Ankommen im 21. Jahrhundert
Mehrstaatlichkeit im Einwanderungsland
Die Optionspflicht ist ein fauler Kompromiss aus dem Jahr 1999. SPD, Grüne, Linke und selbst der Urheber dieser Regelung, die FDP, sehen das mittlerweile ein. Nur einige ländlich-konservative Unionspolitiker sind immer noch nicht angekommen im 21. Jahrhundert.
Von Yasin Baş Mittwoch, 27.02.2013, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 01.12.2015, 9:27 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Einen „faulen Kompromiss“ nennen Beobachter die Optionspflicht zur doppelten Staatsbürgerschaft in Deutschland. Die 1999 beschlossene Regelung zwischen der damaligen rot-grünen Regierung unter Gerhard Schröder und der Opposition sieht vor, dass ein in Deutschland geborenes Kind ausländischer Eltern automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit neben der Staatsangehörigkeit der Eltern erhält, wenn sich ein Elternteil seit mindestens acht Jahren in Deutschland aufhält. Das Kind muss sich jedoch nach Eintritt der Volljährigkeit entweder für die Staatsangehörigkeit seiner Eltern bzw. des Elternteils oder für das Land, in dem es geboren wurde, entscheiden. Fällt die Entscheidung nicht bis zum 23. Lebensjahr, geht die deutsche Staatsangehörigkeit automatisch verloren.
Ausgenommen sind Kinder und Jugendliche aus EU-Staaten und der Schweiz. Diese Regelung, die nach Willkür und Ausgrenzung riecht, trägt bei der großen Mehrzahl der türkischen Jugendlichen und deren Eltern zur Verunsicherung bei. Viele Mädchen und Jungen, die vor allem verwandtschaftliche Beziehungen in die Türkei haben, möchten gerade beide Staatsangehörigkeiten behalten, weil sie sich sowohl in der Türkei als auch in Deutschland heimisch und wohlfühlen. Diese Jugendlichen sind hier geboren, aufgewachsen, sozialisiert und loyale Bürger dieses Landes. Sie pflegen aber auch eine besondere, vor allem emotionale Verbundenheit mit dem Land ihrer Eltern und Großeltern. Daher ist zu beobachten und festzustellen, dass diese Jugendlichen nicht in „entweder oder“, sondern in „sowohl als auch“ Kategorien denken und fühlen.
Menschen in eine einzige Identität hineinpressen zu wollen, ist scheinheilig. Der indische Wirtschaftswissenschaftler, Philosoph und Soziologe Amartya Sen bezeichnet diesen Vorgang als „Identitätsfalle“. Auch die Frage, zu wie viel Prozent man sich als Deutscher und zu wie viel Prozent als Türke, Araber oder einer anderen Ethnie zugehörig fühlt, ist absurd. Man kann sich 100 Prozent als Türke fühlen und ebenso zu 100 Prozent als Deutscher, aber auch zu 100 Prozent als Bayern München-Fan oder als Umweltaktivist. Diese eindimensionale Denkweise scheint aber für manche „alten“, konservativen Köpfe immer noch als Maßstab zu gelten. Deutschland ist aber ein Land, das sich wandelt. Ein Land, das dabei ist, vielfältiger zu werden und mehrdimensional zu denken. Dies sollten gerade auch die Parteien berücksichtigen, die in letzter Zeit, z.B. bei den Wahlen in Niedersachsen, nur sehr knapp verloren haben.
Laut Informationen der Bundesregierung sind derzeit 16 Fälle bekannt, in denen junge Menschen gegen ihren Willen den deutschen Pass verloren haben. Allein in diesem Jahr werden noch 3.300 Mehrstaatler das Optionsverfahren durchlaufen, sich also für eine Staatsbürgerschaft entscheiden müssen. In den kommenden Jahren soll diese Zahl gar auf 7.000 anwachsen. Einer Prognose des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) soll es im Jahre 2018 etwa 40.000 Optionspflichtige geben, die möglicherweise ihre deutsche Staatsbürgerschaft verlieren werden.
