ProDaZ
Deutsch als Zweitsprache in allen Fächern
Das Wissenschaftsfeld Deutsch als Zweitsprache (DaZ) ist eine vergleichsweise junge Disziplin an deutschen Universitäten, welche sich seit jeher, und wie es aussieht auch noch weiterhin, innerhalb politisch hochaufgeladener Diskurse um den Zusammenhang von Migration, Sprache und Bildung bewegt.
Von Magnus Frank Mittwoch, 14.11.2012, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 15.11.2012, 8:24 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Vor diesem Hintergrund bezieht das von Dr. Claudia Benholz an der Universität Duisburg-Essen geleitete Projekt ProDaZ bereits durch seinen Namen zwei Standpunkte. Einerseits steht es für die Professionalisierung von DaZ im Rahmen einer breitgefächerten wissenschaftlichen Erforschung unterrichtlichen Geschehens und einer darauf aufbauenden sprachlich-reflexiven Lehreraus- und -weiterbildung. Anderseits ist es ein bildungspolitisches Statement pro DaZ, einer Disziplin, die seit ihrem Bestehen Marginalisierungsbemühungen seitens Wissenschaft und Politik ausgesetzt ist. ProDaZ steht damit für die Anerkennung mehrsprachiger Lebenswelten, mit dem Ziel, Chancengerechtigkeit für alle Schülerinnen und Schüler in einer sich durch Migrationsprozesse verändernden Gesellschaft herzustellen.
Das Konzept von ProDaZ baut auf dem ebenfalls von der Stiftung Mercator geförderten Projekt „Förderunterricht für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund“ an der Universität Duisburg-Essen auf, welches seit 38 Jahren Kindern und Jugendlichen aus Migrantenfamilien erfolgreiche Bildungsbiographien im monolingual orientierten deutschen Schulsystem ermöglicht. Aus diesem langjährigen Erfahrungswissen um die Bedeutung der besonderen sprachlichen Anforderungen im Unterricht für mehrsprachige Kinder entstand in Zusammenarbeit mit der Stiftung Mercator im Jahr 2010 das Projekt ProDaZ am Standort Essen.
Dieses hat drei Schwerpunkte: Erstens geht es darum, Deutsch als Zweitsprache endlich als festen Bestandteil in alle Unterrichtsfächer der universitären Lehrerausbildung aufzunehmen, was durch gemeinsam entwickelte Seminare mit den verschiedenen Fachdidaktiken und auch innerhalb der Erziehungswissenschaften im Lehramtsstudium an der Universität Duisburg-Essen geschieht. In diesen wird fachliches Lernen vor dem Hintergrund seiner sprachlichen Voraussetzungen methodisch-didaktisch reflektiert und es werden Konzepte für fachliches und zugleich sprachliches Lernen aufgezeigt. Ein konkretes Beispiel aus einer kleinen explorativen Studie von ProDaZ zum mathematischen Lernen mag den Themenkomplex verdeutlichen: Erfahrungsgemäß verfügen bisher nur sehr wenige Lehrerinnen und Lehrer sowie Studierende über das professionsrelevante Wissen, dass viele mehrsprachige Schülerinnen und Schüler in mathematischen Textaufgaben eben nicht an den im Unterricht explizit eingeübten Termini wie z.B. „Faktor“ oder „km“ scheitern, sondern an den bislang nur außerhalb von Schule (nicht) erlernbaren Äußerungen wie z.B. „eine Strecke zurücklegen“, was eben nichts mit „zurückfahren“ oder „zurücktun“ zu tun hat, wie viele Schüler ihrer inneren Regelbildung folgend doch ganz plausibler und kreativer Weise vermuten.
