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Der Koalitionsvertrag

Erhofft hatten wir mehr …

Lange brauchte es diesmal von der Bundestagswahl im September bis zur Bildung einer Regierungskoalition. Während dieser Artikel entsteht, wird der Koalitionsvertrag unterschrieben, die ersten personellen Besetzungen werden bekannt und setzen Phantasien frei, wie wohl die Kompromisse im Vertrag umgesetzt werden können?

Von Hiltrud Stöcker-Zafari Mittwoch, 18.12.2013, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 20.12.2013, 1:14 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Bei alledem bleibt uns erst einmal der Koalitionsvertrag, in dem auf 180 Seiten die Ausrichtung der Politik der Koalitionäre CDU/CSU und SPD dargelegt ist. „Deutschlands Zukunft gestalten“ titelt die Regierungskoalition und gibt vor, zentrale Themen für dieses Land anzugehen.

Unsere Gesellschaft wird durch Zuwanderung vielfältiger, konstatieren die Koalitionäre in der Präambel (S. 8). Es ist allgemein bekannt: jeder fünfte Haushalt in Deutschland hat mittlerweile ein Mitglied mit Migrationshintergrund und in jeder dritten Familie in Deutschland, in der Kinder unter 18 Jahren leben, hat mindestens ein Elternteil ausländische Wurzeln. Wir sprechen somit von einer Personengruppe, die bedeutend ist für die Zukunft dieses Landes.

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Was denken die Koalitionäre zu Integration und Zuwanderung?
Das entsprechende Kapitel beginnt mit dem Satz, dass Deutschland ein weltoffenes Land ist. Es verzichtet auf das Bekenntnis zur Einwanderungsgesellschaft, was wir gerne gelesen hätten, wären doch damit Forderungen an struktureller Gestaltung in allen Bereichen verbunden. Stattdessen wird an der Leitlinie der 90er Jahre festgehalten, dem „Fördern und Fordern“ sowie die Erwartung formuliert, „dass Angebote zur Integration angenommen werden“ (S. 105). Diese Äußerungen sind uns aus der Vergangenheit gut bekannt. Gewünscht hatten wir uns, dass Einwanderung als Querschnittsthema angesehen und aufgenommen wird. Da kann auch die positive Entscheidung, endlich den Optionszwang für Deutsche ausländischer Eltern aufzukündigen, nicht hinwegtäuschen. Sie war ohnehin fällig, stellte sie doch ein überbürokratisches Monstrum der Nichtzugehörigkeit dar. Versäumt wurde jedoch an dieser Stelle, die Mehrstaatigkeit grundsätzlich bei Einbürgerungen vorzusehen. Angesichts dessen, dass bereits gegenwärtig mehr als die Hälfte der Eingebürgerten in Deutschland zu Mehrstaatern werden, wäre dies nur die Anerkennung der gesellschaftlichen Realität gewesen aber vor allem ein wichtiges integratives Signal an interkulturell lebende Familien!

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Die Koalitionäre „werden die Willkommens- und Anerkennungskultur in unserem Land stärken“ (S. 106). Mit dieser Absicht scheinen keine konzeptionellen Überlegungen einherzugehen, denn man begnügte sich mit endlosen Aufzählungen und Wiederholungen, die aus den Integrationsgipfeln bestens bekannt sind: wir wollen u. a. die Beratungsdienste JMD (Jugendmigrationsdienst) und MBE (Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderer) besser miteinander verzahnen, die interkulturelle Öffnung vorantreiben, den Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund im öffentlichen Dienst erhöhen, Migrantenorganisationen strukturell fördern, Eltern mit Migrationshintergrund stärken und ihre Kinder früh und gezielt im Erlernen der deutschen Sprache fördern. An keiner Stelle steht, wie dies geschehen soll und wie viele finanzielle Mittel dafür eingesetzt werden. Zu hoffen bleibt, dass die Aufgaben nicht konkurrierend nebeneinander stehen.

Den Ausländerbehörden wird eine Schlüsselfunktion in der Willkommens- und Anerkennungskultur zugewiesen (S. 106), ohne ihren Auftrag als Ordnungsbehörde zu benennen. Wie sollen diese beiden Funktionen zusammengehen? Wie soll dies glaubwürdig Migrant/innen und ihren Familien vermittelt werden?

Es fehlt der Blick auf die Ressourcen der interkulturell lebenden Familien. Sie und ihre Kinder sollen im Erlernen der deutschen Sprache gefördert werden. Doch dabei bleibt die wichtigste Ressource der Familien, die Mehrsprachigkeit, außen vor. Kein Wort darüber, wie in der frühkindlichen Sprachförderung oder auch im beruflichen Werdegang mit dieser Ressource umgegangen werden soll /kann. Wie kann sie gefördert und erhalten werden? Sicherlich, Integrationspolitik ist auch Bildungspolitik (S. 106), aber was ist damit gemeint? Will man strukturelle Verbesserungen einführen oder setzt man weiterhin auf individuelle Förderung? Damit bliebe man im wohlbekannten Sprachgebrauch der individuellen oder sogar der kulturellen Zuweisung für das Erreichen bzw. für das Nichterreichen von Zielen.

