Podiumsdiskussion
Was bedeutet „Heimat“?
„Mein Herz schlägt türkisch, mein Herz schlägt deutsch“. So fasst die TV-Moderatorin Nazan Eckes ihre Gedanken zum Thema „Heimat und Identität“ zusammen. Die Definition von Heimat ist individuell sehr verschieden- das wurde bei einer Diskussionsrunde des Integrationsbeirates deutlich.
Freitag, 23.11.2012, 8:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 27.11.2012, 8:30 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Für die einen ist es das Dorf im Odenwald, in dem sie aufgewachsen sind, für die anderen der Duft von Omas Braten (Aussage von Dr. Mark Speich, Geschäftsführer der Vodafone-Stiftung) oder das gelassene Lebensgefühl in einer bestimmten Region – jeder füllt den Begriff „Heimat“ anders. Für viele ist er sogar eher ein Sehnsuchtsort als ein Ort in der Realität. „Heimatgefühle sind etwas sehr Persönliches“, sagte dazu Staatsministerin Maria Böhmer bei der Eröffnung einer Podiumsdiskussion zum Thema „Heimat und Identität in der Einwanderungsgesellschaft“ am Dienstag, 20. November.
„Unter Heimat verstehen wir lange nicht mehr nur einen Ort, der Bilder unserer Kindheit und Jugend in uns weckt, sondern vor allem auch einen Ort, wo wir uns zugehörig fühlen, verstanden werden und Perspektiven für unser Leben entwickeln können.“ Die Frage ist nur: Ist das in Deutschland möglich – für jeden? Wie fühlen sich die fast 16 Millionen Menschen hier, die eine Migrationsgeschichte haben? Sind sie in Deutschland Zuhause? Und tragen sie eine gemeinsame Zukunft mit?
Dass Begriffe wie „Heimat“ und „Zugehörigkeit“ sehr eng mit der Diskussion um die Zukunft unserer Gesellschaft zusammenhängen, hat sich in der Arbeit des Integrationsbeirats schnell herausgestellt. Staatsministerin Böhmer hatte den Beirat im Frühjahr 2011 berufen. Seit anderthalb Jahren macht sich nunmehr die Arbeitsgruppe „Heimat und Identität in der Einwanderungsgesellschaft“ Gedanken: Hat sich die Bedeutung von „Heimat“ verändert? Wie lange ist ein Migrant eigentlich ein Migrant? Wann ist ein Mensch hier angekommen – und wird auch so wahrgenommen?
„USA als Vorbild“
Ali Ertan Toprak, Vorsitzender der Arbeitsgruppe, benennt Deutschland ganz klar als seine Heimat: „Ich bin hier in den Kindergarten gegangen, meine ganzen Kindheits- und Jugenderinnerungen hängen an diesem Land. Natürlich fühle ich mich als Deutscher“, erzählt der Generalsekretär der Alevitischen Union Europa, der mit zwei Jahren aus der Türkei in die Bundesrepublik kam. Und doch habe er sich vor einiger Zeit nur nach wenigen Monaten in den USA stärker dazugehörig gefühlt als nach 40 Jahren in Deutschland. „Bei uns machen Aussehen, Hautfarbe und Herkunft oft noch einen Unterschied, ob man auch von außen als Deutscher wahrgenommen wird“, sagt er.
Dass jeder Mensch dazu eine eigene Geschichte erzählen kann, zeigen die Beiträge der anderen auf dem Podium: Dr. Sylvie Nantcha wurde eben gerade nicht nach ihrer Hautfarbe, sondern nach ihrem Können beurteilt, als sie 2009 Stadträtin in Freiburg wurde. „Es war für mich eine richtige Sensation, als ich gewählt wurde“, erzählt die 38-Jährige, die in Kamerun aufgewachsen ist und nach dem Studium in Deutschland geheiratet und eine Familie gegründet hat. „Da wurde mir klar: Ich bin hier angekommen, und die Menschen trauen mir zu, sie im Gemeinderat zu vertreten.“
„Zugehörigkeitsgefühl erkämpfen“
Die RTL-Moderatorin Nazan Eckes erzählt hingegen, dass sie sich – obwohl auch sie beruflich sehr erfolgreich ist – das Heimat- und Zugehörigkeitsgefühl erst erkämpfen musste – und manchmal sogar immer noch muss: „Mein Herz schlägt türkisch, mein Herz schlägt deutsch“, sagt die 36-Jährige, die in Deutschland geboren und aufgewachsen ist. „Ich habe beide Identitäten in mir. Aber ich habe mir auch von Klein auf die Selbstverständlichkeit erkämpft, in Deutschland dazu zu gehören.“ Dazu gehörte zum einen, bloß nicht aufzufallen, zum anderen aber auch, ihren Freunden und Freundinnen von der Kultur und den Bräuchen in ihrer Familie zu erzählen.
Tipp: Den Beschluss der Arbeitsgruppe 1 des Beirats Integration „Heimat und Identität in der Einwanderungsgesellschaft“ kann man hier runterladen. Die Handlungsempfehlungen gibt es hier.
