Einbürgerung
Identifikation mit Deutschland spielt keine Rolle
Ob sich Türken einbürgern lassen oder nicht, hängt nicht davon ab, ob sie sich mit Deutschland identifizieren. Vielmehr stehen rechtliche und pragmatische Gründe im Vordergrund. Türkeibindung bleibt mehrheitlich bestehen. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Studie.
Freitag, 10.05.2013, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 16.05.2013, 8:13 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Ob sich Türkeistämmige einbürgern lassen oder nicht, hängt nicht vom Grad ihrer Identifikation mit Deutschland ab. Andere Faktoren stehen im Vordergrund. Das ist ein zentrales Ergebnis einer repräsentativen Studie, die das Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung im Auftrag des nordrhein-westfälischen Integrationsministeriums durchgeführt hat.
Danach identifizieren sich Eingebürgerte zu 68 Prozent mindestens auch mit Deutschland, bei einbürgerungswilligen Türkeistämmigen beträgt die Identifikationsquote noch 63 Prozent. Mit nur relativ geringem Abstand folgen türkische Staatsbürger (55 Prozent) bzw. Befragte ohne Einbürgerungsabsicht (53 Prozent). Damit sind die Unterschiede „geringer als man angesichts der hohen Bedeutung, die allgemein der Identifikation für die Einbürgerung beigemessen wird, hätte vermuten können. Die Identifikation hat weniger Einfluss auf das Einbürgerungsverhalten als die Akkulturation“, heißt es in der Studie.
Türkeibindung bleibt bestehen
Ein weiterer Befund ist: Die Bindung an das Herkunftsland bleibt trotz Zuwendung zur Aufnahmegesellschaft bei gut einem Drittel der Türkeistämmigen bestehen, und zwar nahezu unabhängig von der Staatsbürgerschaft und der Einbürgerungsabsicht. Laut Studie ist das Einbürgerungsverhalten der türkeistämmigen Zuwanderer „ein Ausdruck, sich auch in Deutschland zu Hause zu fühlen und ein Weg, der trotz der Aufrechterhaltung der emotionalen Bindung an die türkischen Wurzeln eingeschlagen wird“.
Motive der Einbürgerung sind sowohl bei bereits Eingebürgerten als auch bei Einbürgerungsgeneigten in erster Linie rechtlicher (42 bzw. 58 Prozent) oder pragmatischer Art (39 zw. 45 Prozent). Emotionale Gründe – Verwurzelung in Deutschland oder fehlende Bindung an die Türkei – hingegen sind bei der Entscheidung für eine Einbürgerung nur selten relevant (8 bzw. 13 Prozent).
Doppelte Staatsbürgerschaft
Zentrale Argumente der Einbürgerungsunwilligen gegen eine Einbürgerung sind die Aufgabe der bisherigen Staatsbürgerschaft (40 Prozent), aber auch fehlende Anreize (46 Prozent). Fehlendes Zugehörigkeitsgefühl zu Deutschland gaben nur 5 Prozent als Einbürgerungshindernis an. Auch für bereits Eingebürgerte und für Einbürgerungswillige war bzw. ist die Aufgabe der alten Staatsbürgerschaft eine hohe Hürde bei der Einbürgerungsentscheidung. 51 Prozent der bereits Eingebürgerten ist die Aufgabe der alten Staatsbürgerschaft schwergefallen, bei Einbürgerungswilligen würde diese Quote laut Befragung 58 Prozent betragen. Die Verbundenheit mit der Herkunftsgesellschaft ist auch bei diesen Gruppen nach wie vor vorhanden (90 bzw. 93 Prozent), eine Wiedereinbürgerung in die alte Staatsbürgerschaft würden alle Gruppen mit deutlicher Mehrheit anstreben, wenn dies möglich wäre (83 Prozent).
„Wir sind eine moderne Demokratie und wir wollen die Eingewanderten einladen, sich hier zuhause zu fühlen. Ich fordere die Bundesregierung daher auf, ihr Nein zum Doppelpass endlich aufzugeben“, sagte Integrationsminister Guntram Schneider (SPD) am Mittwoch in Düsseldorf bei der offiziellen Vorstellung der Studie. Zu einer gelebten Willkommenskultur gehöre es, Mehrstaatigkeit als selbstverständliche Normalität zu akzeptieren.
Minister für Doppelpass
Schneider verwies darauf, dass der Höchststand der Einbürgerungen in NRW im Jahr 2000 mit fast 66.000 erreicht wurde. „Damals hatten nach der Bundestagswahl 1998 viele einen Antrag auf Einbürgerung gestellt, weil sie auf einen Doppelpass hofften, den die rot-grüne Bundesregierung zum Ziel hatte, die aber an der damaligen schwarz-gelben Mehrheit im Bundesrat scheiterte“, so Schneider.
