Geschredderte Studie
Fremdenfeindliche Einstellungen in Sachsen-Anhalt auf dem Rückzug?
Laut Sachsen-Anhalt-Monitor sinkt die Ausländer- und Fremdenfeindlichkeit im Land. Ein klarer Widerspruch zu den Erhebungen der Friedrich-Ebert-Stiftung. Wie das kommt? Ganz einfach: Man lässt unliebsame Teile der Befragung einfach weg.
Dienstag, 27.11.2012, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 08.01.2020, 15:45 Uhr Lesedauer: 2 Minuten |
Sachsen-Anhalts Kultusminister Stephan Dorgerloh (SPD) vermeldet Erfreuliches: „Fremdenfeindliche Einstellungen auf dem Rückzug.“ So jedenfalls lautet die Überschrift einer Pressemitteilung von vergangener Woche. Laut dem Sachsen-Anhalt-Monitor 2012 seien rechtsextreme sowie ausländerfeindliche Einstellungen zurückgegangen, das Ausmaß an Fremdenfeindlichkeit in den letzten drei Jahren weiter abgeschwächt. Außerdem sei Sachsen-Anhalt im gesamtdeutschen Vergleich und innerhalb Ostdeutschlands nicht durch überdurchschnittlich starke ausländerfeindliche Einstellungen gekennzeichnet.
Damit kommt der Sachsen-Anhalt-Monitor zu anderen Ergebnissen als etwa die zuletzt vorgestellte Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES), die bei jedem sechsten Ostdeutschen ein „geschlossenes rechtsextremes Weltbild“ ausgemacht hatte. Nach den Erhebungen des Landes machen sich nur kleine Minderheiten fremdenfeindliche und antisemitische Anschauungen zu Eigen.
Der „harte Kern“
So liege der „harte Kern“ derer, die ausländerfeindliche Einstellungen vertreten, „deutlich unterhalb der 10-Prozent-Marke“. So stimmten beispielsweise der Aussage, dass bei knapper werdenden Arbeitsplätzen Ausländer wieder in ihre Heimat geschickt werden sollten, im Sachsen-Anhalt-Monitor nur 9 Prozent der Befragten zu. Die FES-Studie hatte bei den Ostdeutschen zu dieser Frage eine Zustimmung von 42 Prozent ermittelt.
Die Landesregierung nehme dennoch sowohl den Sachsen-Anhalt-Monitor als auch die Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung sehr ernst. Das erweist sich bei einem näheren Blick und nach einem Vergleich beider Erhebungen als weiser Schluss. Denn die Ursache für die Diskrepanz zwischen der FES Studie und des Sachsen-Anhalt-Monitors steckt im Detail. Kultusminister Dorgerloh nennt zwei Faktoren: die Zahl der Befragten und die unterschiedliche Methodik. Was er damit meint, lässt sich nicht konkretisieren.
Ein No-Go!
Fakt ist allerdings, dass die FES Studie die gesamte Bandbreite der Umfrageergebnisse zu ausländer- und fremdenfeindlichen Einstellungen berücksichtigt. Der Sachsen-Anhalt-Monitor hingegen begnügt sich nur den „harten Kern“, das heißt, dass der Kultusminister nur jene zählt, die ausländer- und fremdenfeindlichen Aussagen „voll und ganz“ zustimmen. Jene, die diesen Aussagen „teilweise“ oder gar „überwiegend“ zustimmen, werden komplett ausgeblendet.
Auch in dem veröffentlichten 126-Seiten-Bericht sind diese Daten nicht zu finden. Dass sie erhoben wurden, steht außer Frage. Alles andere wäre ein wissenschaftliches No-Go, genauso wie das Fazit des Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff (CDU). Er kommentierte die Zahlen des Monitors wie folgt: „Ermutigung für unsere politische Arbeit.“ (bk) Leitartikel Politik Studien
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Danke für den Hinweis! Wurde bei den Autoren nach den Rohdaten gefragt?
Tab. 28 auf Seite 96 ist entlarvend: „Moscheen passen nicht in das
Bild deutscher Städte.“ Volle Zustimmung von 25 Prozent der Sachsen-Anhalter dazu. Auch die Fremdenfeindlichkeitsindidkatoren von durchschnittlich 2,5 auf den Seiten davor zeigen doch ein anderes Bild.
