Weihnachten
Als der kleine Engel weinte
Es war die Zeit nach dem Krieg. Die Weihnachtsvorbereitungen hatten begonnen. Viel gab es nicht. Alles war sehr bescheiden, aber damals empfanden es alle als festlich und prächtig. In der Stadt lebten auch einige Flüchtlingsfamilien...
Von Doris Henninger Donnerstag, 19.12.2013, 8:27 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 22.12.2013, 23:19 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Es war die Zeit nach dem Krieg. In der kleinen Stadt Höxter an der Weser hatten die Weihnachtsvorbereitungen begonnen. Viel gab es ja noch nicht. Aber das wenige, das übriggeblieben oder wieder neu erworben war, wurde genutzt, um Straßen, Häuser, Marktplatz und Kirche zu schmücken. Sehr bescheiden zwar, ja eigentlich sogar kärglich, aber damals empfanden es alle als festlich und prächtig.
In der Stadt lebten auch einige Flüchtlingsfamilien, als Zwangseinweisung der Behörden in ohnehin schon überfüllten Häusern oder in Barackenlagern untergebracht. Viele erkannte man an der Art, wie sie sich bewegten, wie sie schauten. Fragende Blicke, suchend, zweifelnd. Manche Gesichter zeigten abgründige Trauer, auch Angst. Sie schienen immer auf der Suche nach etwas. Nach der Vergangenheit, die sie verloren hatten, oder der Zukunft, die ungewiß vor ihnen lag?
In der alten Kirche standen wie jedes Jahr zwei riesige Weihnachtsbäume rechts und links des Altars – alte hohe Fichten, im Wald geschlagen und dann mit viel Aufwand in die Kirche gebracht. Sie bildeten die Kulisse für das Krippenspiel, das von Kindern aufgeführt werden sollte. Auch die Andeutung einer Herberge und eines Stalles fehlten nicht. Während des Spiels hatten die Hirten vor einer der Fichten zu kauern und sich an einem Reisighaufen zu wärmen. Sogar echte Schaf- und Ziegenfelle lagen da.
Ich hörte, daß auch zwei Flüchtlingsmädchen dabei sein würden. Die große Schwester sollte die Maria darstellen. Sie war sanft, mit langen schwarzen Haaren, genau so, wie man sich Maria vorstellt. Die kleine spielte eigentlich keine Rolle, stumm sollte sie als Engel die Szene vervollständigen, weil Engel eben dazugehören zu der Weihnachtsgeschichte von Bethlehem.
Ich kannte diese kinderreiche Familie etwas. Die Mutter wartete noch immer auf ihren Mann, der irgendwo im Osten geblieben war. Mit ihren Kindern war sie lange unterwegs gewesen, zu Fuß durch Schnee und Eis, und hatte hier nun eine vorläufige Bleibe gefunden. Wie es weitergehen würde, wußte sie noch nicht. Es war auch damals nicht so einfach, als Alleinerziehende mit fünf Kindern unterzukommen.
Am Tag des Heiligen Abends besuchte ich in der alten Kirche das Krippenspiel. Wieder einmal die alte Geschichte, eigentlich schon fade und abgestanden durch ungezählte Wiederholungen zur Zeit und Unzeit, dachte ich. War sie überhaupt noch zeitgemäß?
Erst hatte ich gar nicht hingehen wollen. Doch als die Kleine, die den Engel darstellen sollte, mich erwartungsvoll fragte, ob ich denn auch käme, hatte ich es nicht fertig gebracht, nein zu sagen. So saß ich nun in der kalten Kirche. Fast konnte man den Atem als kleine weiße Wolke wahrnehmen. Ich dachte sehnsüchtig an meine warme Stube daheim, während das Spiel begann.
Die jüngere der beiden Schwestern kauerte als Engel vor der ganzen Szene. Eigentlich nur eine kleine Statistin. Sie saß da, in einen weißen Umhang gehüllt. Die Hände hielt sie vor der Brust gegeneinander gelegt – eine fromme Geste in der Art wie sie bei den alten Meistern manchmal dargestellt ist.
Jetzt traten Josef und Maria auf, sie suchten eine Herberge. Überall trafen sie nur auf geschlossene Tore und abweisende Gesichter.
