Buchtipp zum Wochenende
„Transnational statt nicht integriert“ von Yaşar Aydın
Dass Hochqualifizierte sich weltweit um Jobs bewerben ist Usus, wenn junge qualifizierte Türkeistämmige Deutschland den Rücken kehren, wird dies als misslungene Integration gedeutet. Yaşar Aydın hat das Thema in seinem Buch "Transnational statt nicht integriert" näher betrachtet.
Von Rukiye Çankıran Freitag, 26.04.2013, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 30.04.2013, 2:42 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Nachdem das Thema der kriminellen und arbeitslosen Migranten in allen Medien behandelt wurde, gibt es in letzter Zeit ein neues Thema: die hochqualifizierten Akademiker mit türkischem Migrationshintergrund, die Deutschland den Rücken kehren. Es wurde viel diskutiert und überlegt, warum diese, meistens in Deutschland geborene und hierzulande sozialisierte Generation, in die Heimat der Eltern abwandert.
Mit diesem Thema hat sich auch der Wissenschaftler Yaşar Aydın beschäftigt. In der Türkei geboren, kam er mit vier Jahren als klassisches Gastarbeiterkind nach Deutschland. Seit 2009 erforscht er Migrationsthemen und globale Migrationsströmungen, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Lehrbeauftragter der Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an der Universität Hamburg. Der Grund, warum er sich mit den türkeistämmigen Akademikern, die auswandern beschäftigt, war die nach seinem Empfinden einseitige Berichterstattung in den Medien. „Es wurden nur Push-Faktoren behandelt und die Tatsache des Brain Drains“, so der Wissenschaftler wörtlich. Es fällt tatsächlich auf, dass sowohl beim Scheitern als auch Auswandern von türkeistämmigen Migranten, in der Presse ein Negativansatz vorherrscht. Beide Umstände werden mit mangelnder Integration oder Identifikation mit Deutschland begründet. Ob diese Menschen nun zu einer wirtschaftlich und sozial gescheiterten Schicht gehören und hier leben oder erfolgreiche Akademiker sind und auswandern. Die Wahrnehmung ist wenig differenziert, es wird eine ablehnende Haltung Deutschland gegenüber diagnostiziert.
Yaşar Aydın hat insbesondere erfolgreiche Auswanderer interviewt, die von 2002 bis 2010 Deutschland verlassen haben oder dies planten, um die Beweggründe zu erforschen. Er hat z.B. Manager, Diplomaten, Geschäftsleute, Wissenschaftler oder Übersetzer getroffen und die Kommentare dieser Transmigranten festgehalten. Die Fokussierung auf den Transnationalismus sieht Yaşar Aydın als eine Chance. Für ihn ist dieser Aspekt bei den hochqualifizierten Türkeistämmigen ein zentrales Thema. Diese Herangehensweise ist seiner Meinung nach neutraler als die emotional geführten Debatten zu diesem Thema. Die Auswanderer sind in seinen Augen sehr gut integriert und überdurchschnittlich qualifiziert. Sie orientieren sich beruflich und wirtschaftlich am Ausland, in diesem Fall der Türkei, weil es ein aufstrebendes Land ist und sie Sprachkenntnisse mitbringen, die von Vorteil sind. Man könnte diese Personen mit Deutschen vergleichen, die Berufs wegen nach England oder Frankreich gehen.
Auch die Demokratisierungsprozesse der letzten Jahre, die in der Türkei stattgefunden haben bzw. die Verbesserung der städtischen Infrastruktur sind Gründe für eine Entscheidung. Als Kulturhauptstadt 2010 hat Istanbul viele Besucher angezogen, sogar die Europäer haben die orientalische Perle für sich entdeckt. Mobile Transmigranten, denen sich eine berufliche Tür öffnet, nutzen natürlich diese Chancen. Yaşar Aydın sieht hier nicht den türkischen Nationalismus oder das Fremdsein in Deutschland als Motiv für die Auswanderer. Einige fühlen sich zwar in Deutschland ausgegrenzt, wenn es um die Vergabe von Jobs in leitender Position geht, aber bewerten das eher unter dem Aspekt der großen Konkurrenz. Zum Thema Fremdheit hat Yaşar Aydın übrigens 2009 promoviert mit seiner Arbeit „Topoi des Fremden“.
Für sein Buch „Transnational statt nicht integriert“ spielt Fremdheit keine Rolle. Gerade diese haben die Transmigranten überwunden. Sie sind nicht an bestimmte Orte gebunden, sondern können sich schnell anpassen, haben durch ihren Beruf eine hohe Allgemeinbildung sehr gute Voraussetzungen, um in kurzer Zeit mit ihrer Identität einen Raum zu finden. Es sind vielmehr soziale als geografische Räume, die überall in der Welt ähnliche Strukturen haben, unabhängig vom Land, in denen sich Transmigranten bewegen. Deshalb können viele die Frage nach ihrer Identität nicht eindeutig beantworten, sie fühlen sich an vielen Orten daheim, viele unternehmen mehrere Ortswechsel in ihrer Migrationsbiografie.
Mit einem „bunten Freundeskreis“ in Deutschland, wissenschaftlichen Kontakten zur Türkei ist Yaşar Aydın deutscher Staatsbürger mit türkischer Herkunft. Seine Familiensprache ist Türkisch, die Sozialisationssprache hingegen Deutsch. Er ist in beiden Sprachen zu Hause und will dies auch seinen beiden Kindern mitgeben.
