Buchtipp zum Wochenende
Kafala – keine Adoption aus islamischen Ländern
Illegaler Kinderhandel und Prominenten-Adoptionen haben die Auslandsadoption fast unmöglich gemacht. Auch die Kafala, eine Form der Kindesannahme in der islamischen Kultur wurde auf den Index gesetzt - MiGAZIN bringt das Vorwort sowie ein Tagebucheintrag exklusiv:
Freitag, 02.11.2012, 8:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 07.11.2012, 7:44 Uhr Lesedauer: 7 Minuten |
Statt eines Vorworts: Ein Geständnis
Seit am 01. März 2002 das „Haager übereinkommen über den Schutz von Kindern und die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der internationalen Adoption von 1993“ (HAÜ) in Deutschland in Kraft trat, hat sich die Chance auf eine Adoption nach Deutschland für viele Kinder verschlechtert. Zumindest für Kinder aus Staaten wie Algerien, Marokko oder Jordanien. Dem von vielen Jugendschützern als Meilenstein gefeierten Vertragswerk sind diese Länder wie viele weitere islamisch geprägte Staaten nicht beigetreten. Daraufhin wurden Kindesvermittlungen aus diesen Staaten von den zentralen Adoptionsvermittlungsstellen und den Landesjugendämtern in Deutschland boykottiert. Unter den wohlwollenden Blicken einer Bundesregierung, die Adoptionen aus islamischen Staaten offiziell zum in Deutschland unerwünschten Problem erklärte.
Mein Mann und ich haben es trotzdem gewagt – soviel zu meinem Geständnis. Was das für meine Familie und für das angenommene Kind bedeutete und noch immer bedeutet, davon handelt dieses Buch. Dieses Erlebnis hat meine Sicht auf Deutschland verändert. Dabei sind wir noch mit einem blauen Auge davongekommen, im Vergleich zu dem, was anderen Familien in ähnlichen Situationen zustieß. Und auch davon wird in diesem Buch noch die Rede sein.
Als das Bundesverwaltungsgericht im Oktober 2010 die Klage 1 eines marokkanischen Jungen auf Zuzug zu seiner Adoptivmutter nach München abwies, zog diese höchstrichterliche Entscheidung einen vorläufigen Schlussstrich unter eine traurige Entwicklung in Deutschland. Die Adoption oder Insorgenahme eines Kindes aus islamischen Staaten ist für in Deutschland lebende Ehern kaum mehr möglich. Unser Kind, das nach langem Streit mit den Behörden Ende 2009 doch noch nach Deutschland kam – und dabei knapp an einem Trauma vorbeischrammte -, ist möglicherweise eines der letzten Kinder, die das geschafft haben.
Man muss den Verfechtern dieses Jugendschutzes zugute halten, dass Auslandsadoption ein problematisches Thema ist. Illegaler Kinderhandel und Prominenten-Adoptionen haben für öffentliches Aufsehen gesorgt – zu Recht. Dokumentarfilme und Theaterproduktionen widmeten sich dieser Problematik, ein von Filmstudenten produzierter Spielfilm zum Thema wurde gar mit einer Auszeichnung bedacht. Und immer wieder informieren ganzseitige Zeitungsberichte über „gestohlene Kinder“. Leider sorgt die Neigung, vor allem dramatische Negativbeispiele in Szene zu setzen, auf Dauer für eine einäugige und stark vereinfachte Sicht, die eine ebenso vereinfachte Lösung prophezeit. Viele Fachleute propagieren immer restriktivere Regularien, einige Experten wünschen sich gar die Abschaffung der Auslandsadoption. Das Grundsatzurteil der Leipziger Richter dürfte von den Befürwortern dieser harten Linie mit Erleichterung, wenn nicht Genugtuung aufgenommen worden sein. Nach diesem Urteil hat ein Adoptivkind aus einem nichteuropäischen Staat überhaupt nur dann Aussicht auf ein Visum für die Bundesrepublik Deutschland, wenn es zuvor ein internationales Adoptionsverfahren nach den Richtlinien des HAÜ erfolgreich durchlaufen hat. Und das gleichgültig, ob das Kind aus einem Vertragsstaat des HAÜ kommt oder nicht. Das Kindeswohl gebiete eine regelgerechte Adoptionsvermittlung. So weit, so gut.
Das marokkanische Kind konnte keine derartige Adoptionsvermittlung vorweisen, obwohl die Adoptivmutter nichts unversucht ließ, die deutschen Jugendbehörden zur Mitarbeit zu bewegen. Auch unser Kind verfügt nicht über die gewünschten Dokumente in seinen Papieren (noch ein Geständnis!). Kann es aber auch gar nicht. Denn ein mal abgesehen davon, dass die deutschen Jugendbehörden auch in unserem Fall ein „ordentliches“ Vermittlungsverfahren konterkarierten, hat das Urteil aus Leipzig noch einen weiteren Haken: Länder des islamischen Kulturkreises wie Marokko oder Algerien, die (ausschließlich) die islamische Kafala praktizieren, können aufgrund ihrer rechtlichen Gegebenheiten keine internationale Adoptionsvermittlung im Sinne des HAÜ durchführen.