„Kalt ist es“, klagte Maria mit sanfter Stimme. „Bitte gebt uns Raum in eurer Herberge.“
Diese Worte kennt sie nicht nur aus dem Spiel, begriff ich plötzlich, die sind ihr durch vielfache eigene Bitten an fremden Türen vertraut.
Dieser Text ist mit freundlicher Erlaubnis des Zeitgut Verlags dem Buch „Unvergessene Weihnachten. Band 8“ entnommen.
Hatten sich anfangs noch einige geräuspert oder miteinander geflüstert, so lag jetzt tiefe Stille über dem Kirchenschiff. Ganz leise war es geworden, als nun die laute, harte Stimme des Wirtes gnadenlos donnerte: „Schert euch fort! Hier ist kein Platz für euch. Seht ihr nicht selbst, daß alles voll ist?“
In diesem Augenblick sah ich etwas ganz anderes: Dem kleinen Engel strömten die Tränen nur so über das Gesicht. Immer mehr wurden es. Schließlich hockte da nur noch ein bitterlich schluchzendes Etwas, das dennoch versuchte, Haltung zu wahren. Die Aufmerksamkeit der Zuschauer galt
längst nicht mehr dem heiligen Paar, sondern dem kleinen unglücklichen Himmelsboten, der so tapfer versuchte, seine Tränen zu beherrschen. Einer der Hirten konnte es nicht mehr mit ansehen, beugte sich zu der Kleinen hinunter und versuchte, sie zu trösten: „Es ist doch nur ein Spiel.“
Der Engel jedoch schluchzte: „Aber es ist wie in Wirklichkeit, und es ist so traurig!“
Ja, dachte ich, indem ich ihn ansah, es ist so traurig. Und du hast die heiligen Höhen der Himmlischen verlassen, bist Zeuge dieser Hartherzigkeit geworden, und es rührt dich an.
Die kleine Engelsdarstellerin konnte nicht mehr in ihre Rolle zurückfinden. Sie mußte so sehr weinen, daß man sie aus der Szene entfernte. Ihre unaufhaltsam fließenden Tränen paßten nicht in das Konzept des Spiels. Engel sollen Gott loben, nicht weinen. Vielleicht waren diese Tränen aber ehrlicher als der herrlichste Gesang. Aus tiefster Seele kamen sie gewiß. Aktuell Feuilleton
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Ja, ja. Ach was sind doch so viele von uns so schön rührselig in der Weihnachtszeit, vor allem in der Weihnachtsmesse oder vor der Glotze, wenn die alten Schnulzen wiederholt werden.
Und morgen demonstrieren wir dann gegen den geplanten Bau einer Moschee in der Nachbarschaft oder regen uns über sonstwas „ausländisches“ auf.
Statt Tränen zu bestaunen, ladet doch mal jemand aus der Nachbarschaft ein, dessen „fremdes Aussehen“ erstaunlich den Drei Heiligen Königen gleicht oder beschenkt doch mal die Kinder der allein stehenden Mutter nebenan, deren Mann in Syrien oder sonstwo in den Kriegswirren verschüttet wurde.
Schön wäre es aber auch, wenn der Fremde gegenüber, die Fremde in der Wohnung über mir mich ansprechen, mich einladen würde, auch wenn es mit der Sprache noch nicht so klappt.
In diesem menschlichen Sinne
Maria und Josef waren keine Flüchtlinge! Maria und Josef waren ein offenbar schwer verliebtes junges Paar, das nicht einmal voneinander lassen wollte, als laut dem Lukasevangelium „ein Erlass von Kaiser Augustus ausging, dass jedermann sich [steuerlich] schätzen lasse, ein jeglicher in seiner Stadt [= der Stammsitz der Familiensippe]. Man kann sich in Bezug auf die Weihnachtsgeschichte jetzt ganz nüchtern fragen, ob mit jedermann vielleicht auch jeder Mann=Familienvorstand gemeint war und ob es daher nicht genügt hätte, wenn Josef allein „zum Finanzamt“ gegangen wäre, um es mal in heutiger Sprache auszudrücken.
Nun muss man dem jungen Paar jedoch zu Gute halten, dass Kinder eben nicht immer auf den errechneten Geburts-Termin warten wollen, zumal über die genaue Schwangerschaftsdauer einer geistlichen Empfängnis keinerlei Erfahrungswerte vorlagen.