@Hans:
Das ist nicht entlarvend. Die Frage lässt – unglücklich für diese Studie – mehrere Interpretationen bei den Befragten zu. Entweder die Befragten bejahen diese Antwort, weil sie der Meinung sind, dass der Islam nicht zu Deutschland passe. Oder sie bejahen die Antwort, weil sie der Meinung sind, dass die Moscheen als Gebäude städtebaulich nicht mit dem Rest der (Alt-)Stadt harmonieren.
Ersteres wäre Fremdenfeindlich, zweiteres dagegen eher eine Frage der Ästhetik. Fremdenfeindlichkeit darf auf keinen Fall verharmlost werden. Aber diese Frage taugt, meiner Meinung nach, nur bedingt als Indikator. Denn dazu müsste klar sein, ob der Islam als Religion oder die Moschee als Stadtgebäude (unter dem Aspekt der Ästhetik) gemeint war. Und wenn man weiß, wie kontrovers neue Gebäude in Altstädten diskutiert werden (z.B. die Grüne Zitadelle in der Nähe des Magdeburger Doms), dann bekommt die Interpretation der Frage eben auch diesen (zweiten) Aspekt.
Wie gesagt: Fremdenfeindlichkeit auf keinen Fall relativieren. Aber: Statistiken immer richtig lesen. Spätestens seit Thilo Sarrazin wissen wir ja, was passiert, wenn jemand zu doof ist Statistiken richtig zu interpretieren.
@Migazin:
Zu Sachsen-Anhalt:
Sachsen-Anhalts Problem ist, dass es zu ländlich ist. Menschen, die noch nie bewusst einen Ausländer getroffen haben, sind leichte Beute für rechte Parteien. Die Leute könnten sich ja kein eigenes Urteil bilden. Erschwerend kommt bei Älteren die ausländerfeindliche Politik der DDR, die damals fehlende Reisefreiheit und ggf. Kriegserfahrungen hinzu. Bleibt zu hoffen, dass die junge Generation, die bereits über soziale Netzwerke (auch: Schüleraustausch oder Reisen) internationale Kontakte knüpfen bzw. pflegen kann, wirklich eine Trendwende (wie sie im Sachsen-Anhalt-Monitor hervorgehoben wird) einleitet.
Zur FES-Studie:
Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat in Sachsen-Anhalt nur ca. 80 Menschen befragt. Das ist nicht wissenschaftlich, da bei aussagekräftigen Studien gewöhnlich über 1.000 Menschen befragt werden (Gesetz der großen Zahlen). Zudem kommt es auf die Art der Auswahl der Befragten an. Bei Telefoninterviews ist die Wahrscheinlichkeit, Rentner und Arbeitslose zu erwischen, verständlicherweise viel höher. Der Sachsen-Anhalt-Monitor berücksichtigt dagegen auch Alter, Herkunft, Beruf und Bildung. Dies ist übrigens auch die abweichende Methodik, von welcher der Minister gesprochen hat.
@Mathias
Die FES Studie führte keine Telefoninterviews durch, sondern ermittelte die Befragten in einer mehrstufigen Zufallsstichprobe. Telefoninterviews führte dagegen die Studie des Sachsen-Anhalt Monitors durch. Im Gegensatz zur FES-Studie wurde im Sachsen-Anhalt-Monitor keinerlei Angabe darüber gemacht, wie die Zufallsstichprobe gezogen wurde.
Vom wissenschaftlichen Standpunkt wurde die FES Studie – anders als Sie behaupten – vernünftig dargestellt. Die Sachsen-Anhalt-Monitor Studie ist wegen der fehlenden Angaben zur Methodik nicht verifizierbar.
Was die Anzahl angeht, so macht die FES Studie keine gesonderten Angaben über Sachsen-Anhalt, sondern erfasst ganz Ostdeutschland. Die Stichprobengröße von etwa 500 ist zwar niedriger als von Sachsen-Anhalt Monitor, kann aber definitiv nicht als Erklärung für die statistisch signifikanten Unterschiede zwischen beiden Untersuchungen herhalten. In diesem Punkt redet Kultusminister Dorgerloh Unsinn und offenbart, dass er von Statistik nicht viel versteht.
Aber wenn die FES-Studie keine Aussage über Sachsen-Anhalt trifft, frage ich mich, worüber wir eigentlich reden? Ein Vergleich zwischen einer Studie, die Aussagen über Ostdeutschland trifft, mit einer anderen Studie über Sachsen-Anhalt zu vergleichen, geht nicht.