Der Minister kündigte für Juni den Start einer Einbürgerungsoffensive der Landesregierung an. „Wir wollen mehr Menschen für die deutsche Staatsbürgerschaft gewinnen und setzen uns auch weiterhin konsequent für den Doppelpass ein“, so Schneider.
Weniger Doppelpässe seit Rot-Grün
Ein näherer Blick in die Einbürgerungsstatistiken vergangener Jahre zeigt aber, dass seit Rot-Grün, die Doppelpassquote bei Neueinbürgerungen in NRW kontinuierlich zurückgegangen ist. Betrug sie im Jahr 2010 noch über 56 Prozent, wurden im Jahr 2012 nur noch 51,5 Prozent der Antragsteller unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit eingebürgert. Der Rückgang unter den Türkeistämmigen betrug im selben Vergleichszeitraum etwa 3 Prozent. Das ergaben Berechnungen des MiGAZIN auf Grundlage von Zahlen, die das Statistische Landesamt zur Verfügung gestellt hat.
Diese Zahlen legen nahe, dass die Einbürgerungspraxis in den nordrhein-westfälischen Behörden zunehmend Doppelpassunfreundlicher wird. Obwohl es sich beim Staatsangehörigkeitsgesetz um ein Bundesgesetz handelt, können die Länder zu einem nicht geringen Teil selbst bestimmen, ob die Behörden die Hürden für den Doppelpass hoch oder niedrig legen. Wie groß dieser Auslegungsspielraum sein kann, zeigen unterschiedliche Doppelpassquoten von Türkeistämmigen in den Ländern: Während in Bayern nur 3 Prozent in den Genuss der doppelten Staatsbürgerschaft kommen, beträgt diese Quote in Hessen fast 40 Prozent.
Wieder mehr Einbürgerungen
Insgesamt ließen sich in Nordrhein-Westfalen über 30.000 Personen einbürgern. Das waren 3,2 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Stark angestiegen ist vor allem die Zahl der Einbürgerungen aus der Türkei. Mit 11.985 waren es fast 18 Prozent mehr als im Vorjahr. „Das freut mich ganz besonders. Die Menschen mit türkischem Migrationshintergrund integrieren sich und zeigen, dass sie zu uns gehören“, so Schneider. (bk) Gesellschaft Leitartikel
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„Ob sich Türkeistämmige einbürgern lassen oder nicht, hängt nicht vom Grad ihrer Identifikation mit Deutschland ab. Andere Faktoren stehen im Vordergrund.“
“ Die Bindung an das Herkunftsland bleibt trotz Zuwendung zur Aufnahmegesellschaft bei gut einem Drittel der Türkeistämmigen bestehen, und zwar nahezu unabhängig von der Staatsbürgerschaft und der Einbürgerungsabsicht.“
Dieses Ergebnis der Studie passt genau zu den Aussagen, die ich von Türken schon oft (in Foren) gelesen habe: Ich bin Türke, und ich bleibe Türke, den Pass hole ich mir njur wegen der Vorteile die er bietet. Das Wort dafür ist (auch in Migrantenkreisen) „Papier-Deutscher“.
Was verwundert, ist das diese „Heimatbindung“ an die Türkei teilweise auch von hier bereits in der 3. oder 4. Generation lebenden Menschen, die selbst, und auch schon deren Eltern in Deutschland geboren sind.
„Heimat“ wäre da doch eigentlich Deutschland, oder nicht ?
Das Ergebnis der Studie sollten sich aber auch diejenigen vor Augen halten, die immer groß und breit lamentieren, sie würden nicht als Deutsche gesehen/anerkannt. Wie die Studie zeigt, will das aber ein erheblicher Teil auch überhaupt nicht.
Warum dann immer diese Diskriminierungs-Vorwürfe an die „Mehrheitsgesellschaft“ ?
Wer seine Heimat in einem anderen Land hat, braucht sich nicht zu wundern, wenn Deutschland keine Heimat ist. Mit allen Nebeneffekten: nicht richtig anerkannt werden als Einheimischer, Fragen, ob und wann man in die Heimat zurückkehrt, etc pp. So ist das üerall auf der Welt.
Bei den Einwanderern, die noch im ausland geboren wurden, kann ich, völlig nachfühlen, wie schwer es fällt, seinen ursprünglichen Pass abzugeben.
(Was zeigt wie irrational wir Menschen doch gestrickt sind).
Aber bei den hier geborenen?
Ich habe da meine Neffen als Beispiel. Sie leben im Ausland und haben beide Pässe, identifizieren sich aber ausschließlich mit ihrem Geburtsland und es scheint ihnen relativ egal zu sein, dass sie auch die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen.
Und dann mache ich mir noch über etwas Gedanken: Wenn ein Doppelstaatsbürger deutsch/X eine Doppelstaatsbürgerin deutsch/Y heiratet, bekommen die Kinder dann 3 Staatsbürgerschaften, oder wie wird das geregelt, ohne dass ein Elternteil sich zurückgesetzt fühlt?
