Armuts- und Reichtumsbericht
Migranten doppelt so häufig armutsgefährdet
Das Bundeskabinett hat den 4. Armuts- und Reichtumsbericht beschlossen. Laut Bundesarbeitsministerin steht Deutschland gut da und Migranten machen Fortschritte. Erst ein Blick ins Innere der 549 Seiten zeigt aber, wo Migranten wirklich stehen.
Donnerstag, 07.03.2013, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 08.01.2020, 15:45 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Nach den Worten von Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) schneidet Deutschland im Kampf gegen Armut, Arbeitslosigkeit und Einkommensungleichheit insgesamt gut ab. „Wir stehen heute im internationalen Vergleich sehr gut da“, so die Einschätzung der Ministerin am Mittwoch bei der Vorstellung Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung in Berlin.
Dabei beruft sich die Ministerin unter anderem auf die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit in der EU (8,1 Prozent), auf die sinkende Arbeitslosigkeit, sinkende Abhängigkeit von Hartz-IV-Leistungen und auf Fortschritte bei der Integration von Migranten. Laut Bericht sind diese in vielen Lebensbereichen vorhanden. Doch ein Vergleich mit der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund zeigt deutliche Unterschiede.
Migranten verdienen 13 % weniger
So sind nach Daten des Mikrozensus Migrantenfamilien öfter von einem relativ geringen Einkommen betroffen und leben häufiger von Transferleistungen. Das mittlere monatliche Nettoeinkommen der Familien mit Migrationshintergrund lag 2009 bei 2.208 Euro. Im Vergleich zu Familien ohne Migrationshintergrund standen ihnen damit durchschnittlich 13 Prozent geringere finanzielle Ressourcen zur Verfügung.
Insgesamt sind Familien mit Migrationshintergrund etwa doppelt so häufig armutsgefährdet wie Familien ohne Migrationshintergrund. Die Armutsrisikoquote von Migranten mit ausländischem Pass ist gegenüber Personen ohne Migrationshintergrund sogar dreimal höher. Migrantenfamilien machen damit nach Sonderauswertungen des Mikrozensus 45 Prozent aller Familien mit Kindern unter 18 Jahren aus, die als armutsgefährdet gelten. Besonders hoch ist die Armutsgefährdungsquote, wenn die Familien zusätzlich noch alleinerziehend sind oder drei und mehr Kinder haben.
Systematische Benachteiligung
Eine von vielen Ursachen für diesen Zustand ist laut Bericht die deutlich weniger günstigen Chancen von Migranten auf dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt. Zum einen liegt das an schlechteren schulischen Qualifikation, zum anderen an einer „systematischen Benachteiligung“ von Bewerbern mit türkischen oder arabischen Namen, wie es im Bericht heißt. Sie haben bei gleichen Bedingungen eine deutlich geringere Wahrscheinlichkeit auf einen Ausbildungsplatz als junge Menschen ohne Migrationshintergrund.
Hinzu kommt, dass Deutschland es nicht schafft, die Abhängingkeit von sozialer Herkunft vom Bildungserfolg zu entkoppeln, „insbesondere mit Blick auf Jugendliche mit Migrationshintergrund. Es gelingt Deutschland im internationalen Vergleich z. B. weniger gut, Kinder in ihren aktuellen Klassenverbänden zu fördern, etwa durch ein Co-Teaching an den Grundschulen, während diese Möglichkeit in Schweden, England und den Niederlanden doppelt so häufig besteht“, heißt es im Bericht dazu.
Bildungseinrichtungen fördern Segregation
Eine weitere große Baustelle in diesem Bereich ist, dass Bildungseinrichtungen Segregation fördern und so den Bildungserfolg von Migrantenkindern erschweren. Das Problem fängt an im Kindergarten: „Jedes dritte Kind in Westdeutschland mit nicht deutscher Familiensprache wird in einem Umfeld betreut, im dem die Deutsch sprechenden gleichaltrigen Kinder in der Minderheit sind. Auch die pädagogische Qualität ist in Betreuungseinrichtungen mit höherem Migrantenanteil vergleichsweise schlecht“, ist dem Bericht zu entnehmen.
In Grundschulen ist die Situation nicht besser: „Auch die ungenügende Durchmischung der Grundschulklassen (Schüler mit und ohne Migrationshintergrund) und der damit erschwerte Spracherwerb der deutschen Sprache sind mitursächlich für das schlechte Abschneiden der Kinder“, wird im Bericht ausgeführt. Eine Untersuchung von Viertklässlern in Baden-Württemberg etwa habe gezeigt, dass türkische und italienische Kinder eine umso geringere Chance haben von der Grundschule auf eine Realschule oder ein Gymnasium zu wechseln, je mehr ausländische Kinder in ihrer Grundschulklasse sind, unabhängig vom Leistungsniveau in der Klasse.
Migranten zahlen mehr Miete
Dass Migranten auch in anderen Lebensbereichen ungleich schwieriger haben zeigt folgender Befund: „Personen mit Migrationshintergrund zahlen im Durchschnitt knapp 30 Cent mehr pro Quadratmeter Wohnfläche als die Gesamtbevölkerung“, heißt es im Bericht. Und das liege nicht daran, dass Migranten überwiegend im städtischen Bereich wohnen. Nein, auch bei einer Differenzierung nach Siedlungstypen bleiben deutliche Unterschiede in der Miethöhe.
Viele Probleme also, mit denen Migranten zu kämpfen haben und die schnellstens gelöst werden müssen. Ein Blick auf die demografischen Zahlen zeigt, wie viele Menschen betroffen sind. Laut Bericht ist die Zahl der Menschen mit Migrationshintergrund seit dem Jahr 2007 von 15,4 auf 15,7 Millionen im Jahr 2010 gestiegen. Im gleichen Zeitraum ist die Gesamtbevölkerung von 82,3 Millionen auf 81,7 zurückgegangen. Damit ist der Anteil der Migranten an der Gesamtbevölkerung auf 19,3 Prozent gestiegen. Mehr als die Hälfte der Migranten (8,6 Millionen) besitzt die deutsche Staatsbürgerschaft. Kinder unter fünf Jahren stammten im Jahr 2010 zu rund 35 Prozent aus einer Zuwandererfamilie. (bk) Gesellschaft Leitartikel Studien
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