Viele Auswanderer arbeiten für deutsche Firmen in der Türkei oder nutzen ihre Deutschkenntnisse bzw. ihr „deutsches Knowhow“ für ihren Beruf. Das besondere an diesen Menschen ist, dass für sie ein imaginärer Raum existiert, das ist dieser transnationale Raum. Sie sind kulturorientiert und sprachlich flexibel, in beiden Kulturen und Nationen zu Hause.
Auf 120 Seiten beschreibt der Autor seine auch für die hiesige Politik interessanten Ergebnisse. Er regt Diskussionen neu an, gibt der Integrationsdebatte neue Inhalte. Es ist statistisch nachgewiesen, dass seit 2008 mehr türkeistämmige Menschen Deutschland verlassen als umgekehrt aus der Türkei nach Deutschland einwandern. Dahinter verbirgt sich eine größer gewordene Gruppe aus modernen, mobilen, offenen und weltlichen Türkeistämmigen. Denn dass sich Hochqualifizierte auf dem globalen Markt nach Jobs orientieren, ist weltweit bekannt. Der Wunsch nach Abwechslung, Karriere und Aufstiegsmöglichkeiten, Chancengleichheit und kultureller Vielfalt ist der gemeinsame Wunsch vieler Hochqualifizierter. Immer mehr Türkeistämmige aus Deutschland gehören nun zu dieser Gruppe dazu.
Es drängt sich die Frage auf, ob denn die Auswanderer in der Türkei glücklicher sind als in Deutschland. Der Autor kann die Frage nicht eindeutig bejahen. Er beschreibt, dass das Leben in der Türkei anders ist, finanziell schwieriger, teilweise auch anstrengender, wenn man die gewohnte deutsche Ordnung nicht überall wieder findet. Er glaubt, dass es Momente des Glücks gibt für Transmigranten, aber dass der berufliche Erfolg eine viel größere Rolle spielt. Migration ist ein komplexes Phänomen, es sind Menschen, die Entscheidungen treffen und Emotionen, die diese Entscheidungen bestimmen. Es lohnt sich, dieses Buch zu lesen, Erkenntnisse aus einer ganz anderen Perspektive erschließen sich und vor allem bekommt man Lust, sich für einen Job in der Türkei zu bewerben. Die Herangehensweise des Autors beinhaltet keine Klischees und ist nicht problemzentriert. Deshalb macht es auch besonders viel Spaß, diese wissenschaftlichen Argumente zu lesen. Aktuell Rezension
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… erstaunlich, daß es dieses Buch geschafft hat, hier rezensiert zu werden.
Bisher gab es nur 1 einzigen zulässigen politisch/ideoplogisch opportunen Grund für die Auswanderung dieser Menschen : Alltagsrassismus und Diskriminierung! Dies wird nun hier als Märchen und populistische Stammtisch-(oder besser „Tee-Haus“-)Diskussion entlarvt …
Warum sollten die Gründe auch jemals andere gewesen sein … schließlich wandern auch deutsche (ohne MiHiGr) Akademiker in nicht vernachlässsigbarer Zahl aus ….
Kann es nicht sein, dass die Hochgebildeten und studierten Türken merken, dass sie in Deutschland nicht so vorwärts kommen, wie es für sie wünschenswert wäre? Ausserdem würde es mich auch frustrieren, wenn ich merken würde, dass Menschen aus europäischen Ländern von Deutschland hofiert und zum Arbeiten eingeladen werden? Vielleicht ist es auch so, dass endlich gemerrkt wird, dass zwei verschiende Kulturkreise auch in Jahrzehnten nicht zusammenkommen werden? Ich finde, dass ganze hat weder mit Altagsrassismus noch mit Diskriminierung sondern eher mit Einsicht zu tun. Die Gastarbeiter der ersten Generation – auch die Türken – wurden in Deutschland in den 60iger und 70iger Jahren sehr gebraucht, mitlerweile hat man aber festgestellt, dass es auch sehr viele Probleme mit dieser Einwanderungswelle gegeben hat. Eine freiwillge „Auslese“ finde ich daher für beide Seiten (Deutschland und die türkischen Akademiker) effektiv. Ebenfalls ist die Auswanderung von Deutschen zwar sehr bedauerlich (die meisten kehren auch irgendwann gerne wieder zurück) aber jeder ist seines Glückes Schmied oder?
@Beobachterin
… warum zwanghaft den „Kampf der Kulturen“ herbeireden?
Vmtl. ist es doch so, daß die Hochqualifizierten durch die 2-Sprachigkeit, sehr gute Bildung und Weltgewandheit gleich mehrere Joker im Ärmel haben und damit keine endlosen Bedarf an schlecht bezahlte Praktika oder schlechte Jobaussichten!?! Ein Bio-Deutscher hat diese Möglichkeit in TR dagegen schlicht einfach nicht ….
Und das Werben um ausländische Fachkräfte ist im Kern nur Lohndrückerei, wozu die verzweifelten Menschen aus den krisengeshüttelten anderen EU-Ländern ggf. noch bereit sind, aber die Türken mit 1-2 Pässen sind doch darauf gar nicht angewiesen …
Ich freue mich auf die ersten Bücher die uns sagen werden, warum manche „Transmigranten“ „ausgelesen“ wurden…. Und warum manche deutsche ins Ausland mussten oder wollten, natürlich auch… .
Was für ein hasserfüllter Unterton in dieser ganzen Debatte. Er zeugt von einer Zurückweisung, und nur um die geht es.