Eine weitsichtige Politik darf die Menschen nicht zwingen, sich für ein Land entscheiden zu müssen. Im Wettbewerb mit anderen Nationen, wo es um nationale aber auch europäische Interessen geht und vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels, kann Deutschland gerade von der doppelten Staatsbürgerschaft profitieren. Aus Doppelstaatlern können vorzügliche Brückenbauer werden. Bekir Alboğa (DITIB) ist ein gutes Beispiel für so einen Brückenbauer. Er hat kürzlich die doppelte Staatsbürgerschaft erhalten. Dies ist ein Beweis dafür, dass Menschen sowohl dem Land, in dem sie leben als auch ihrem Herkunftsland nützlich sein können. Falls man dies aber verhindern möchte, bleiben Verlautbarungen von Regierungsvertretern, dass Vielfalt unser Land bereichere oder dass es hier eine Willkommenskultur gebe, lediglich unbedeutende und wertlose Lippenbekenntnisse.
Es war ein Fehler der damaligen rot-grünen Bundesregierung, diesem Optionsmodell zuzustimmen. Doch sowohl die SPD als auch die Grünen scheinen aus ihren Fehlern gelernt zu haben, sodass beide Parteien bereits 2011 einen leider gescheiterten Versuch unternommen haben, diesen Fehler zu revidieren. Die Politiker erinnern sich sicherlich noch an ihre Wahlversprechen der letzten Landtagswahlkämpfe. Sie haben Lösungsansätze zu diesem Thema unterbreitet und versprochen, sich der Thematik nach einer Regierungsübernahme zu widmen.
Nachdem Rot-Grün nach den Landtagswahlen in Niedersachsen die Mehrheit im Bundesrat bekommen hat, käme ein erneuter Vorstoß in dieser Frage der doppelten Staatsbürgerschaft sowie der Abschaffung der Optionspflicht gerade jetzt, vor den Bundestagswahlen, überaus gelegen. Die große Mehrheit der wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger mit Migrationsbiographie würde dies bei den Bundestagswahlen sicher nicht unhonoriert lassen.
Auch die Bemühungen der FDP bei diesem Thema sind nicht von der Hand zu weisen und werden registriert. SPD, Linke, Grüne und FDP könnten Mut zeigen und das Thema groß auf die politische Agenda setzen und verfolgen, damit das Problem endlich eine nachhaltige Lösung findet. Die Union dagegen muss sich selber die Frage stellen, ob sie sich den Positionen der ländlich-konservativen Parteikollegen unterordnet oder die großstädtischen, migrantischen und vielfältigen Realitäten dieses Landes anerkennt. Kurz: Die Union muss sich fragen, ob sie im 21. Jahrhundert ankommen möchte. Aktuell Meinung
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Mir hat hier noch keiner erklären können, welche Staatsangehörigkeit denn nun bei den Doppelstaatlern gilt. Man kann doch bei der dritten Generation nicht mehr von „Willkommenskultur“ sprechen. Die Leute sind da. Sie sind hier geboren. Etc. pp.
Wenn klar ist, dass die deutsche Staatsangehörigkeit gilt, dann soll – von mir aus – jeder soviele Pässe mit sich rumtragen, wie er kriegen kann. Aber den deutschen Pass gibt’s nur, wenn die dort dokumentierte deutsche Staatsangehörigkeit auch gilt.
EU-Staaten und die Schweiz sind ausgenommen? Das glaube ich nicht. Wo sind denn im Staatsangehörigkeitsrecht diese Länder erwähnt?
Wenn natürlich alle Streitfragen im Zusammenhang mit der „doppelten“ Staatsangehörigkeit in zwischenstaatlichen Verträgen geregelt sind (z.B. Steuern, Erbschaften, Militärdienst, etc.), dann könnte man großzügiger verfahren. Bei der ersten Generation! Aber doch nicht bei Enkeln und Urenkeln der Einwanderer.
Die so geregelte „doppelte“ Staatsangehörigkeit wäre dann auf einer Seite so ausgehöhlt, dass dann eine „Blaue Karte“ übrig bliebe.
Ob EU-Bürger, Schweizer, Türke oder Amerikaner: irgendwann sollte man als Abkömmling von Einwanderern mal in Deutschland angekommen sein! Auch im eigenen Interesse!
