Debatte
Integrationsdebatten nur mit viel Fingerspitzengefühl
Eine öffentlichkeitswirksame Polarisierung der Integrationsdebatten würde auch in der Berliner Republik zum Aufstieg einer rechtspopulistischen Anti-Immigrationspartei führen. Alle politischen Akteure sind daher zur Mäßigung aufgerufen, wenn wir die Erfolge des bunten Deutschlands nicht vorschnell aufs Spiel setzen wollen. Dies gilt sowohl für rechtskonservative wie linksliberale Integrationspolitiker gleichermaßen.
Von Timo Lochocki Montag, 27.05.2013, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 30.05.2013, 18:55 Uhr Lesedauer: 10 Minuten |
In meinem Migazin-Beitrag „Die politische Sprengkraft der Doppelten Staatsbürgerschaft“ habe ich mit Verweis auf die Entwicklungen bei unseren europäischen Nachbarn Fingerspitzengefühl in der Debatte um die Einführung der Doppelten Staatsbürgerschaft angemahnt. Dies aus dem Wissen heraus, dass nur unter sehr bestimmten Umständen öffentlichkeitswirksame Integrationsdebatten nicht zum Aufstieg von rechtspopulistischen Anti-Immigrationsparteien führen. Aufgrund der zahlreichen Reaktionen auf diesen Beitrag möchte ich auf diesem Wege etwaige Missverständnisse entgegen treten und zentrale Punkte meines Anliegens betonen:
Wieso reüssieren rechtspopulistische Anti-Immigrationsparteien?
Die Grundlage meiner Argumentation sind Forschungsarbeiten, die den Zusammenhang von Integrationsdebatten und Wahlerfolgen von Anti-Immigrationsparteien untersuchen. Hieraus lässt sich folgender politischer Mechanismus generalisieren:
Bevor Anti-Immigrationsparteien erfolgreich sind, müssen konservative Positionen zu Integrationsthemen im politischen Diskurs entstigmatisiert werden. Dies geschieht üblicherweise durch die konservative Position einer etablierten Partei. Wenn diese konservative Partei – im deutschen Falle die CDU/CSU – ihre konservative Position in einer großen öffentlichkeitswirksamen Konfrontation mit anderen Parteien aufweicht, so enttäuscht sie ihre konservativen Wähler. Da jene nun nach einer konservativen Position in Integrationsfragen suchen, führt dies in aller Regel zu enormen Stimmengewinnen von Parteien rechts des bürgerlichen Lagers, da diese eben jenes programmatische Profil, das durch die Aufweichung der konservativen Position in der etablierten Partei verloren gegangen ist, anbieten. Die etablierten Konservativen räumen diese konservative Position, die sie selbst in Wahlkämpfen klar plakatierte aber nur, wenn sie auf eine klare multikulturelle und liberale Agenda ihrer bedeutendsten politischen Rivalen trifft – der Sozialdemokraten.
Der entscheidende Grund für die Schwäche von rechtspopulistischen Anti-Immigrationsparteien in Deutschland ist, dass die SPD (und auch die Grünen) seit 1989 auf eine große politische Konfrontation mit der Union in Zuwanderungsfragen verzichtet. Die SPD suchte im Zweifel stets den konservativeren Kompromiss und verzichtete auf liberale Forderungen oder lies diese rasch fallen, wann immer die CDU/CSU klaren Widerstand signalisierte. Auf diesem Wege konnte sich die Union stets als Vertreter konservativere Interessen darstellen – eine Partei rechts der CDU/CSU war nicht gefragt.
Dieser politische Mechanismus erklärt die Schwäche von rechtspopulistischen Anti-Immigrationsparteien in der Berliner Republik und nicht die deutsche NS-Vergangenheit.
In den europäischen Nachbarstaaten gingen den Durchbrüchen von Anti-Immigrationsparteien stets eine große, öffentlichkeitswirksame Niederlage der etablierten Konservativen gegen eine sehr liberale Agenda des linken politischen Lagers voran. Sei es in Frankreich in den 1980ern, den Niederlanden in den 1990ern oder in Schweden in den 2000ern. So auch in Westdeutschland Ende der 1980er, als die rechtspopulistischen Die Republikaner aus dem Stand 7,1% bei der Europawahl 1989 erreichten, da die CDU/CSU ab 1988 der sehr liberalen Agenda der SPD folgte und kurzzeitig mit zum Teil multikulturellen Kampagnen Wahlkampf machte.
Es geht nicht um das OB, sondern das WIE der Liberalisierung
Interessanterweise bedeutet die stetige konservative Position der CDU/CSU seit 1990 aber mitnichten einen Stillstand in der deutschen Integrationspolitik. Die Positionen der CDU/CSU haben sich seit den 1980ern spürbar liberalisiert und gleichen jenen ihrer konservativen Schwesterparteien in Europa sehr. Laut MIPEX-Daten (www.mipex.eu) zählt die aktuelle deutsche Integrations- und Zuwanderungspolitik hinter Schweden und den Niederlanden im Durchschnitt gar mit zur liberalsten in ganz Europa.
Obwohl die CDU/CSU diese schrittweise Liberalisierung mitgetragen hat, gingen ihr konservative Wähler und Politiker nicht verloren. Entscheidend hierfür ist, dass die Union seit 1989 keine große politische Auseinandersetzung in Integrationsfragen mehr „verlor“ – sie konnte stets entscheidende Forderungen durchsetzen: sei es die Verschärfung des Asylrechts 1992, die Ablehnung der Doppelten Staatsbürgschaft 1999/2000 und das restriktive Zuwanderungsgesetz Anfang der 2000er. Die Union konnte sich daher stets als „Wahrer“ konservativer Interessen profilieren.
