Wenn eine Fußnote nicht ausreicht
Ein Besuch bei Eltern schwarzer Kinder in Berlin
Die KiTa Kwetu ist eine vorurteilsfreie Zone. Sie ist ausgestattet mit Spielzeug und Büchern, in denen sich alle Kinder wiederfinden können. Hier haben 70 Prozent der Kinder mindestens einen schwarzen Elternteil.
Von Sybille Biermann Donnerstag, 25.04.2013, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 02.05.2013, 9:38 Uhr Lesedauer: 9 Minuten |
Unweit des Neuköllner Hermannplatzes in Berlin befindet sich die Kindertagesstätte Kwetu. Es weist kein Schild auf sie hin und man gibt sich bedeckt, nicht zuletzt wegen der enormen Nachfrage: bis 2014 sind alle Plätze ausgebucht und die Warteliste ist lang, kein Grund also, unnötig Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
Drinnen sitzen die Kinder bei belegten Broten und Obst. Nach dem Essen werden die Teller mit konzentriertem Blick und kleinen Schritten in die Küche balanciert. „Please be careful“ sagt eine der Erzieherinnen auf Englisch, die Kinder sprechen untereinander meist Deutsch. Neben der Bilingualität, Deutsch/Englisch, gehört es zum Konzept von Kwetu, dass 70 Prozent der Kinder mindestens einen schwarzen Elternteil haben. Hier soll eine vorurteilsfreie Zone geschaffen werden um die Kinder positiv in ihrer Identitätsfindung zu stärken.
Das heißt auch, dass die KiTa mit Spielzeug und Büchern ausgestattet ist, in denen sich alle Kinder wiederfinden können. Es gibt zum Beispiel schwarze Puppen und die Büchersammlung zeigt Kinder aller Couleur in verschiedenen Kontexten. Die meisten Bücher hier kommen aus den USA, Großbritannien oder aus afrikanischen Ländern, denn in deutschen Kinderbüchern findet man die hier gewünschte Diversität selten.
Auch darüber hinaus werden die verschiedenen Hintergründe der Kinder bewusst thematisiert. Zum Beispiel während eines Stammbaumprojektes, bei dem die Kinder die Berufe und Reisewege ihrer Familie über vier Generationen erkunden sollten. Das Ergebnis, so die Kindergärtnerin: „jeder kommt von irgendwo her“.
Es ist 16 Uhr und die ersten Eltern treffen zum Elterncafé ein. Eine Gelegenheit sich auszutauschen und kennenzulernen. Natürlich war bei den Eltern die Kinderbuchdebatte ein Thema. Die meisten hier waren zwar froh, das Problem Kinderbücher überhaupt mal angesprochen zu sehen, waren aber zugleich überrascht von der Art, wie die Diskussion geführt wurde. „Ziemlich hässlich“ meint Mai, israelische Mutter eines schwarzen Sohnes. Sie stochert mit einer Gabel in ihrem Kuchen, die Debatte wühlt sie immer noch auf.
Sie ist vor zehn Jahren aus Israel nach Deutschland gekommen. Ihr Mann ist vor 15 Jahren vor politischer Verfolgung aus Kamerun geflüchtet. Dass man in Deutschland das N-Wort ohne Scham benutzt, hat sie erschreckt und, dass dieser Begriff dann gerade mit traditionalistischen Argumenten verteidigt wurde, war für sie besonders schlimm: „Gerade in Deutschland müsste man erwarten können, dass es klar ist, dass Tradition auch rassistisch sein kann. Die Deutschen haben meiner Ansicht nach noch nicht begriffen, dass der Holocaust so schlimm war, weil es Menschen waren, die verfolgt wurden. Nicht weil es Juden waren.“
Als Mutter eines schwarzen Sohnes hat sie – wie die meisten der Eltern hier – bereits schlimme Erfahrungen gemacht. Warum sie ihren Sohn denn nicht dusche, sagte ihr jemand. Aber solche extremen Beispiele sind gar nicht ihr größtes Problem. Viel schlimmer sei, was sich für sie auch in der Kinderbuchdebatte zeigte: „Da hat sich eine liberale gebildete Klasse geäußert, die zu meinem Sohn nichts Böses sagen würde. Dennoch führen sie die Debatte, ohne sich eine Minute zu distanzieren und zu sagen: ok, meine Nostalgie ist eigentlich nicht wichtiger als die Integrität und die Gesundheit von Kindern, die in diesem Land leben.“
