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Österreichische Befindlichkeiten

100 Jahre Islamgesetz in Österreich

Der Erlass des Islamgesetzes durch Kaiser Franz Josef im Jahre 1912 war Grundlage für die Gleichstellung der islamischen mit anderen anerkannten Religionsgemeinschaften in Österreich. Dass die Umarmung der Muslime durch die Monarchie nicht dem Toleranzgedanken entsprungen war, zeigt der Rückgriff in die Geschichte.

Von Helga Suleiman Mittwoch, 28.11.2012, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 14.02.2013, 15:47 Uhr Lesedauer: 8 Minuten  |  

Ja, in Österreich gibt es ihn, den islamischen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen. Dieses Schuljahr besuchen ihn mehr als 57.000 muslimische SchülerInnen an ca. 2000 Schulen. Die Ausbildung der ReligionslehrerInnen erfolgt am Privaten Studiengang für das Lehramt für islamische Religion in Wien, kurz IRPA, einer der offiziellen islamischen Bildungseinrichtungen in Österreich.

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Nicht zu Unrecht wird Österreich europaweit als vorbildlich betrachtet, was die Gleichstellung der islamischen mit anderen staatlich anerkannten Religionsgemeinschaften betrifft. Islamische Bildung, Seelsorge, Bestattung und Errichtung von Gebetsstätten erfahren in unablässig gesetzten Schritten ständige Erweiterung und Bereicherung – dank engagierter Gemeinschaften der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) und UnterstützerInnen.

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Innerhalb des rechtlichen Rahmens von der Gleichstellung hin zur Gleichbehandlung bleibt noch viel zu tun. Die de facto bevorzugte Stellung der traditionsbewussten katholischen Kirche wird dabei noch lange unangefochten bleiben, nicht zuletzt wegen ihrer großzügig von Staat und SteuerzahlerIn subventionierten Institutionen.

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Den Enthusiasmus vieler MuslimInnen, die in Österreich das Jubiläum „100 Jahre Islamgesetz in Österreich“ feiern, mindert das nicht. Zahlreiche glamouröse Veranstaltungen mit Würdenträgern aus Nah und Fern lassen die Geschichte hochleben. Ihre gehaltvollen Reden sind voll mit Lob und wenig Tadel für die historische und gegenwärtige Situation der MuslimInnen im Land.

Das sei Anlass, hier einen genaueren Blick in die Geschichte zu werfen. Denn bei aller Feierlaune darf die Freude über das 1912 durch Kaiser Franz Josef erlassene Islamgesetz nicht in ein unkritisches Bejubeln der österreichisch-ungarischen Monarchie ausufern.

Der Gesetzeserlass war Resultat handfester machtpolitischer Überlegungen, in deren Zentrum Bosnien stand. Bosnien war über mehrere Jahrhunderte hinweg bevorzugtes Objekt kolonialer Begehrlichkeit der kakanischen 1 Monarchie auf dem Balkan.

Schon unter Leopold I. um 1680 plante man die Übernahme des strategisch wichtig gelegenen Landes zwischen östlicher Adriaküste und den Donaumündungen. Tatsächlich war es der Zugang zur Adria, der in den kolonialen Begierden der Monarchie bezüglich Bosniens seit jeher eine zentrale Rolle spielte.

Die erste Inbesitznahme bosnischer Länderein im Jahr 1718 – nach dem „Frieden von Počarevac“ – war das Resultat 40-jähriger monarchischer Eroberungsanstrengungen. Diese waren auch gegen das osmanische Reich gerichtet, unter dessen Verwaltung Bosnien stand.

Kaiser Karl VI. wollte den wirtschaftlichen Aufschwung seines Reiches voranbringen, indem er den „türkischen Untertanen“ volle Handelsfreiheit und Recht auf Gründung von Manufakturen und Handelsniederlassungen zusagte. Damit war aber keine religiöse Toleranz gemeint. Denn 1737 rief er alle BosnierInnen auf, zum Christentum überzutreten. Nur dann werde er ihnen Schutz und Garantie auf ihren Besitz gewähren. Aus der angedrohten Zwangskonvertierung wurde nichts, weil Karl das Gebiet nicht erobern konnte.

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts – mit den Kriegen der Monarchie gegen das osmanische Reich – wurden erneut militärische Übergriffe auf Bosnien gestartet, die erfolglos blieben. Dabei spielte eine Rolle, dass die bosnische Bevölkerung sich aus vielen muslimischen Flüchtlingen zusammensetzte. Sie waren aus Gebieten geflüchtet, die das osmanische Reich aufgeben hatte müssen. Überliefert ist aus der Zeit eine ausgeprägte Abwehrhaltung der Bevölkerung gegen jede fremdherrschaftliche Ambition, an erster Stelle die österreichische.