Der Berliner Schauspieler Tyron Ricketts, dessen Mutter Österreicherin und dessen Vater Jamaikaner ist, scheint hingegen den Kampf ums Selbstverständliche immer noch zu kämpfen: „Ich warte darauf, dass mir eine Rolle angeboten wird, die die Normalität abbildet: Es gibt so viele Menschen mit Migrationsgeschichte, die sehr gut ausgebildet und in dieser Gesellschaft angekommen sind“, sagt er. Stattdessen, so der 39-Jährige, bekäme er vorrangig Angebote, schwarze Drogendealer oder arme Außenseiter ohne Zukunftsperspektive zu mimen. „Ich finde, es wird langsam Zeit, in den Medien auch andere Geschichten zu erzählen“, betont er.
Neuer Zugang zur deutschen Geschichte
Dass die Normalität anders aussieht, als sie die Medien oft zeigen, spiegelt vor allem auch die Jugend wider: „Es ist schon lange nicht mehr das Selbstverständnis der Einwanderer in der 3. oder sogar 4. Generation, dass zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund unterschieden wird“, erklärt dazu Staatsministerin Maria Böhmer. „Die Jugendlichen sagen: Deutschland ist unsere gemeinsame Heimat.“ Um diesem Heimatgefühl Raum zu geben, gelte es vor allem auch, die Geschichten der Einwanderer als „gemeinsame“ Geschichte zu hören. Der ehemalige amerikanische Botschafter in Deutschland, John Kornblum, hat im Integrationsbeirat dazu einen Begriff geprägt: „Storytelling“.
„Jeder Mensch hat seine eigene Geschichte, und wir sollten sie uns anhören“, erklärt dazu der Leiter der Arbeitsgruppe „Heimat und Identität“, Ali Ertan Toprak. „Die Geschichte der letzten 60 Jahre muss neu erzählt werden, so dass wir nicht nur im Kopf – sondern auch emotional – ein Gefühl dafür entwickeln, wie stark Einwanderer zur deutschen Geschichte dazu gehören.“ Das gebe auch der Jugend eine bessere Möglichkeit, sich hier zu verorten und von einem festen Fundament aus nach vorn zu schauen. „Wir können daraus ein ganz neues Wir-Gefühl entwickeln“, so Toprak.“Das heißt: Wir kommen weg von einer Schicksalsgemeinschaft, hin zu einer Zukunftsgemeinschaft, in der die Potenziale – und nicht die Defizite – eines jeden zählen.“ (br/hs) Aktuell Gesellschaft
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Wie fühlen sich die Deutschen unbekannter Zahl hier, die zum Islam konvertiert sind und keine Migrationsgeschichte haben? Ich hatte einen Traum: der deutsche Muslim, der islamische Religionswissenschaften studiert hat und dazu qualifiziert ist, als Vorbeter und Prediger zu fungieren, wird von seinen nichtmuslimischen Landsleuten ebenso akzeptiert und geachtet wie ein katholischer Priester oder ein evangelischer Pastor. – Keineswegs! Nach den unverantwortlichen Äußerungen eines Innenministers wird er pauschal als „potentieller Terrorist“ abgestempelt, und zudem sind viele Deutsche so schwerfällig im Denken, daß sie sich gar nicht vorzustellen vermögen, einer von ihnen könnte zum Islam konvertieren, perfekt Arabisch lernen und seine neue Religion offiziell an einer Universität im Ausland studieren. Er wird von ihnen einfach als Ausländer indentifiziert und als solcher behandelt, zum Fremden in der eigenen Heimat gemacht.
Deutschland
Heimat mein Vaterland
Dichter und Denker brachtest du hervor,
manchmal war Eisen das letzte Argument.
In Ketten blühtest du erneut zum Glanz,
von dem Alten du nur die Alten kennst.
Gepflastert mit Ehrenmale von Siegern,
die heute noch besiegen.
Große Teile aus deinem Leib verschachert,
für die, die von ihrem Sieg nicht genug kriegen.
Heimat willst du mir sein,
nähren an Mutters Brust, die Felder so weit.
Dein Leib wurde geöffnet
für eine trügerische Einigkeit.
Deutschland, Deutschland, einig Vaterland,
wo sind die Dichter und Denker hin.
Wo die Einigkeit, wo das Volk,
ewig Wachstum, dahinsiechend, keinen Sinn.
Sei mir Mutter und Vater,
bringe Halt für unsere Kinder, für das Sein.
Erbreche die, die dich zerreißen,
um nicht mit uns einig zu sein.
Einigkeit um Frieden im Handeln,
Grenzen die uns schützen.
Dein Leib soll nicht schwellen,
sonst kein Halt, wem soll das nützen.
Du kannst bunt sein,
keine einfältige Trist.
Wir sprechen eine Sprache,
die in Deutschland deutsch ist.
Ein Volk, der Kultur beraubt
bringt keine Denker hervor.
Ein Volk ohne Grenzen, ist grenzenlos,
wer anders denkt ist ein Tor.
Frank Poschau
20.07.11
http://www.frank-poschau.jimdo.com