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Die andere Seite der Medaille

Ein Ende der Proteste in der Türkei steht weiterhin in den Sternen. Um die paar Bäumchen im Gezi-Park geht es schon lange nicht mehr. Obwohl Ministerpräsident Erdoğan bewiesen hat, dass er mit der Lage nicht umgehen kann, gibt es aufseiten der Demonstranten zahlreiche Nutznießer, denen es um vieles geht, nur nicht um Demokratie.

Von Emran Feroz Montag, 17.06.2013, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 19.06.2013, 0:01 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Ein Ende der Proteste in der Türkei steht weiterhin in den Sternen. Um die paar Bäumchen im Gezi-Park geht es schon lange nicht mehr. Obwohl Ministerpräsident Erdoğan bewiesen hat, dass er mit der Lage nicht umgehen kann, gibt es aufseiten der Demonstranten zahlreiche Nutznießer, denen es um vieles geht, nur nicht um Demokratie.

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Dass am Taksim-Platz und anderswo demonstriert wurde, war und ist berechtigt. Dass Medien, vor allem westliche, gerne mit Demonstranten in fernen Ländern, sympathisieren, hat sich spätestens seit dem sogenannten Arabischen Frühling gezeigt. Auf ähnliche Weise werden nun die jüngsten Ereignisse in Istanbul und anderen Städten romantisiert. Besonders auffallend ist hierbei ein weiteres Mal, wie sehr seitens der Medien ein schwarz-weiß Denken gefördert wird.

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Die Einteilung war einfach: Die Demonstranten gelten als die Guten, während man Erdoğan und seine Regierung als das Böse schlechthin darstellte. In diesem Fall trägt das Böse das Gewand eines neoliberalen, autoritären Islamisten, der allem Anschein nach „vor den Toren Europas“ seine Bevölkerung tyrannisiert. Dies mag zwar übertrieben klingen, in Anbetracht der Berichterstattung wäre es allerdings nicht verwunderlich, wenn manche Leute tatsächlich so denken.

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Was nämlich völlig außer Acht gelassen wird, ist die Tatsache, dass sich unter den Demonstranten von Taksim genug Unruhestifter befinden, welche die Situation für sich instrumentalisieren wollen. Ein Beispiel hierfür sind vor allem jene fanatisch-nationalistischen Kemalisten, die plötzlich überall die türkische Fahne, verziert mit dem Antlitz Kemal Atatürks, schwenken. Diese ziehen es gegenwärtig vor, Erdoğan als Diktator zu bezeichnen, während sie oft und gerne vergessen, dass ihr Held, der Gründer der modernen Türkei, der für manche Türken mittlerweile den Status eines Gottes erreicht hat, selbst einen – vorsichtig ausgedrückt – streng autoritären Führungsstil pflegte.

Ähnliches gilt auch für linksextreme Gruppierungen. Während deutsche Medien die Gewaltexzesse der Polizei zurecht immer wieder hervorheben, bleiben jene von terroristischen Organisationen wie der Revolutionären Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) unbeachtet. Im vergangenen Februar bekannte sich die Gruppe zum Selbstmordanschlag auf die US-amerikanische Botschaft in Ankara. Der türkische Journalist Mehmet Solmaz, der unter anderem für die Zeitung Today’s Zaman schreibt, drückte diesbezüglich via Twitter seinen Unmut aus, indem er den westlichen Medien Heuchelei vorwarf. Von dieser wurde die DHKP-C vor einigen Monaten noch klar und deutlich als terroristisch bezeichnet, während sie sie jetzt nicht nur ignoriert, sondern teilweise auch zu den friedlichen Demonstranten mitzählt.

Ähnlich sieht dies auch der deutsch-türkische Journalist und Autor Eren Güvercin. Er fragt sich, wo all die Medien waren, als kopftuchtragende Mädchen von Polizisten aufgrund ihrer religiösen Haltung niedergeknüppelt wurden, während weite Teile der Bevölkerung, allen voran Minderheiten wie die Kurden, am autoritären Kemalismus litten. Diesbezüglich hat er auch von den „linken, spießbürgerlichen Salonrevoluzzern“ nichts gehört. Diese, so Güvercin, sitzen in irgendeinem Café in Kreuzberg, schlürfen ihren Latté Macchiato, während sie die taz lesen und kommen sich ganz toll vor, weil sie sich solidarisch geben mit den Freiheitskämpfern gegen die Erdoğan-Diktatur.

Und tatsächlich, selten waren sich die Medien so einig wie im Fall der Türkei. Dies trifft sowohl auf linke, als auch auf konservativ-liberale Blätter zu. Mit dieser Feststellung soll auch gar nicht in irgendeiner Form Partei für Präsident Erdoğan und dessen Politik ergriffen werden. Es ist eine Tatsache, dass dieser oft genug fragwürdig gehandelt hat und nun dafür gerade stehen muss. Erdoğan hat immer wieder ausgeteilt, nun muss er eben einstecken. Dies bedeutet jedoch noch lange nicht, dass die andere Seite frei von schwarzen Schafen ist. Derartige Scharfmacher und Unruhestifter sollten nicht unterschätzt werden, da sie die ganze Bewegung an sich in Verruf bringen könnten.