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Hallo Werner,
zu Ihrem ersten Posting: auch bei Mehrstaatlern gilt in Deutschland NUR die deutsche Staatsangehörigkeit und keine andere. Sie können auch fünfzehn andere Pässe haben, das interessiert aber keinen, wenn man die deutsche Staatsangehörigkeit hat. Ein Mehrstaatler hat auch keinen konsularischen Schutz in Deutschland (von einem der anderen 15 Länder dessen Pässe er besitzt), da er ja in Deutschland NUR als Deutscher gilt.
Zu Ihrem zweiten Posting: „EU-Staaten und die Schweiz sind ausgenommen? Das glaube ich nicht. Wo sind denn im Staatsangehörigkeitsrecht diese Länder erwähnt?“
Im Staatsangehörigkeitsgesetz § 12 (2) steht:
(2) Von der Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 wird ferner abgesehen, wenn der Ausländer die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union oder der Schweiz besitzt.
Kann auch hier nachgelesen werden: http://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/rustag/gesamt.pdf
Hier gibt es noch einige weitere Staaten (außer den von Ihnen erwähnten), wo Mehrstaatigkeit hingenommen wird: http://www.info4alien.de//einbuergerung/themen/12-1-2.htm
Einfach mal selber googeln…
Und was die Abkömmlinge von Einwanderen angeht, da würde ich nicht nur die Schuld bei denen suchen, sondern mich auch mal fragen, wieso der deutsche Staat bis zu Schröders letzten Reform des Staatsangehörigkeitsrechts, Kindern der 3./4. Generation immer noch keine deutsche Staatsbürgerschaft gegeben hat. Erst seit Schröders Reform und dem übelriechenden Kompromiss (Optionszwang) werden hier geborene Kinder von Ausländern per Geburt Deutsche. Vorher war das nicht so…
@Non-eu-alien
Sie müssen aber schon zugeben, dass Menschen mit Doppelpass weltweit gesehen mehr Rechte haben als Menschen mit nur einem Pass. Gleichzeitig, aber nicht mehr Pflichten tragen müssen. Oder müssen Menschen mit Doppelpass im Herkunftsland und in der Heimat zum Wehrdienst? Glaube nicht!
Ein Türke der sich einen deutschen Pass besorgt, kann sich im Falle eines schweren Verbechens einfach im Herkunftsland absetzen und muss keine Strafverfolgung mehr fürchten. Siehe Fall Johnny K.
Ein Doppelpass macht meiner Meinung nach für in Deutschland lebende Menschen kein Sinn, da man als Deutscher sowieso überall hinreisen und einreisen darf.
Und wie sieht es eigentlich mit den Kindern aus? Können Eltern mit Doppelpass die Nationalität ihres Kindes selbst aussuchen oder muss das Kind dann die deutsche Nationalität annehmen? Ist der Doppelpass sozusagen auf eine Generation beschränkt?
> auch bei Mehrstaatlern gilt in Deutschland NUR die deutsche
> Staatsangehörigkeit und keine andere.
Non-EU-Alien,
Danke für die Mühe, die Sie sich gemacht haben. Was ich oben zitiere, ist aber wohl eine Meinungsäußerung von Ihnen. Wer sagt denn, dass die z.B. die türkische Staatsangehörigkeit von Immigrantenkindern in Deutschland nicht gilt?
Die „Herren in Ankara“ dürften das ganz anders sehen. Auch rein juristisch gilt eine türkische Staatsangehörigkeit, die bei Geburt qua Abstammung erworben wird, erstmal genauso wie die bei Geburt qua Wohnort erworbene. Das liegt doch wohl auf der Hand.
Man könnte sogar mit gewisser Berechtigung sagen, das die qua Abstammung erworbene die „natürliche“, die eigentliche Staatsangehörigkeit ist. Zumindest so lange, wie weder der Staat (in diesem Falle die Türkei) noch der Betroffene die türkische Staatsangehörigkeit widerrufen.
Und hier höre ich viele Signale, die mich glauben machen, dass sowohl der Optionspflichtige als auch der türkische Staat die Gültigkeit der türkischen Staatsangehörigkeit in Deutschland (auch bei Immigrantenkindern und -enkeln) festschreiben wollen. Darum geht es doch bei der „doppelten“ Staatsangehörigkeit.
Also: Immigrantenkinder (und ihre Eltern) sollten einfach aufhören, sich bei den türkischen Konsulaten als „Türken“ eintragen zu lassen. Dann entfällt auch die Option.