Es ist die Frage, ob die sozidemographische Beschreibung der Stichprobe (der FES-Studie) tatsächlich der Lebenswirklichkeit entspricht. In Westdeutschland hätten demnach 77,4% der Bevölkerung maximal einen Realschulabschluss. Und in Ostdeutschland müssten ca. 40% Rentner leben. Darüber hinaus ist die Kirchenzugehörigkeit der Befragten in Ostdeutschland mit 36,6% definitiv zu hoch. Bildung, Alter und Religion spielen bei der Fragestellung aber keine unwichtige Rolle.
Ach, was soll’s. Lieber die Zukunft verändern als ständig die Gegenwart neu zu interpretieren.
@Mathias
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Aber wenn die FES-Studie keine Aussage über Sachsen-Anhalt trifft, frage ich mich, worüber wir eigentlich reden?
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Das müssen Sie approxima fragen. Approxima ist eine Gesellschaft für Marktforschung, die nach eigenen Aussagen die Sachsen-Anhalt Studie methodisch betreute. In ihrem Aufmacher zur Studie brachte approxima den Vergleich mit der FES Studie ins Spiel. Das wiederum wirft natürlich Fragen auf, wie sie auch von Migazin prompt gestellt werden.
Methodisch ist der Vergleich mit der FES Studie ein Fehler. Man kann nur hoffen, dass approxima in der Sachsen-Anhalt Studie selbst nicht so schlampig die Methodik betreute.
Inwieweit die Befragten einen repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung sind, lässt sich ja bei der FES Studie leicht überprüfen. Bei der Sachsen-Anhalt Studie allerdings – so weit ich das überblicke – nicht, weil zu viele Informationen fehlen. Beim Verfassen der Studie hat man auf die Darstellung der Methodik offenbar kein Wert gelegt. Das ist meist ein Zeichen von Unseriösität.
Komisch, dass Sie dennoch der FES Studie eher kritisch gegenüber stehen und folglich diese mehr auf Herz und Nieren prüfen als im Falle der Sachsen-Anhalt Studie. Bei mir ist es wegen der fehlenden Informationen und unsinniger Vergleiche genau umgekehrt.
@ aloo masala
Was hat Statistik mit der Auswahl von Stichproben zu tun? Die Auswahl von Stichproben geschieht aufgrund sozialwissenschaftlicher methodischer Standards, erst bei der Auswertung kommt die Statistik ins Spiel. Und ja, auch Telefoninterviews kann man wissenschaftlich korrekt durchführen
Das die Friedrich-Eber-Stiftung als SPD-Stiftung Ergebnisse auf Bestellung liefert, wurde mittlerweile von vielen renommierten Wissenschaftlern aufgezeigt. Die Fragen sind einfach tendenziös, die Stichproben viel zu klein etc…
Versteh mich nicht falsch. Einer Studie, die ihre zu Grunde liegende Methodik nicht offenlegt kann noch weniger ernst genommen werden. Tatsächlich scheinen wir uns mitten in einem Studienkrieg zu befinden. Wie in jedem Krieg dürfte die Wahrheit das erste Opfer sein….
Mit freundlichen Grüßen
Bierbaron
@Bierbaron
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Was hat Statistik mit der Auswahl von Stichproben zu tun?
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Was hat die Auswahl der Zutaten und Gewürze mit Kochen zu tun? Wenn bei der Stichprobe etwas schief läuft, dann ist die statistische Datenanalyse kaum aussagekräftig für die Grundgesamtheit.
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Die Auswahl von Stichproben geschieht aufgrund sozialwissenschaftlicher methodischer Standards, erst bei der Auswertung kommt die Statistik ins Spiel.
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Die Stichprobe ist wie die „Auswertung“ einer von mehreren Teilschritten bei der praktischen Umsetzung der Statistik. Man kann das nicht voneinander trennen.
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Das die Friedrich-Eber-Stiftung als SPD-Stiftung Ergebnisse auf Bestellung liefert, wurde mittlerweile von vielen renommierten Wissenschaftlern aufgezeigt. Die Fragen sind einfach tendenziös, die Stichproben viel zu klein etc…
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Beleg? Trifft es auch auf die aktuelle Studie zu?
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Jetzt sind die ergänzenden Informationen zum Sachsen-Anhalt-Monitor 2012 endlich online: http://www.sachsen-anhalt.de/index.php?id=26088