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Rezension zum Wochenende

Neonazirechte: Nach dem Verfassungsschutz von Horst Meier und Claus Leggewie

Zunächst möchte man Karl Kraus’ „Zu Hitler fällt mir nichts ein!“ dahin abwandeln, die Verfasser hätten zur deutschen Verbotshysterie und der ständig wiederholten Absicht unserer politischen Klasse, der NPD im zweiten Anlauf endlich den Garaus zu machen, eigentlich schon genug treffliche Kritik beigesteuert.

Von Günter Bertram Freitag, 08.02.2013, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 13.12.2013, 22:19 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Dennoch muss man ihnen nach Lektüre des hier angezeigten Buches bescheinigen, das leidige Thema mit Recht noch einmal angepackt zu haben: Schon deshalb, weil sie sich jetzt auch das aktuelle Argument vorknüpfen, die NSU-Mordserie zeige die Gefährlichkeit der verpönten Partei, die nun endlich von der politischen Bildfläche verschwinden müsse. Sie weisen die Aberwitzigkeit dieser Behauptung nach und versäumen nicht, die dubiose Rolle genau auszuleuchten, die der Verfassungsschutz im Dunstkreis der NSU-Täter offensichtlich gespielt hatte 1.

Wie aber der Titel ihrer Schrift schon ansagt, geht es ihnen weniger um Einzelheiten als um ein politisches Prinzip, ja um die Grundbefindlichkeit eines freien Gemeinwesens überhaupt. Sie fragen, ob unsere gern gerühmte „wehrhafte Demokratie“, die uns der Parlamentarische Rat vor über sechzig Jahren mit den Artikeln 18, 21 II und 79 III des GG beschert hat, sich nicht – mitsamt dem drauf gesattelten „Verfassungsschutz“ – schon längst als ein Danaergeschenk erweist – erweisen musste 2.

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„Wenn die andere Hand wieder nimmt, was die eine zuvor gegeben hatte, dann stimmt etwas nicht. Ein Recht, das praktisch nicht ausgeübt werden kann, ist bloßes Papier, fast ein Hohn.“

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Die Crux liege darin, dass schon das Grundgesetz und dann auch, dessen vormundschaftliche Tendenz verschärfend und überbietend, Gesetzgebung, Gerichte und Innenverwaltungen sich auf „falsche“ Gesinnungen, Gedanken, Meinungen, Proklamationen, Absichten, Fernziele usw. als ihre Verbots- und Überwachungskriterien kapriziert hätten, statt sich auf Handfestes, Greifbares, Vordergründiges – kurzum auf „clear and present danger“ zu konzentrieren und zu beschränken.

Diese überzeugende Analyse und bohrende Frage durchzieht und prägt die ersten sechs Kapitel („Nationalsozialistischer Untergrund“ / „In der V-Leute-Falle“ / „Die Erfindung des Verfassungsschutzes“ / „Was macht eigentlich der Verfassungsschutz?“ / „Die Lebenslüge ‚Frühwarnsystem‘“ / „Wie lange noch?“), an welche die Verfasser dann ihre schlüssig entwickelte „Skizze einer neuen Sicherheitsarchitektur“ anschließen: Abschaffung aller Verfassungschutzämter, deren legitime Aufgaben (Gefahrenabwehr) der Polizei übertragen werden könnten und sollten. Zunächst nahe liegende Einwände („politische Polizei“?) werden aufgegriffen und m. E. schlüssig entkräftet.

Dann aber folgt auf sechs Seiten 3 ein etwas überraschendes achtes Kapitel: „Nach dem Verfassungsschutz: Eine unabhängige Stiftung zur Verteidigung der Demokratie“. Was die Verfasser darin propagieren, ist vom „Aufstand der Anständigen“, zu welchem einst Bundeskanzler Gerhard Schröder aufgerufen hatte 4, kaum zu unterscheiden. Jetzt wird die „innerstaatliche Verrufserklärung“ 5, die zuvor mit Leidenschaft und zwingender Rationalität verdammt worden war, plötzlich durch eine inner-gesellschaftliche Feinderklärung ersetzt, mit deren Aktionen, so scheint mir, alles wieder einkassiert werden soll, was der Staat seiner Verfassungsbindung wegen ihnen (jedenfalls in letzter Instanz!) nicht hatte vorenthalten können, so dass die Rolle des Staates (konkret: des Bundesjugendministeriums) nur darin bestehen soll, die Bürgeraktionen „gegen Rechts“ finanziell – allerdings dann ohne wenn und aber 6 – zu fördern…

Die Gerichte treten dem Furor “gegen Rechts” gelegentlich entgegen und sprechen auch NPD-Leuten und anderen verdächtigen Zeitgenossen ihre verfassungsmäßigen Rechte zu – etwa die Freiheit zu demonstrieren. Soll es nun die “Zivilgesellschaft” sein, die Neonazi-Aufmärsche verhindert? 7 Wenn die andere Hand wieder nimmt, was die eine zuvor gegeben hatte, dann stimmt etwas nicht. Ein Recht, das praktisch nicht ausgeübt werden kann, ist bloßes Papier, fast ein Hohn. Vielleicht missversteht der Rezensent die Autoren, wenn er dies einen inneren Widerspruch nennt. Der Leser, die Leserin möge das selbst herausfinden und entscheiden, aber dafür muss man sich das angezeigte Buch erst einmal vornehmen. Es lohnt in jedem Falle!

  1. vgl. dazu etwa S. 16ff: „Endlosschleife Parteiverbot: NPD und NSU“
  2. vgl. etwa S. 62ff. – Exkurs: Kritik der „Streitbaren Demokratie“
  3. S. 160ff.
  4. kritisch etwa Ingo von Münch: „Der Aufstand der Anständigen“, in: Neue Juristische Wochenschrift 2001, 728 (732).
  5. vgl. dazu etwa S. 113: „Wer bestimmt den Verfassungsfeind?“, „…die innerstaatliche Feinderklärung gehorcht der Forderung des Tages“, S. 71.
  6. vgl. S. 161/162.
  7. vgl. S. 160.
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