Genau dieser Aspekt schien in den Feuilletons wenig bedacht, obwohl die Debatte ja gerade von einem solchen Kind, nämlich der siebenjährigen Timnit Mesghena und ihrem Vater angestoßen wurde. „Es wurde noch nicht begriffen, dass nicht nur weiße Kinder deutsche Kinder sind. Das ist zwar statistisch bekannt, aber noch nicht begriffen. Deswegen haben wir diesen Kindergarten ausgewählt.“
Bei Kwetu wird darauf geachtet, dass die Kinder sich nicht als Einzelfall fühlen. Auch für die afrodeutschen Eltern Kwesi und Sandrine war dies ausschlaggebend für die Wahl des Kinderladens. „Es war mir von Anfang an wichtig, dass meine Tochter einige der Erfahrungen, die ich gemacht habe in Kindergarten, Vorschule, Schule, nicht macht“, betont der Vater. Die Mutter erinnert sich an das Gefühl, immer als anders wahrgenommen zu werden und „eigentlich sein ganzes Leben kämpfen zu müssen, den eigenen Körper so zu akzeptieren, wie er ist.“ Sich wiederfinden zu können, meint der Vater, sei „ganz wichtig, besonders in jungem Alter, damit man eine positive Selbstidentifikation aufbaut und sich wirklich als normal, als Mensch unter Menschen versteht und nicht von klein auf schon subtil darauf getrimmt wird, dass man anders ist.“ Er ist froh, in der Bücherkollektion des Kinderladens nicht auf das N-Wort oder erklärende Fußnoten achten zu müssen.
Tina hat ihre beiden Söhne bei Kwetu untergebracht, der Ältere ist nun in der Schule. Das Konzept von Kwetu war für sie anfangs nebensächlich, im Nachhinein ist sie darüber aber sehr froh. „Die Kinder finden hier viele Spielkameraden mit ähnlichen Erfahrungen. Sie sind deshalb noch nicht in dieser Position, allein zu sein, das erfahren sie noch nicht, so lange sie hier im Kindergarten sind.“ Als weiße Mutter schwarzer Söhne schätzt sie Kwetu, weil es die Möglichkeit zum Austausch gibt. Am schlimmsten sei, sagt sie, wenn sie implizit signalisiert bekommen, nicht dazuzugehören, anders zu sein. Die Kinder nehmen das manchmal noch nicht direkt wahr. Sie merken aber, wenn jemand übergriffig wird. Dann wehren sie ab oder kommen zu ihr und sagen „da war jemand und hat meine Haare angefasst und das hat mir nicht gefallen. Ich bespreche dann mit meinen Kindern wie sie sich verhalten können, dass sie das nicht hinnehmen müssen.“
Wie man sich verhält in solchen Momenten, das weiß Tupoka Ogette. Die 33-jährige schwarze Deutsche ist in Leipzig geboren und noch als Kind mit ihrer Mutter nach West-Berlin gezogen. Ihre Söhne sind 3 und 15 Jahre alt. Durch ihre eigenen Erlebnisse, aber auch ihre Erfahrungen als Mutter war das Thema Alltagsrassismus stets präsent in ihrem Leben. Für ihr Studium ist sie nach Leipzig zurückgekehrt, in die Stadt, der sie seit ihrer Kindheit verbunden war. Gerade deshalb enttäuschte es sie umso mehr, dort nicht als Teil der deutschen Gesellschaft wahrgenommen zu werden. Als sie daraufhin für eine Weile in das sehr viel diversere Südfrankreich zog, fiel es ihr leicht, sich wohl zu fühlen: „Auf einmal war ich anonym, das hatte ich so noch nie erlebt. Ich war einfach ich. Keiner hat mir in die Haare gefasst oder komisch geguckt weil ich schwarz bin. Als ich vor einem Jahr zurück nach Berlin gekommen bin, hat es mich gleich wieder kalt erwischt und mir sind die alten lästigen Fragen wieder begegnet. Zum Beispiel auf dem Spielplatz. Wo kommt ihr her? Kommt ihr aus Afrika? Wieso sprichst du so gut Deutsch?“
