Ein Fremdwoerterbuch
Mein Leben in der Fremde
Es war der Festtagsmorgen, an Bayram. Wir saßen in Oxford am Frühstückstisch, als im Radio eine Sendung über das Bayramfest in Deutschland lief.
Von Kübra Gümüşay Freitag, 09.11.2012, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 14.11.2012, 7:38 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Der Moderator erzählte von Vätern, die sich auf den Weg in die Moschee machen, von der Aufregung, die zuhause herrscht, die letzten Vorbereitungen für das große Frühstück und die Kinder, die erwartungsvoll um die Geschenke herumtanzen. Ich sah zum ersten Mal die Leere. Die fehlenden Menschen. Meine liebevollen Eltern und Geschwister, meine sentimentalen Großeltern, Tanten und Onkels, Cousinen und Cousins.
Doch eigentlich waren nicht sie abwesend, sondern ich. Ich bin fort, ich lebe im gurbet. Was das ist? Würde ich es als „das Leben in der Fremde“ übersetzen, würde es niemals ausreichen, um meinem Gegenüber das Gefühl zu beschreiben, das dieses Wort erzeugt.
Als ich mich an meinen Schreibtisch setzte und versuchte meine Gefühle in Worte zu fassen, tanzten meine Finger auf der Tastatur. Ich schrieb fließend, ganz natürlich. Erst viel später bemerkte ich, dass ich auf Türkisch geschrieben hatte.
Gurbet. Ganz alleine, ohne jeglichen Zusatz kann dieses Wort den Menschen, der gurbet kennt, Erinnerungen hervorrufen lassen, Sehnsucht und Schmerz fühlen lassen, die Wangen nässen. Die türkische Autorin Elif Safak beschreibt es als einen unsichtbaren Splitter unter der Haut, an der Spitze des Fingers. „Willst du es entfernen, vergeblich. Versuchst du es zu zeigen, ebenso vergeblich. Es wird zu deinem Fleisch, deinen Knochen, ein Teil deines Körpers. Ein Gliedmaß, das sich nicht mehr entfernen lässt, sei es dir noch so fremd, so anders“, schreibt sie.
Gurbet ist eines der vielen Worte, für die ich im Deutschen keine einfache Übersetzung finde. Genauso, wie ich Gedanken im Deutschen in keinen einfachen türkischen Satz fassen kann. Ich will die „Herausforderung“ erklären, das „Dasein“ und die „Schadenfreude“. Für jedes einzelne Wort braucht es mehrere Sätze. Nur dann versteht mein Gegenüber, das, was ich dabei fühle. So leben manche Gefühle nur in bestimmten Sprachen. Sprache öffnet uns die Welt und grenzt uns ein – im gleichen Moment.
„Bir lisan, bir insan. Iki lisan, iki Insan“ lautet ein türkisches Sprichwort: Eine Sprache ist ein Mensch, zwei Sprachen sind zwei Menschen. Folglich sind drei Sprachen, drei Menschen.
Im Deutschen spreche ich viel und schnell. In der Zeit, die man mir gibt, versuche ich so viel unterzubringen, wie nur möglich – denn ich will erzählen, erklären. Deutsch sprudelt aus mir heraus. Ich liebe diese Sprache, mit deren Worten ich gerne spiele und vor der ich großen Respekt habe.
Im Englischen bin ich ruhiger. Ich rede nicht so eloquent wie im Deutschen, aber da ist es mir auch nicht so wichtig. Ich vertraue auf das, was ich sage, und auf mein Gegenüber, das mit mir denkt. Dort überlasse ich den Gedanken Raum. Und wenn mir mal ein Wort nicht einfällt, erfinde ich einfach eines. Und meistens funktioniert’s.
Im Türkischen schreibe ich Gedichte. Im Türkischen bete ich. Es ist die Sprache, die ich als Erstes lernte. Die Sprache, in der ich von meiner Familie geliebt wurde, die Sprache, in der ich das erste Mal weinte, die Sprache, in der ich das erste Mal liebte.
Und so, egal in welcher Sprache ich spreche, es fehlt die andere. Und das ist eine schöne Herausforderung. Aktuell Meinung
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Mehr als einmal seufzte ich, wenn sich türkische Brüder wieder einmal bei spannenden Diskussionen ins türkische verloren: „Vielleicht sollte ich statt arabisch doch eher türkisch lernen?“ und meinte das natürlich als harmlose Neckerei, denn unter den anwesenden, gut einem Dutzend Türken war ich als einziger, deutscher Konvertit auf verlorenem Posten. Sie grinsen dann immer breit wie verlegen und machen auf deutsch weiter. :-)
Aber ich möchte dieser Sprache eine Lanze brechen: ich persönlich empfinde sie als wohlklingend, weich, melodisch mit großer Varianzbreite. Türkisch ist zumindest für meine Ohren eine wirklich schöne Sprache und sie gehört zu einem stolzen, alten, kultivierten Volk.
Und dessen Menschen haben mich vieles (wenn nicht das meiste) vom Islam gelehrt, was kaum durch Bücher zu lernen ist. Ich traf wunderbare Muslime unter ihnen, die gleichzeitig tolle Freunde und gute Brüder sind.
Ich selbst beherrsche leider nur das langweilige Dreigestirn: deutsch, englisch und französisch. Meine Kenntnisse des arabischen reduzieren sich leider auf die Gebetsinhalte und wenige Alltagsfloskeln, die mich bei meinen Besuchen in Ägypten nicht ganz so stumm dastehen und wenigstens meinen guten Willen durchblicken lassen.
Schade – ich höre viel zu oft und ausgerechnet auch noch häufig von Türken selbst etwas herablassende Worte über die Sprache.
gurbet.
Wenn ich den Artikel richtig verstanden habe, handelt es sich dabei um das gute alte Heimweh.
Eine Grundgestimmtheit, die ähnlich unmodern ist, wie Heimatliebe oder Gemütlichkeit.
All diese Gestimmtheiten sind Sand im Getriebe des modernen, universal einsatzbereiten Multitaskings.
All diese Gestimmtheiten klingen im harmlosesten Fall nach Filzpantoffeln, Wolldecke auf dem Sofa, um den teuren Bezug zu schonen und sündhaft schmackhafter, aber selbstredend ungesunder Hausmannskost.
Und damit lösen sich kulturelle Gemeinschaftren auf und sortieren sich neu zur weltumspannenden Gemeinschaft der Menschen, die gurbet.im Herzen tragen oder nicht.