Theater
Der Imker als Islamist
Der Nationalsozialistischen Untergrund als Matsch auf dem Theater – Lukas Langhoff inszeniert Marianna Salzmanns und Deniz Utlus Thesenstück „Fahrräder könnten eine Rolle spielen“ am Berliner Ballhaus Naunynstraße als Turboleske.
Von Jamal Tuschick Freitag, 17.01.2014, 8:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 08.08.2016, 10:51 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Andreas hat ein Problem. Ein illegaler Zugriff auf „Deutschland schafft sich ab“ wurde abgemahnt. Die Aussichten: Achthundert Euro Strafe und Gebühren oder Arrest. Freundin Lea (Janin Stenzel) fehlen zur Hilfe die Voraussetzungen. Immerhin bringt sie ihn mit einem zusammen, der den Betrag als Honorar für die Teilnahme an einem Überfall auf Ausländer verspricht. Andreas ist bereit, doch wird der Plan verworfen. Der Überfall sollte gefilmt werden. Das interessiert keinen Sender. Alles zerschlägt sich auf einer Kaskade schlechter Ideen. Schließlich dreht Andreas durch und am Ende steht der studierte Imker als islamistische Kampfmaschine vor Gericht.
Noch mal auf Anfang. Andreas kann nicht vergessen. Ein absolutes Gedächtnis hält ihn im Schwitzkasten. Andreas sieht aber so aus, als könne er sich überhaupt nichts merken. Prekär war gestern – seine Statusmeldungen signalisieren vollständig torpedierte Verhältnisse. In einer Welt der Besserverdienenden spielt Andreas seine Rolle am dienenden Rand. Der Imker wird ausgeliehen und ausgelacht als Kellner auf der FDP-Tagung und als Tablett mit den belegten Brötchen im NSU-Untersuchungsausschuss. Die Mischung aus Intelligenz und Inferiorität zerlegt Andreas. Er strahlt aus wie ein überlasteter Sender.
Simon Brusis spielt Andreas in „Fahrräder könnten eine Rolle spielen“ als Person gewordene Küchenschürze. Er will gewiss nicht und muss sich dennoch alles gefallen lassen. Interessant, wie die handelsüblichen Abwehrmaßnahmen in seinem Fall atomisiert werden. Armut ist Gefangenschaft, lautet eine Botschaft. Und bei wem reicht es schon zu Nâzım Hikmet: „Es geht nicht darum gefangen zu sein, sondern darum, dass man sich nicht ergibt.“
Zusammengestaucht wird Andreas von einem Karrieristen der Freien Demokraten. Das ist ein Seelenvergewaltiger aus Leidenschaft, so smart wie infam. Er kolportiert die Freude eines schwarzen Kellners über Philipp Röslers Erfolg, „einer von uns, der es geschafft hat“, mit ungebremster Häme. Als ob sich Rösler mit einer Assel aus dem Keller der Gesellschaft gemein machen würde. Der Abgeordnete fragt Andreas, ob er schwul sei, die Schürze liefert das Motiv. Er berichtet von einer invertierten Vorliebe für nationalsozialistische Symbole als Fetische. Andreas fragt, ob Westerwelle die Information geliefert habe. Im Gegenzug bringt es der Abgeordnete fertig, Andreas in einem Satz als homophob und als „schwule Sau“ zu denunzieren. Paul Wollin spielt überragend das Arschloch. Er ist der beste Schauspieler des Abends. