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Doppelpass-Debatte 3/12

„Reden Sie mal schneller, Frau Künast muss weg!“

Politik ist langweilig und trocken? Die Bundestagsdebatte vom 5. Juni 2013 beweist das Gegenteil: Regierungs- und Oppositionspolitiker debattieren über die doppelte Staatsbürgerschaft. Das MiGAZIN dokumentiert die Reden im Wortlaut inklusive Zwischenrufe in einer 12-teiligen Serie. Heute Thomas Oppermann (SPD).

Dienstag, 11.06.2013, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 26.10.2020, 15:55 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Thomas Oppermann (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Schröder, wo immer Sie politisch herkommen,

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(Volker Kauder [CDU/CSU]: Aus Deutschland kommt er!)

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Ihre Rede hat gezeigt: In Europa jedenfalls sind Sie politisch noch nicht angekommen.

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(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nach Ihrer Vorstellung gibt es in der Europäischen Union 26 Nebenregierungen, die 2 Millionen EU-Bürger in Deutschland dirigieren.

(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Reden Sie hier als Mitglied des Schattenteams?)

Das scheint ein Eingriff in unsere nationalstaatliche Souveränität zu sein. So haben Sie eben sinngemäß argumentiert.
Ich kann Ihnen nur sagen: Mit Ihrem Festklammern an der doppelten Staatsangehörigkeit befinden Sie sich mental immer noch auf der Höhe des nationalistischen Denkens aus der Kaiserzeit.

(Serkan Tören [FDP]: Festhalten an der doppelten Staatsangehörigkeit?)

Ihr Standpunkt ist aus dem letzten bzw. vorletzten Jahrhundert. Kommen Sie endlich aus Ihrer Ecke heraus, und gestalten Sie mit uns zusammen ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht für ein modernes Deutschland!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Rot-Grün und Bundeskanzler Schröder haben vor 14 Jahren die erste große Modernisierung unseres Staatsangehörigkeitsrechtes auf den Weg gebracht. Erstmals wurde geregelt, dass die Kinder von längerfristig in Deutschland lebenden Einwohnern automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit bekommen. Das war eine fundamentale Abkehr vom Reichs- und Staatsangehörigkeitsrecht der Kaiserzeit, und es stellte eine klare Zäsur in der Einwanderungspolitik dar mit einer klaren Absage an nationalistische Deutschtümelei, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Endlich haben wir der Tatsache Rechnung getragen, dass wir eine Einwanderungsgesellschaft sind.

(Siegfried Kauder [Villingen-Schwenningen] [CDU/CSU]: Reden Sie mal schneller, Frau Künast muss weg!)

In diesem Land leben 15 Millionen Menschen, Herr Kauder, die entweder Einwanderer sind oder direkt von Einwanderern abstammen. Diese Menschen dürfen nicht länger Bürgerinnen und Bürger zweiter Klasse sein.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Sie leben ganz überwiegend dauerhaft bei uns. Sie arbeiten hier, zahlen ihre Steuern, zahlen Sozialversicherungsbeiträge. Deshalb brauchen wir faire Regeln beim Zugang zur vollen Staatsbürgerschaft. Wir wollen die Einbürgerung erleichtern, wir wollen die doppelte Staatsangehörigkeit ermöglichen, und wir wollen endlich Schluss machen mit der unwürdigen Praxis des Optionszwanges.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Fast eine halbe Million junger Menschen muss sich in den nächsten 15 Jahren entscheiden, ob sie Deutsche bleiben wollen oder Ausländer werden müssen. Dabei ist für zwei Drittel von ihnen völlig klar, dass sie beide Staatsangehörigkeiten behalten wollen. Was ist das für ein Signal an junge Menschen, die 23 Jahre lang Deutsche sind und sich jetzt gegen die Staatsangehörigkeit ihrer Eltern und Großeltern, gegen ihre Herkunft entscheiden müssen, um Deutsche bleiben zu können? Was ist das für ein Staatsangehörigkeitsrecht, das aus Deutschen Ausländer macht? – Das ist ein absurdes Staatsangehörigkeitsrecht, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lesen Sie auch die anderen Debattenbeiträge:
Renate Künast (GRÜNE)
Ole Schröder (CDU/CSU)
Thomas Oppermann (SPD)
Hartfrid Wolff (FDP)
Sevim Dağdelen (LINKE.)
Reinhard Grindel (CDU/CSU)
Daniela Kolbe (SPD)
Serkan Tören (FDP)
Memet Kılıç (GRÜNE)
Stephan Mayer (CDU/CSU)
Rüdiger Veit (SPD)
Ingo Wellenreuther (CDU/CSU)