Tatsächlich gab es Überfälle von bosnischer Seite, die k.k.-Grenztruppen in Gefechte verwickelten. Die k.k.-Armee reagierte darauf mit brutalen Strafexpeditionen mit hunderten Toten und der Zerstörung ganzer Dörfer.

Das 18. und 19. Jahrhundert ist in Europa generell gekennzeichnet durch kriegerische Auseinandersetzungen unter den europäischen Großmächten. Sie teilten eroberte Länder als Kriegsbeute untereinander auf und tauschten sie aus. Am Wiener Kongress 1814/15 wurde Dalmatien, ein schmaler, Bosnien vorgelagerter Küstenstreifen an der Adria, zu einem Kronland der österreichischen Monarchie.

Feldmarschall Radetzky, nach dem unzählige Straßen in Österreich benannt sind, war ein Verfechter der Eroberung Bosnien-Herzegowinas. Damit wollte er die Küste Dalmatiens militärisch absichern und in Folge ökonomisch nutzbar machen. Dagegen sprach das Interesse der Monarchie, am – mittlerweile zum Bündnispartner gewordenen – Osmanischen Reich festzuhalten. Dieses Interesse hinderte sie aber nicht daran, sich als Schutzherr christlicher Bauern in Bosnien zu gebärden und so ökonomische in konfessionelle Konflikte umzuwandeln. Das Land wurde destabilisiert und die eigenen Interessen vorangetrieben.

Zu Beginn der 1850er Jahre kam es zu schweren Unruhen innerhalb der Bevölkerung Bosniens, die durch osmanische Truppen niedergeschlagen wurden. 1856 versuchte Radetzky ein weiteres Mal die Monarchie dazu zu bewegen, sich Bosniens zu bemächtigen. Sein Argument: Der Schutz Dalmatiens, das ohne Hinterland vom monarchischen Kernland nur per Schiff zu erreichen war. Es gab keine Eisenbahnlinie dorthin und keine geeigneten Straßen für militärische Bewegungen. Sollte also ein Angriff auf Dalmatien erfolgen, wäre dessen Verteidigung ohne Zugriff auf das dahinter liegende Bosnien unmöglich.

Noch brisanter wurde die Bosnien-Frage nach dem verlorenen Krieg Österreichs gegen Preußen und Italien im Jahr 1866. Die Monarchie musste Venetien mit Zugang zum Meer aufgeben.

Zu dem Zeitpunkt waren zahlreiche Diplomaten und Militärs der Meinung, dass der Zerfall des Osmanischen Reichs beschlossene Sache sei. Sie drängten darauf, dem russischen Zarenreich zwei Besitzungen im Osten anzutragen, um im Gegenzug die Zustimmung zur Okkupation von Bosnien-Herzegowina zu erhalten.

Auf dem Berliner Kongress 1878 wurde diese schließlich besiegelt. Der Widerstand der bosnischen Bevölkerung gegen die Inbesitznahme war so heftig, dass erst dreißig Jahre später die staatsrechtliche Eingliederung in die Monarchie erfolgen konnte.

Die neue Macht brachte ein neues gesellschaftlich-politisches System und eine andere Sprache ins Land. Die neue Schrift war Lateinisch. Die bisherigen Volkssprachen Arebica und Bosancica (überliefert seit dem 14. Jahrhundert) wurden abgeschafft und als Landessprache „Serbo-Kroatisch“ eingeführt. Viele BosnierInnen flüchteten unter diesem Druck in türkische Städte wie Izmir, Bursa und Instanbul.

  1. In seinem Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“ prägte der Schriftsteller Robert Musil das Wort Kakanien (von „k. k.“ für „kaiserlich-königlich“) als ironische Bezeichnung für die österreichisch-ungarische Monarchie.
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  1. SuLinn sagt:

    Ein toller, informativer Artikel!
    DANKE für die Einblicke in ein Stück europäischer Geschichte…

  2. mustafa sagt:

    „Innerhalb des rechtlichen Rahmens von der Gleichstellung hin zur Gleichbehandlung bleibt noch viel zu tun. Die de facto bevorzugte Stellung der traditionsbewussten katholischen Kirche wird dabei noch lange unangefochten bleiben“

    Leider, das ist halt der Rassismus in den westlichen Ländern. Wir Muslime werden immer hinten anstehen müssen. Man gönnt uns immer nur ein bisschen was, damit sie nicht sagen können, sie würden nichts tun. In echt aber tut man gar nichts.

  3. Einspruch sagt:

    @Mustafa
    In islamischen Ländern ist es schon immer normal das Andersgläubige hinten anstehen. Da regieren auch die Muslime und zwar total. Also was soll dieses gejammer?