Eine weitere Liberalisierung deutscher Integrationspolitik ist also durchaus möglich, solange dies nicht in eine öffentlichkeitswirksame Niederlage der Union mündet. Dies eröffnet zwei Möglichkeiten, um dem Aufstieg einer Partei rechts der CDU/CSU entgegen zu wirken: (1) Entweder muss das Thema aus der alltäglichen politischen Auseinandersetzung herausgehalten werden, um es der CDU/CSU zu ermöglichen, Stück für Stück weitere Liberalisierungen an der konservativen Basis zu vermitteln. Sollte es aber (2) zu einer medienwirksamen politischen Konfrontation kommen, ist das linke politische Lager gut beraten, den Kernforderungen der Union nachzukommen. Nur auf diesem Wege kann die Union weiter konservative Wähler und vor allem Politiker an sich binden und verhindern, dass sich jene nach einer Alternative rechts der etablierten bürgerlichen Parteien umsehen.
Es geht also nicht um das OB, sondern das WIE weiterer Liberalisierungen! Solange die Bereitschaft zur Liberalisierung aus der Union kommt, bzw. sie von ihr ohne große politische Auseinandersetzung mitgetragen wird, sind Liberalisierungen ohne Wahlerfolge von Anti-Immigrationsparteien zu halten. Sollten sie aber auf großen Widerstand seitens der CDU/CSU treffen, sollten sie besser fallen gelassen werden.
Die Nachvollziehbarkeit eines politischen Mechanismus macht ihn nicht weniger wirkmächtig
Man mag einwenden, der von mir beschriebene Mechanismus sei zu simpel und könne daher die Komplexität von Parteievolutionen nicht erfassen. Mit Sicherheit spielen hier weitaus mehr Faktoren eine Rolle – sei es Organisationsstruktur, Führungspersönlichkeiten oder Medienzugang der rechten Partei. Dennoch spielen jene für meine Argumentation eine untergeordnete Rolle, da das öffentlichkeitswirksame Räumen einer konservativen Position der entscheidende, erste Schritt ist, um Wahlerfolge von rechtspopulistischen Anti-Immigrationsparteien erst zu ermöglichen.
In der empirischen Sozialwissenschaft wird von einer „notwendigen, aber nicht zugleich hinreichenden Bedingung“ gesprochen. Ein Beispiel hilft dies zu illustrieren: Wenn beim Fußball ein Elfmeter zugesprochen wird, bedeutet dies nicht automatisch, dass auch ein Tor fällt, sobald der Elfmeterschütze zum Schuss anläuft. Schließlich muss der Ball auch richtig getroffen werden, der Torwart den Ball verpassen, der Schiedsrichter das Tor anerkennen etc. Sollte der Schütze aber erst gar nicht gegen den Ball treten, sondern stehen bleiben, wird ganz sicher kein Tor fallen. Das Anlaufen zum Elfmeter ist somit eine notwendige Bedingung um ein Tor zu machen, aber keine hinreichende. Wenn der Elfmeterschütze aber nicht zum Elfmeter anläuft, sondern einfach stehen bleibt, wird er mit absoluter Sicherheit kein Tor erzielen. Aktuell Meinung
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Herr Lochocki, den Einfluss der Wahlprogramme von konservativen Parteien auf den Wahlerfolg von rechtspopulistischen oder gar rechtsextremen Parteien kann man sicherlich empirisch nachweisen. Das ist auch spannend, falls es Ihr Promotionsthema ist, viel Erfolg damit. Letzterer ist aber – wie Sie selbst sagen – multikausal. Das es der Haupteinflussfaktor sein soll – vor allen anderen Gelegenheitsstrukturen, politischer Kultur, akteuers- und strukturellbedingten Faktoren -, dass können Sie hier nicht glaubhaft belegen. Das eine stückweite Liberalisierung konservativer Parteien zwangläufig zu einem (dauerhaften, relevanten) Erfolg rechter Parteien führt, ist nicht ohneweiteres einleuchtend. Entsprechend würde ich doch bei Empfehlungen, wie sich welche Parteien zu verhalten haben, um etwas mehr Zurückhaltung bitten.
Eine zutreffende Analyse, nicht umsonst besteht bei den großen Parteien seit Jahrzehnten ein stillschweigender Konsens darüber, dass Ausländer-/Integrationsthemen weitgehend aus Bundestagswahlkämpfen fernzuhalten sind.
Diesmal scheint es anders zu werden. Die SPD etwa wirbt offensiv für die Doppelte Staatsbürgerschaft (und kündigt damit eine vor anderthalb Jahrzehnten erzielte Einigung, deren Folgen noch fast gar nicht wirksam wurden) und mit der AfD ist eine ernstzunehmende Partei entstanden, die das von der CDU/CSU hinterlassene konservative Vakuum füllen könnte.
Noch hat sich die AfD in Einwanderungsfragen nur vage („Kanadisches Modell“) positioniert.
Das könnte sich aber mit Blick auf die jüngsten Ereignisse in Stockholm und London und dem Ziel, in den Bundestag zu gelangen, ändern.
Ich weiss nicht wie der Verfasser zu dem Schluss kommt, daß die Schwächung konservtiver Pareien die Stärkung rechtsradikaler Tendenzen begünstigt. Zumindestens die von Ihm gezeigten Graphiken lassen diesen Schluss nicht zu…
Fazit: Klare Fehlinterpratation der Daten.
[…] Wir haben keine Angst vor offen rassistischen Parteien im Bundestag. Im Gegensatz zu der CDU sind sie in ihrem Rassismus wenigstens ehrlich und verpacken es nicht in irgendwelche Floskelformulierungen. Wir lassen uns nicht erpressen bei unserem berechtigten politischen Kamf um Bürgerrechte.