Den Pass hole ich mir nicht, „nur wegen der Vorteile die er bietet“, sondern um zumindest etwas der mir verwehrten Bürgerrechte wieder zurückzuholen. Warum soll ich mich mit einem Land indentifizieren – was immer auch identifizieren bedeuten mag – das mich entrechet, mich meiner Bürgerrechte beraubt, Rassismus leugnet und mich systematisch diskriminiert? Warum sollte ich masochistisch veranlagt sein?
Der verwendete Begriff „Einbürgerungsunwillige“ kann dabei nur noch als purer Zynismus gedeutet werden.
Kigili sagt:
10. Mai 2013 um 15:26
Den Pass hole ich mir nicht, “nur wegen der Vorteile die er bietet”, sondern um zumindest etwas der mir verwehrten Bürgerrechte wieder zurückzuholen. Warum soll ich mich mit einem Land indentifizieren – …– das mich entrechet, mich meiner Bürgerrechte beraubt, Rassismus leugnet und mich systematisch diskriminiert? Warum sollte ich masochistisch veranlagt sein?
Warum sollte jemand so masochistisch sein, in so einem Land zu leben?
Deutschland als ihre Heimat betrachten nur 15 % der Türkeistämmigen nach einer im letzten Jahr veröffentlichten repräsentativen Umfrage der Info GmbH.
Bei einem so niedrigen Grad der Identifikation ist es nicht verwunderlich, dass die Aufnahmegesellschaft ihrerseits Schwierigkeiten mit der Identifikation mit dieser Zuwanderergruppe hat.
@Kigle – damit machen sie doch genau das war der Autor schreibt. Sie wollen „Bürgerrechte“ eines Volkes dem sie nicht angehören wollen. Wenn man sich diesem Land nicht zugehörig fühlt spricht nichts dagegen seine Staatsbürgerschaft zu behalten und hier einfach nur zu leben und zu arbeiten.
Wenn man das hier aber als sein Heim akzeptiert sollte man mit Freuden die alte abgeben.
[…]
„Im Umgang mit ihren Türkeistämmigen wirken die Deutschen manchmal wie gekränkte Liebhaber. So beobachtete einst Ex-NRW-Integrationsminister Armin Laschet (CDU). Ergäbe eine Umfrage, dass Türkeistämmige sich mit dem Land ihrer Ahnen identifizierten, empfänden viele Alteingesessene das sogleich als Korb – und fragten sich, warum „die bloß nicht zu uns gehören“ wollten.Sollte an Laschets im Scherz hingeworfenem Vergleich etwas dran sein, wäre das brisant. Denn gekränkte Liebhaber, das hat die psychologische Forschung bewiesen, neigen zur Überreaktion.“
http://www.welt.de/regionales/duesseldorf/article116063056/Warum-die-Zahl-der-eingebuergerten-Tuerken-stagniert.html
Armin Laschets Vergleich mit dem gekränkten Liebhaber ist schlicht falsch – das weiß er selbst; verwendet hat er ihn wohl aus politisch-pädagogischen Gründen für seine Klientel als Integrationsminister.
Tatsächlich hat die deutsche Bevölkerung die millionenfache Zuwanderung aus der Türkei nie gewollt.
Der erste Ausländerbeauftragte, der ehemalige NRW-Ministerpräsident Heinz Kühn, gab dieser Stimmung Ausdruck, als er im September 1980 in der „Neuen Osnabrücker“ erklärte:“Ich wäre glücklich, wenn heute eine Million Türken wieder zurückgingen in ihre Heimat.“
Und Bundeskanzler Schmidt im Februar 1982 in der „Zeit“: Mir kommt kein Türke mehr über die Grenze.“
Zuneigung, Sympathie, von Liebe mag man ja erst gar nicht reden, sieht wohl anders aus.
@Soli: Sie können sich gerne mit einer ignoranten und rassistischen Gesellschaft solidarisieren und identifizieren, die Sie unterdrückt, Sie Ihrer Rechte beraubt, Sie diskriminiert und Sie dann dafür auch noch verantwortlich macht. Aber ich muss mich nicht so blind und masochistisch verhalten wie Sie.
Ich bevorzuge es, dieser ignoranten deutschen Mehrheitsgesellschaft und dem deutschen Staat ihren Heiligenschein herunterzureißen, auf dessen Pflege sie so viel Mühe verwenden! Diese politische Mitte der deutschen Mehrheitsgesellschaft hat so lange mit erhobenem Zeigefinger auf allein die Rechtsradikalen gezeigt, um den deutschen Rassismus nur auf sie zu beschränken und sich selbst reinzuwaschen, haben das so lange ungestraft tun können, dass sie nun Anfälle bekommen, wenn man sie als die schlimmsten Heuchler entlarvt. Sie sind die Biedermänner und die geistigen Brandstifter dieses Landes.