Non-EU-Alien,
zu Ihrem Verweis. Dort heißt es, dass jemand nur eingebürgert werden kann, wenn er „seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert“.
Diese Bedingung entfällt bei Menschen aus einem EU-Land oder der Schweiz. Sie kennen sich doch gut aus. Dann können Sie vielleicht bestätigen, dass dies so ist, weil durch die EU-Verträge (bzw. die bilateralen Verträge) diese Menschen automatisch durch den Antrag und die Erteilung der deutschen SA ihre bisherige verlieren.
Das ist bei Türken nicht so. Deshalb kann diese Klausel nicht auf die Türkei erweitert werden.
@ Werner
1. Es ist keine Meinungsäußerung von mir, sondern die Stellungnahme eines Mitarbeiters der Ausländerbehörde…
… und die Staatsangehörigkeit eines anderen Staates gilt für die deutschen Behörden auf dem Gebiet der BRD nun mal nicht (im Falle von Mehrstaatigkeit). Im Falle von alleiniger Staatsangehörigkeit gilt dies aber natürlich nach wie vor… Sie können sich gerne eigeninitiativ bei den Behörden schlau machen und hier dann von Ihren Erfahrungen berichten. Bin gespannt…
2. Sie scheinen sich auf Türken fixiert zu haben (bin kein Türke). Ich habe Ihnen auf Ihre Frage geantwortet. Leider scheint Ihnen diese Antwort nicht zu gefallen und weichen daher aus.
Non-EU-Alien,
bin mir nicht bewußt, Ihnen ausgewichen zu sein. Meinen Sie Ihren Verweis auf Schröder? Was Sie da schreiben ist völlig korrekt. Ich habe dem nichts hinzuzufügen. Es geht mir auch nicht um Schuld.
Aber es ist wahr, dass das Beharren der Türkei (mir fällt kein anderes Land ein, wo es das „Problem“ in ähnlicher Intensität gibt) auf den Doppelpaß (sprich: die _türkische_ Staatsangehörigkeit die Türkischstämmigen hier in einen Konflikt bringt. Wer ein normales Einwandererverhalten an den Tag legt, muß mit Stirnraunzeln, Beleidigungen und Verunglimpfungen leben.
Und zur Ausländerbehörde: natürlich, das habe ich doch mehrfach geschrieben, Deutschland betrachtet den deutschen Paß als gültig. Was denn auch sonst? Übrigens nicht nur in Deutschland. Überall! Wenn Sie einen zweiten Paß haben, dann gibt es doch auch ein Konsulat, welches ihn ausgestellt hat. Fragen Sie doch mal dort, wo denn dieser Paß gilt. Wir kennen doch die Antwort. Wenn man Ihen auf Ihre Frage hin, den Paß nicht gleich wieder abnimmt!
Denkbar ist doch auch folgender Fall: ein kurdisch-stämmiger Deutscher reist zu seinen Verwandten in die Türkei und wird dort verhaftet, weil er zuvor von einem „Nachbarn“ bei den türkischen Behörden als Terrorist denunziert worden ist.
Meinen Sie, Deutschland könnte dann sagen: „Hm, er ist in der Türkei, hat wahrscheinlich einen „Doppelpaß“. Er soll selber sehen wie er klarkommt“? Die Leute reden unreflektiert von „Doppelpaß“ (scheinbar auch Politiker) und machen sich die Konsequenzen nicht klar.
Also nochmal: es geht nicht um Schuld. Es geht darum, wie wir uns als Einwanderungsgesellschaft aufstellen. Und da weist der Doppelpaß als Regelfall in die falsche Richtung. Er macht nur Probleme und schafft Grauzonen, die wir doch durch die Einbürgerungen und die Schröder-Reform abschaffen wollten. Im Interesse aller in Deutschland. Für ein gedeihliches Zusammenleben! Das muß uns allen am Herzen liegen. Oder etwa nicht?
Hallo zusammen,
Also ich komme aus uganda und bin mitlerweile deutscher.
Letztes Jahr bekamm meine Freundin ( Ugander ) und ich einen Sohn. Der Kamm in Uganda zu Welt.
Mir wurde aber bei der Deutsche Botschaft in Uganda so zu versteht gesagt das mein Sohn DAUERHAFT beide Pässe haben kann.
Nachdem was ich jetzt hier so lese kann das garnicht stimmen. Oder???