Genau aus diesem Grund sollte auch über sie berichtet werden. Stattdessen sprechen hierzulande selbsternannte Experten, wie Necla Kelek und Co. von Erdoğans „Koran-System“. Lustigerweise sind die „Islam-Experten“ von gestern die heutigen „Türkei-Experten“. Aktuell Meinung

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  1. Zara sagt:

    In diesem Fall trägt das Böse das Gewand eines neoliberalen, autoritären Islamisten, der allem Anschein nach „vor den Toren Europas“ seine Bevölkerung tyrannisiert.
    ———–
    So ist es ja auch, Ärzte werden dafür festgenommen, dass sie verletzte Demonstranten behandeln, Anwälte dafür, dass sie diese verteidigen, Journalisten, dass sie nicht genehm berichten, Oppositionsanhänger werden denunziert und aus ihren Berufen entlassen, Gaskartuschen werden als Ersatz für scharfe Munition genommen und auf Brusthöhe abgeschossen, Tausende wurden beim friedlichen Protest verletzt, Pfeffergas wurde in Hotels und Restaurants geschossen, DEmonstranten werden zu Frei.Wild und Schlägertrupps gehen auf sie los.

    So gebärdet sich ein Diktator.

  2. Saadiya sagt:

    Guter Artikel. Es sollte nicht vergessen werden, dass sich auch unter die Demonstranten einige Kräfte gemischt haben, die sich vielleicht selbst als Diktoren der Türkei aufführen könnten, wenn sie erst einmal an der Macht sind. Daher sollte man jedes Streben nach Macht hinterfragen.

  3. posteo sagt:

    So wie ich das türkische Parteienspektrum verstanden habe, hat der Kemalismus in der BRD kein Pendant. Kemalisten mit Sozialdemokraten gleich zu setzen ist von vorne herein irreführend. Atatürk war ein modernistischer Nationalist, eine Haltung, die ich am ehesten den amerikanischen Republikanern zuordnen würde. Eine Betonung der völkischen Identität, wie sie in der Türkei gepflegt wird, würde in Deutschland als rechtsextrem eingeordnet.
    Eine Volks-Partei, die wirtschafts- und sozialpolitisch stark ist und gegenüber allen ethnischen und reliösen Gruppen der Türkei gleichermaßen tolerant, muss sich erst bilden.

  4. Hmm... sagt:

    Ein weiterer pro Erdogan Artikel.

    Das Migazin positioniert sich hier ja eindeutig…

  5. Holla sagt:

    @ Hmm…

    Dann lesen Sie doch einfach mal den hier: http://www.migazin.de/2013/06/17/gezi-istanbul-erdogan/ ;)

    Ich fasse es nicht, wie schnell Menschen lospoltern können, wenn sie sich in ihren Vorurteilen bestätigt fühlen :)

  6. orkank sagt:

    Die Demonstranten gehören nicht zu einer politischen Gruppe. Die werden in Zukunft auch nicht mit eine Partei zu vertreten sein. Ein Diktatur gehört auch ein bestimmte Rhetorik. Die Frage ist eigentlich, wie lange AKP Anhänger verletzende, verhetzende Reden von Erdogan dulden möchten?

  7. Bosporus sagt:

    @Holla
    Auch ich bin auch ein bisschen vom Migazin enttäuscht die lange gar nichts berichtet haben (bis auf Hakan Demir) und dann einen relativierenden Artikel veröffentlichen und einen stark antidemokratischen (von Herrn Esmer)

    Man kann nicht täglich Artikel veröffentlichen in denen man über Deutschland herzieht und anprangert, dass eine Minderheit der Mehrheit nicht gleichgestellt ist und dann gleichzeitig genau diesen Vorgang in der Türkei unterstützen. Oder besser gesagt: Man kann das schon machen, nur geht die Glaubwürdigkeit, dann flöten.

    Sorry, aber es ist schon eine gewisse positionierung des Migazins zu erahnen und sie ist widersprüchlicherweise nicht den Demonstranten entgegenkommend, die die gleichen Werte vertreten die hier auf Migazin immer eingefordert werden, sondern der AKP.

    Die ganz perfiden Methoden mit denen Erdogan versucht die Demonstranten klein zu kriegen, werden hier kategorisch klein geredet oder verschwiegen.

  8. Mina Koyma sagt:

    Nichts von dem, was Sie beschreiben, rechtfertigt die Zerschlagung völlig legitimer Protestaktionen und das Aufhetzen der eigenen Schergen gegen die kritische Bevölkerung. Erdogan ist ein irrer, persönlichkeitsgestörter Diktator, der seine Bevölkerung von Bildungschancen fern hält, um sie manipulierbar zu machen! Sein Stimmen sind zum großen Teil gekauft, seine Anhänger handeln nicht selten aus Angst vor Repressionen. In jeder Bewegung gibt es Einzelne, die eigene Ziele verfolgen. Das ist völlig irrelevant vor dem Hintergrund der brutalen Niederschlagung von Bürgerrechten!!

  9. Nicht Türke sagt:

    @ Bosporus,

    also ich bin überrascht, wie ausgewogen das Migazin Meinungsbeiträge zum Thema bringt. Bisher habe ich sowohl Contra-Erdogan Artikel gelesen als auch Pro-Erdogan. Davon könnte sich so manche Redaktion ein Stück von abschneiden.

  10. dermond2013 sagt:

    Mich überrascht gar nichts mehr. Leider mußte ich in meiner Umgebung feststellen – alle PRO Erdogan , dass trotz der wirklich schrecklichen Bilder und Vor-Ort Berichten absolut KEIN Mitgefühl vorhanden ist. Es erschreckt mich und man denkt dann ganz plötzlich, dass man diese Menschen gar nicht wirklich kennt…. Ich finde es Schade, dass Sie, Herr Esmer, immer wieder die Demonstranten als Links-Extreme hinstellen. Aber, dies zeigt leider nur, wie subjektiv Sie diesen schreiben. Schade, von einem Blogger bzw. Magazin einem Journalisten hätte ich mehr erwartet.