Und was die Umstände der Geburt angeht, hatte die biblische Maria immerhin ihren Mann zur Seite und Dank der Engel kamen auch gleich darauf ein paar Hirten vorbei und diese hatten vielleicht auch eine warme Decke und etwas Proviant dabei.
Dann waren noch ein Ochs und ein Esel im Stall. Wer je einen Stall betreten hat, weiß, wie viel Wärme die Tiere selbst verbreiten, weshalb man in einem Stall keine Heizung braucht.
Dass Lukas die Geburt Jesu in einen Stall verlegt hat, wird so gedeutet, dass Jesus sich zuerst den ganz einfachen Leuten, eben den Hirten offenbart hat.
Dass heißt nicht, dass Weihnachten nicht daran erinnern soll, an andere zu denken. Nur geschieht dass ohnehin. Hilfsorganisationen nehmen zu Weihnachten mehr Spenden ein, als das gesamte restliche Jahr. Für bedürftige Kinder gibt es zig Weihnachtsgeschenk-Aktionen, wie z.B. „Weihnachten im Schuhkarton“. Die Kirchen bieten im Advent als „Vesperkirche“ gemeinsame Essenstafeln an (schon wieder Essen, ich weiß). Und schließlich sind unsere Kirchen längst auch multikulturell besetzt. In meiner Kirchengemeinde muss sich jedenfalls kein Kind schminken, um die 3 antiken Kontinente zu repräsentieren (daher der „Mohrenkönig“).
In meiner Kindheit hatten meine Eltern mir gesagt, in der Heilige Nacht komme das Christkind und bringe den Weihnachtsbaum und die Geschenke, und wenn ich dann am nächsten Morgen ins Wohnzimmer kam, stand dort tatsächlich der geschmückte Baum mit den Geschenken darunter … bis meine bereits aufgeklärten Spielkameraden mich ein paar Tage vor Weihnachten darauf aufmerksam machten, daß der noch zusammengebundene, ungeschmückte Weihnachtsbaum auf dem Balkon versteckt lag. Und wo waren all die Engel, die zur Weihnachtszeit unterwegs sein hätten müssen? Dann las ich in einer der großen deutschen Illustrierten die Reihe vom „Nackten Affen“ über die Evolutionstheorie und wurde Agnostiker … bis mir der Islam mit seinem nicht vermenschlichenden Gottes- und Engelsbild meinen Glauben wiedergab. Durch diese meine eigene Erfahrung ist mir bewußt geworden, wozu es führt, wenn man Kinder mit solchen Lügengeschichten betrügt und rührseligen Geschichten von der harten Realität ablenkt. … Sie können sich dann später ganz von der Religion abwenden.
Wo war denn die christliche Einstellung mit weihnachtlicher Rührseligkeit, als die meisten Deutschen dem Verführer nachliefen und viel zu wenige von ihnen Einwand dagegen erhoben, daß die nationalsozialistische Rassenlehre nicht mit dem Christentum vereinbar ist? So schnell hatten sie anscheinend vergessen, daß sie eigentlich Christen waren. Und welch frohe Weihnachten bescherte dann die deutsche Wehrmacht all jenen Christen, deren Länder sie auf Befehl des Verführers überfiel und besetzte? Oder war das ganz in Ordnung, weil die anderen ja nur Untermenschen oder „Bolschewiken“ waren? Und dann haben gegen Ende des Krieges und danach manche Deutsche selbst etwas von dem Leid erfahren müssen, das ihre Soldaten zuvor Menschen anderer Völker verursacht hatten.
Lieber Lynx,
Sie finden Weihnachten also indiskutabel, weil die Nazis auch Weihnachten gefeiert haben. Die Nazis haben auch Automobile, Straßenbahnen und Flugzeuge besessen, sie hatten Elektrizität, Radios, Fotoapparate und Kinos. Sie haben Operationen unter Narkose durchgeführt und auch schon Antibiotika eingesetzt. Und eine Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung hatten sie auch. Finden sie es nicht etwas inkonsequent, sich all der vielen Dinge zu bedienen, die auch schon die Nazis kannten?