das BKA in Bezug auf die Sicherheitslage bezüglich der Plakatkampagne und der Verbreitung von Postkarten derselben Kampagne getroffen habe. Das Ministerium müsse außerdem erklären, wer dafür verantwortlich ist, mit dieser Postkartenaktion gerade in der Keupstraße zu beginnen.“
BMI kann Aufregung nicht nachvollziehen
Dem MiGAZIN teilte der Ministeriumssprecher mit, dass eine Werbefirma damit beauftragt wurde. Man wisse nicht, wo genau die Postkarten verteilt wurden. Beschlossen seien lediglich Orte mit einer hohen Migrantendichte. Im Übrigen könne man die Aufregung der Menschen auf der Keupstraße nicht nachvollziehen. Man müsse die Vermisst-Postkartenaktion von der NSU-Sache gesondert betrachten. Die NSU-Aufklärung laufe an anderer Stelle ja weiter. (es)
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