Frau Merkel hat sich auf dem jüngsten Integrationsgipfel für eine Willkommenskultur ausgesprochen. Dieses Staatsangehörigkeitsrecht ist keine Willkommensgeste, kein Angebot zur Integration, sondern eine Aufforderung, sich gegen die eigene Herkunft, gegen die eigenen familiären und kulturellen Wurzeln abzugrenzen. Das muss aufhören, das müssen wir schnell ändern; denn wir sind in Deutschland auf Einwanderer angewiesen.

Deutschland wird in Europa und der Welt nur bestehen, wenn wir junge Menschen dafür begeistern können, nach Deutschland zu kommen und hier zu bleiben. Es mag ja sein, dass in Zeiten strukturell hoher Arbeitslosigkeit viele die Einwanderung als Belastung gesehen haben. In Zeiten des Fachkräftemangels aber ist die Einwanderung keine Belastung, sondern eine Chance. Das müssen Sie endlich begreifen, meine Damen und Herren von der Union.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen den jungen Menschen dafür das Gefühl geben: Ihr seid willkommen, ihr gehört zu uns. Ihr könnt hier in unserer Gesellschaft Verantwortung übernehmen, ihr könnt hier arbeiten und Staatsbürger sein.

Deutschland muss endlich auch auf Augenhöhe mit anderen modernen Demokratien dieser Welt – wie den USA, Kanada, Frankreich, Großbritannien, Schweden, Finnland und Dänemark – kommen. Die Mehrheit der Länder auf dieser Welt akzeptiert bereits die doppelte Staatsangehörigkeit. In diesen Ländern gibt es viel höhere Einbürgerungsquoten. In ihnen können Menschen mit Migrationshintergrund die Gesellschaft aktiv mitgestalten. Sie können mitbestimmen, wofür der Staat sein Geld ausgeben soll. Sie haben volle Rechte bei den Wahlen, und sie können den Kurs des Landes beeinflussen. Deshalb, meine Damen und Herren: Statt Ausbürgerungen brauchen wir mehr Einbürgerungen in Deutschland!

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(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Damit diejenigen, die einen Anspruch auf Einbürgerung haben, sich auch einbürgern lassen, müssen wir darum werben. Olaf Scholz als Erster Bürgermeister in Hamburg verschickt jeden Monat – wenn ich das zum Schluss noch berichten darf – 4 000 Briefe an solche Zuwanderer, die die Voraussetzungen für eine Einwanderung erfüllen. Er lädt sie ein, Deutsche zu werden.

(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Wie viele haben das schon angenommen?)

Olaf Scholz versteht das als große Einladung, weil der Zusammenhalt der Gesellschaft davon abhängt, dass wir uns als Bürgerschaft verstehen. Diejenigen, die sich für die deutsche Staatsbürgerschaft entscheiden und eingebürgert werden, werden zu einer Einbürgerungsfeier eingeladen. Die Folge ist, dass die Zahl der Einbürgerungen in Hamburg innerhalb eines Jahres um 40 Prozent gestiegen ist. So müssen wir es machen, meine Damen und Herren, damit unsere Einwanderungsgesellschaft zu einer Bürgergesellschaft wird, zu einer Gesellschaft gleichberechtigter Bürger.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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