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Globale Kultur – eine Kultur der gemeinsamen Nenner
Die Welt hat sich verändert. Sie ist global geworden. Und Berlin-Wedding hat sich mitverändert. Nur der Dialog ist immer noch interkulturell und lokal. Ist die Zeit aber nicht schon reif für einen globalen Dialog?
Von Vykinta Ajami Donnerstag, 08.11.2012, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 13.11.2012, 8:09 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Menschen mit Migrationsgeschichte sind in Deutschland nicht mehr wegzudenken. Würden sie aus meinem Leben verschwinden, wäre es ziemlich leer um mich herum: meine türkische Nachbarin, die ab und an selbst gemachte Leckereien vorbeibringt oder die palästinensische Bäckerei um die Ecke. Die müsste schließen. Ebenso die Praxis des russischen Arztes. Die Schneiderin aus Moldawien wäre auch nicht mehr da und mein Englischkreis müsste auch aufgelöst werden, wenn der Lehrer aus USA nicht mehr da wäre.
Freunde, Bekannte, Kollegen, Dienstleister und viele zahlreiche Mitbürger, denen ich tagtäglich auf der Straße begegne, wären weg. Es bedürfte keinen interkulturellen Dialog mehr, da nur noch eine Kultur bliebe. Aber haben wir die nicht längst schon, die eine Kultur im multikulturellen Trubel?
Die Frage stelle ich mir bei einer interkulturellen Runde, deren Teilnehmer hier geborene und hier sozialisierte Menschen sind, die aus verschiedensten Ländern kommen, vor einigen Jahren zugewandert sind oder auch gebürtige Deutsche sind. Unterschiedlicher kann die Runde kaum sein. Trotzdem lässt mich das Gefühl nicht los, als seien wir uns doch alle ähnlich: sich vorstellen, seine Meinung formulieren, fragen, zuhören, ausreden lassen, zustimmen, nicken, verneinen, lächeln, die Stirn runzeln, in der Pause miteinander reden, sich bedanken, sich verabschieden, nett und höflich sein etc. Die Verbale und die Non-Verbale Verständigung der Menschen eben, als Ausdruck global geltender Werte und Regeln. Ein Codex, das zwar in unterschiedlichen Sprachen und Schattierungen der verschiedenen Mentalitäten Ausdruck findet, aber weltweit gilt. In tiefsten Dörfern Anatoliens grüßen sich die Leute, am Rande Ungarns schenken sie sich ein Lächeln, ebenso in einer litauischen Provinz. Und in einem arabischen Kaff funktionieren das Zusammenleben und die Kommunikation auch nicht ohne die Regeln dieser globalen Kultur.
Wenn die Welt doch global ist und der Austausch dank einer allgemein geltenden Kultur – trotz zahlreicher Unterschiede – funktioniert, warum führen wir dann keinen Dialog der globalen Kultur, sondern einen interkulturellen, frage ich mich auf dem Rückweg. Und während ich über das Globale nachdenke, werde ich in etwas Lokales hineingezogen:
„Es sieht hier schon wie in Istanbul aus. Fürchterlich!“, beanstandet eine Frau laut über Wedding, ein Berliner Stadtteil mit hohem Migrantenanteil. „Waren Sie schon in Istanbul?“, frage ich neugierig. „Neee!“, donnerte sie noch lauter, „und ich will da nie hin!“
Ein arabisches Sprichwort sagt, dass das Unbekannte des Menschen Feind ist. Ganz offensichtlich war die Frau nie in dieser wundervollen Weltstadt, auf den sieben Hügeln, zwischen zwei Kontinenten, am Bosporus. Sonst würde sie wissen, dass Wedding ganz bestimmt nicht aussieht wie Istanbul.
Wedding sei nicht mehr der gleiche, klagte sie noch im Weggehen. Ich konnte die Nostalgie der älteren Dame gut nachvollziehen. Aber was bedeutet der Wandel in Wedding schon? Die Welt nicht mehr das, was sie einmal war! Sie ist global geworden, genauso wie Wedding. Nur denken unsere Köpfe noch lokal. Dabei ist die Zeit reif für den globalen Dialog, stelle ich fest – über die bekannten Grenzen hinaus.
Würden alle Migranten weg sein, wäre es nicht nur um mich herum, sondern auch im Wedding und anderswo in Deutschland ziemlich leer. Für manche ist das eine Wunschvorstellung, für andere – ein Horrorszenario. Ich kann mir dieses Szenario nicht einmal vorstellen, denn ich wäre samt meinem Migrationshintergrund ja auch weg.
Die heutige globale Welt ist eine Welt der Unterschiede. Die globale Kultur ist aber eine Kultur des Zusammenlebens mit den Unterschieden und durch gemeinsame Nenner. Globale Nenner. Und davon gibt es viele: von A wie „Anerkennung“ bis Z wie „Zusammenhalt“. Aktuell Meinung
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Ja, wir sitzen alle in einem Boot, und wenn wir nicht global denken, dann geht es den Bach hinunter.
Rita Zellerhoff
@Dr. Rita Zellerhoff
Was genau meinen Sie mit „global denken“?
@Autor
Ein Stadtteil, der nur aus weissen Amerikanern, Neuseeländern und Franzosen bestehen würde, vielleicht noch ein paar Belgier und Spuren von Skandinaviern, wäre das in Ihren Augen eigentlich auch Multikulti und „global“? Oder gehören zu diesem Szenario mindestens 50% orientalische Muslime?
@Rita Zellerhoff
Könnten Sie Ihre Behauptung auch mindestens begründen? Eine globale Vermischung aller Kulturen ist in keinster Weise nötig um weiter friedlich auf dem Planeten leben zu können ich glaube sogar eher es wäre friedensfördender als umgekehrt da die Kulturen Freiraum zwischen sich haben und sich nicht zwangsweise sehen und tolerieren müssen. Wenn Sie von der Verteilung von Resourcen sprechen kann ich Ihnen beipflichten. Wenn da kein Einsehen eintritt könnte das leicht in einen 3. Weltkrieg münden.