Mit fachlichen Mängeln der Kindesvermittlung hat das nichts zu tun. Die Kafala ist eine Form der so genannten „schwachen“ Adoption, sie ist staatlich geregelt und beinhaltet die Vormundschaft und das Sorgerecht für das angenommene Kind. Die Ausübung der elterlichen Sorge obliegt in vollem Umfang den annehmenden Eltern. Im Gegensatz zur deutschen Adoption bleibt jedoch die „juristische Verwandtschaft des Kindes mit der Herkunftsfamilie bestehen. Dies stellt zwar weder für die marokkanischen noch die algerischen Behörden ein Hindernis dar, Kinder auch an in Deutschland lebende Bewerber zu vermitteln. Die dortigen Behörden stimmen der Vermittlung selbst dann zu, wenn bekannt ist, dass das Kind (später) nach deutschem Recht adoptiert werden soll. Aber in eine grenzüberschreitende Adoptionsvermittlung im hiesigen Sinne eintreten, das können die Vermittler auf den algerischen und marokkanischen Behörden nicht. Kinder aus islamischen Ländern kommen daher nicht in den Genuss einer Vermittlungsprozedur, die maßgeblich nach den Vorstellungen der westeuropäischen Aufnahmestaaten konzipiert wurde. Und die nun zwingend ist für ein Einreisevisum.
Diese ausländerrechtliche Behandlung der Kafala-Kinder entspricht weniger einer sachdienlichen als vielmehr einer (adoptions)ideologischen Auslese, denn vom Aufnahmestaat Deutschland wird keine Unterscheidung zwischen fachlichen Mängeln und kulturellen Besonderheiten der Kindesvermittlung getroffen. So gerät das HAÜ, das ursprünglich in bester Absicht zum Schutz vor illegalem Kinderhandel entwickelt wurde, zum Knockout für alles, was nicht ins eigene Raster passt. Was an interkultureller Verständigung versäumt wurde und wird, müssen Kafala-Kinder und ihre Eltern ausbaden.
Info: Das Buch enthält Originalbriefe und einen juristischen Kommentar zum Thema von Rechtsanwalt Matthias Westerholt.
Man kann die Probleme um die Kafala nicht verständlich machen, ohne „den Islam“ zu erwähnen. Und damit hat sich zum ohnehin sperrigen Thema „Adoption“ ein weiteres, nicht minder sperriges Thema gesellt. Im Durcheinander der Kulturen ist das Politikum „Islam“ auf kommunaler wie auf bundesweiter Ebene fortwährend präsent und nach wie vor eher negativ besetzt. Und das nicht erst, seitdem ein hoher Bankier ein gewisses Buch geschrieben hat. Für die betroffenen Migranten oder binationalen Familien, die ein Kind aus ihrer islamischen Heimat aufnehmen möchten, ist das umso unglücklicher. Leider sind diese Familien und Paare bislang weder organisiert noch werden sie lobbyistisch vertreten. Die Verbände in Deutschland, die sich klassischerweise um Integration und kulturelle Verständigung sorgen, haben sich noch nicht vernehmlich um diese Thematik bemüht. Auch die Medien haben diesen Aspekt bislang vernachlässigt. Die Kombination Adoption-Islam scheint einerseits zu randständig, andererseits zu komplex zu sein, um schnell verwertet werden zu können. Eine Mischung,die es in sich hat! Wer wollte da ernsthaft Partei ergreifen für islamische Kinder, die nach Deutschland adoptiert werden sollen?
Ich mache mir nichts vor. Ich stehe mit meiner Geschichte auf ziemlich verlorenem Posten. Nichtsdestotrotz frage ich: Wie hoch darf der Preis sein für die „richtige“ Adoptionsvermittlung? Welchen Sinn macht die Mobilmachung gegen einzelne Eltern, die ein Kind aus ihrem Heimatland aufnehmen möchten? Und was würden wohl die betroffenen Kinder dazu sagen, wenn sie könnten?
Ich bin eigentlich keine Tagebuchschreiberin. Aber während der einsamen Zeit, die ich in diesem Buch schildere, halfen mir meine Notizen, mein ungläubiges Staunen über das Unrecht an meiner Familie zu verarbeiten. Mein Text ist ein authentisches, aber auch ein sehr persönliches Zeugnis. Die sarkastischen Entgleisungen und Überzeichnungen, die mir manchmal unterlaufen, sind Ausdruck meiner Verzweiflung. Auch meine etwas breit geratene Auseinandersetzung mit dem Thema „Pflegekinder“ zeugt davon, dass ich bis zum Hals in einem Debakel versunken bin, das nur hin und wieder an die Öffentlichkeit dringt. Wenn ich hier etwas laut und etwas weitschweifig nachdenke über Sinn und Unsinn, Recht und Unrecht unserer verkorksten Adoption, dann auch deshalb, weil ich auf viele Fragen keine Antwort gefunden habe. Meiner Beweisführung, dass es bei dem Kampf um unser Kind vor allem um „große“ Adoptionspolitik ging, bin ich Einiges schuldig geblieben. Indem ich mich trotzdem mit meinen Geständnissen und Zugeständnissen herumschlage, versuche ich auch begreiflich zu machen, warum diese Geschichte für mich nicht anders sein konnte.
Aus dem Tagebuch – 17. August 2009
Berlin hat Entgegenkommen signalisiert. Ich soll Ahmed, der kaum noch zu bremsen ist, noch hinhalten, meint mein Rechtsanwalt. Jetzt nichts Unüberlegtes tun, vielleicht sind es nur noch wenige Tage, bis sich das für uns klärt.
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Die islamische Kafāla mag den bundesdeutschen Behörden vielleicht als „Unterstützung des Terrorismus“ erscheinen: Die Hamas, von der der Gaza-Streifen derzeit regiert wird, steht auf der von den USA herausgegebenen und von ihren Vasalllen übernommenen Liste terroristischer Vereinigungen, und der Junge in Gaza, für den man eine Kafāla übernimmt, könnte als junger Erwachsener ein Terrorist werden; daher darf er keine Unterstützung bekommen.