Darum liegt der zweite Schwerpunkt von ProDaZ in der Konzeption, Beratung und Evaluation von schulischen Fördermaßnahmen zur sprachlichen Förderung von Schülerinnen und Schülern an Schulen der Region. Diese Theorie-Praxis-Projekte kommen einerseits ganz konkret den Bildungsprozessen und -karrieren der Schülerinnen und Schüler zugute, da die daran beteiligten Lehrer und Schulen um die sprachlichen Anforderungen ihrer fachlichen Inhalte wissen und so sprachliches Lernen in den Fachunterricht integrieren. Andererseits dienen sie dazu, an den Schulen eine professionelle Fach- und Alltagskultur zu entwickeln, durch welche das Wissen um die sprachlichen Anforderungen der Fachinhalte für mehrsprachige Schülerinnen und Schüler nicht nur regulärer Bestandteil des unterrichtlichen Geschehens sondern auch des schulischen Selbstverständnisses werden soll. Damit dies schulintern gelingt, und wenn möglich, auch interschulische Diskurse angestoßen werden, unternimmt ProDaZ zudem zahlreiche Fortbildungen an Schulen in ganz Deutschland, in welchen die Lehrer der einzelnen Fachkulturen sich mit der Thematik in verschiedenen Workshops auseinandersetzen. Die Theorie-Praxis-Projekte werden darüber hinaus von ProDaZ evaluiert und weisen somit in die universitäre Forschung und Lehrerausbildung zurück.
Die ersten beiden Schwerpunkte zusammenführend wird im Rahmen von ProDaZ drittens ein Kompetenzzentrum aufgebaut, welches in Form einer Website zentrale Forschungsergebnisse, Unterrichtskonzepte und -materialien für das gemeinsame sprachliche und fachliche Lernen bereit hält, aber auch Beschreibungen vieler von den Schülerinnen und Schülern gesprochenen Sprachen anbietet.
Mit dieser dreigleisigen Strategie wendet sich ProDaZ sowohl Studierenden, Lehrkräften und Schulen zu als auch einem breitgefächerten an DaZ-Inhalten interessierten Publikum. Dabei ist ProDaZ eine stets offene Plattform für qualifizierte Beiträge aller Art, welche, um die Bedeutung von DaZ für den Bildungserfolg der sprachlich-heterogenen Schülerschaft wissend, eine mehrsprachlich- reflexive Professionalisierung des Lehrerberufs vorantreiben. Mit dem Ziel, DaZ auch in anderen Bundesländern in die Lehrerausbildung zu integrieren, wird zudem ein Transfer der an der Universität Duisburg-Essen gewonnenen Erkenntnisse an weitere universitäre Standorte angestrebt. Aktuell Meinung
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Liebe Frau Prof. Dr. Benholz,
auch ich habe die Erfahrung gemacht, dass mehrsprachige Kinder oft an ganz simplen Wörtern scheitern, z.B. an der Rechenaufgabe zu den Kosten eines Jugendherbergsaufenthaltes: Was bitte schön versteht ein türkischer Junge, der mit seinen Eltern in den Ferien immer zu Verwandten in die Türkei fährt, unter den Bezeichnungen: Unterkunft und Verpflegung? Der Junge hatte keine Probleme mehr, nachdem mit wenigen Strichen ein Bett und ein Teller mit Messer und Gabel neben die Aufgabe gezeichnet war. Er konnte sogar zu bildlich dargestellten Konstellationen selbständig Textaufgaben entwickeln. Bevor der Junge zu mir an eine Förderschule für Sprache kam, war er einer Förderschule Lernen vorgestellt worden. Doch mit wenigen Strichen löste sich die Behinderung seines Lernens in Nichts auf. Lehrer, die ja gewöhnlich einen elaborierten Code pflegen, sollten für den Erfahrungshorizont ihrer Schüler sensibilisiert werden. Das bedeutet nicht, das sie in einen restringierten Code zurückfallen, sondern dass sie die Kinder mit geeigneten Mitteln in die kognitiv-akademische Sprache einführen (vgl. Fthenakis). Dieses sprachliche Lernen ist eine fächerübergreifende Aufgabe, die Einsicht in die Lebenswirklichkeit der Kinder verlangt und sie dort abholt. Sprachliche Bildung ist ein lebenslanger Prozess und stellt eine Querschnittaufgabe in allen Fächern über die gesamte Schulzeit dar.
Rita Zellerhoff
Sehr geehrte Frau Prof. Dr. Benholz,
während man auf der einen Seite die Deutschkompetenz für schulischen und gesellschaftlichen Erfolg betont, kommt man auf der anderen Seite diesen Forderungen nicht nach. Seit dem 1. August 2012 erteilen Förderschulen in Hamburg keinen DaZ-Unterricht mehr. DaZ soll nun von Lehrern innerhalb des regulären Unterrichts vermittelt werden. Ob das gelingt bleibt fraglich. Wissenschaftliche Erkenntnisse und Notwendigkeiten scheitern an politischen Maßnahmen. Das ist die traurige Realität.