Wie in der Vergangenheit wollen die Koalitionäre das Miteinander von Migranten und Einheimischen weiter verbessern (S. 107). Von welchen Personengruppen ist dabei die Rede? Wer soll denn für wen Patenschaften übernehmen? Gerade die städtische Bevölkerung in Deutschland ist derart vielfältig, so dass eine Unterteilung in einheimisch und zugewandert schon lang nicht mehr entlang der Staatsbürgerschaft gezogen werden kann. Die Trennlinie in unserer Gesellschaft läuft u. a. zwischen arm und reich.

Ebenso wie in der Vergangenheit werden Eingewanderte singulär gesehen. Dass dahinter das System einer Familie steht, wird ausgeblendet. Migration ist oft nicht allein eine individuelle Entscheidung, sondern sie wird meist familiär getroffen und bereits der 6. Familienbericht stellte die Bedeutung der Familie im Integrationsprozess heraus. Dieser Part und ebenso die bedeutendste Form der Einwanderung nach Deutschland, der Ehegatten- und Familiennachzug, bleiben in diesem Kapitel unerwähnt. Wenn dann auf S. 96 die Familienfreundlichkeit als Leitprinzip der Gesetzgebung und exekutiven Handelns verankert wird, sollten sich die Koalitionäre fragen, ob tatsächlich alle Familien in diesem Land mitgedacht werden? Dies scheint nicht der Fall zu sein. Anders können wir uns nicht erklären, warum die Abschaffung des Spracherfordernisses als Voraussetzung für den Ehegattennachzug aus einem Drittstaat bei den Verhandlungen auf der Strecke blieb. Obgleich sich rot-rot-grün schon lange gegen diese familienfeindliche Regelung aussprach, da Paare über lange Zeit voneinander getrennt und Ehegatten nach finanzieller und individueller Leistungsfähigkeit unterschieden werden, konnte sich die SPD gegenüber den angehenden Koalitionspartner offensichtlich nicht durchsetzen. Ob bei der tatsächlichen politischen Ausgestaltung eine Änderung im Interesse vieler Paare und Familien noch möglich sein wird, bleibt abzuwarten.

Mit großer Sorge sehen wir die Ausführungen zur „Armutszuwanderung innerhalb der EU – Akzeptanz der Freizügigkeit erhalten“. Nach den Drittstaatlern werden nun auch Unionsbürger aus bestimmten Regionen als Zuwanderer in die hiesigen Sozialsysteme angesehen. Anstatt die Herausforderung anzunehmen und nach Lösungen zu suchen, wird Missbrauch unterstellt und Abwehr propagiert. Mit dieser Haltung lässt sich schlecht Politik machen. Es ist bekannt, dass die Mehrheit der Unionsbürger aus Südosteuropa einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung in Deutschland nachgeht, die wenigsten sind auf staatliche Leistungen angewiesen. Die Familien, die Unterstützung benötigen, sind in die bestehenden Systeme zu integrieren. Wenn unsere Systeme nicht darauf ausgerichtet sind, so ist dies ein Indiz dafür, dass wir strukturell immer noch nicht auf Einwanderung eingestellt sind. Insofern sind Anstrengungen auf allen Ebenen zu unternehmen, dem Profil einer Einwanderungsgesellschaft gerecht zu werden. Bei der Bewältigung dieser Mammutaufgabe dürfen die Kommunen nicht allein gelassen werden. Zumindest dies scheinen die Koalitionäre zu sehen, die Förderprogramme den Kommunen bereitstellen wollen (S. 108).

Insgesamt ist dieser Politikbereich enttäuschend. Die Koalitionäre versäumten, Integration und Zuwanderung als gesellschaftliches Querschnittsthema zu sehen und mit strukturellen Ideen oder zumindest Überlegungen die neue Legislaturperiode einzuläuten. Anstatt die Potentiale der eingewanderten Familien zu sehen, wird an vielen Stellen abgewehrt – der Duktus der vergangenen Jahre ist spürbar. Wir hatten uns mehr erhofft.

Natürlich kommt die Einführung des Mindestlohns auch den interkulturell lebenden Familien zu gute. Viele von ihnen sind in prekären Arbeitsverhältnissen tätig. Ob sie allerdings von dem früheren Renteneintritt profitieren können? Vielfach werden sie aufgrund von Schwierigkeiten beim Zugang zum Arbeitsmarkt die nachzuweisenden 45 Beitrittsjahre nicht erreichen können. An dieser Stelle ist jedoch positiv heraus zu stellen, dass weitere Verbesserungen bei der Feststellung und Anerkennung im Ausland erworbener Berufsqualifikationen vorgesehen sind. Für Nachqualifizierungen soll es finanzielle Unterstützung geben und auch für informelle Kompetenzen werden neue Verfahren anvisiert (S. 32).

Unser Verband wird weiterhin die Anliegen der interkulturell lebenden Paare und Familien in Deutschland aktiv angehen und setzt auch zukünftig auf die Unterstützung seiner Mitglieder und Förderer. Aktuell Meinung

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