Da sie dennoch gerne in Berlin lebt, entschied sie sich, das Thema zu ihrem Beruf zu machen. Nun ist sie Trainerin für Diversity und Interkulturelle Kompetenz mit Schwerpunkt Anti-Rassismus. Speziell für Mütter schwarzer Kinder bietet sie seit sechs Monaten Seminare an, meistens werden die über das Antidiskriminierungsbüro der jeweiligen Stadt oder über bestehende Elterngruppen vermittelt. Und die Nachfrage bestätigt sie: „Das hat eingeschlagen wie verrückt, ich habe in den ersten zwei Tagen an die 15 Anfragen bekommen, aus ganz Deutschland.“ Ihre eigenen Erfahrungen überschneiden sich mit denen der Mütter, die zu ihr kommen und denen der Eltern bei Kwetu. „Die meisten Situationen sind eher subtil und manchmal auch ganz nett gemeint. Das sind die besonders schwierigen.“ Zum Beispiel wenn auf dem Spielplatz ein Vater zu ihrem Sohn, der seine Baseballkappe an dem Tag ein bisschen schief trug, meint: „Der sieht heute aber aus, als käme er aus dem Ghetto“. Auf Rückfrage: „Ja, doch, wegen der Hautfarbe.“ Drum herum hätten alle gelacht, aber bei der Mutter ist ein ungutes Gefühl geblieben. In diesem Moment wurde ihr Sohn vom Kind zu einer Projektionsfläche für mediale Repräsentationen von Schwarzen und einer Verortung in einem nicht-deutschen Kontext, sei es Afrika oder Harlem. „Wie geht man dann damit um? Man möchte ja nicht immer gleich eine Szene machen, aber reagieren muss man schon.“ Gesellschaft Leitartikel
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Bei Interesse an den Eltern- Workshops und den anderen Angeboten von Tupoka Ogette findet Ihr hier weitere Informationen und Kontaktmöglichkeiten: http://www.tupokaogette.de ! Ich habe selbst bereits an einem solchen Workshop teilgenommen hier in München und ich war absolut begeistert,bewegt und dankbar für die vielen Tipps die ich bekommen habe, die Strategien die wir entwickelt haben und vor allem die offene, humorvolle und energetische Art von Tupoka! Kann ich unbedingt weiterempfehlen!!!
„Durch ihre eigenen Erlebnisse, aber auch ihre Erfahrungen als Mutter war das Thema Alltagsrassismus stets präsent in ihrem Leben“
Wie gut (und es ist gut), das es in Deutschland, und ich denke, auch in vielen westlichen Staaten solche Einrichtungen/Möglichkeiten gibt.
Aber „Alltagsrassismus“ ?
Wie es in der nicht westlichen Welt, insbesondere in der arabischen Welt aussieht, beschreibt ein aktueller Artikel auf Qantara:
http://de.qantara.de/In-der-arabischen-Welt-gelten-wir-Afrikaner-als-Muslime-zweiter-Klasse/20979c23290i0p94/index.html
Ja, ganz toll, der Artikel über schwarze Muslime, aber das schmälert den Alltagsrassismus hierzulande nicht. Was soll diese Relativierung? Wer nicht direkt betroffen ist, macht sich keine Vorstellung von den Ausmaßen vor allem von subtilem und „nett gemeintem“ Rassismus. Und auch wenn man jemanden kennt, der jemanden kennt, der schwarz ist, aber irgendwie ganz wunderbar klar kommt und/oder das nicht so schlimm findet, schmälert das den zugefügten Schmerz nicht, schon gar nicht, wenn er Kindern zugefügt wird.
Bin ich eigentlich der einzige der die (unfreiwillige?) Komik dieses Beitrags bemerkt?
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Sehr tolle Idee! Ich hätte mir als Kind gar nicht vorstellen können, das es auch andere afrodeutsche Kinder in meinem Alter gäbe. Als Mutter würde ich mir wünschen, meinem Kind ein diverses Umfeld bieten zu können.
Mir scheint es ein rassistisches Konzept zu sein. Die Hautfarbe als identitätsstiftendes Merkmal zu benutzen ist ganz klar Rassismus.
Was würde denn zu einem rein „Weissen“ Kindergarten gesagt werden, der dies als Aufnahmekriterium angibt?
Das ist der falsche Weg
Das mit dem Kindergarten ist eine tolle Idee. Traurig finde ich aber, dass es immer noch nötig ist.
@Birbu: Wo in dem Artikel steht denn drin, dass die Hautfarbe ein Aufnahmekriterium ist? Das lese ich nirgendwo.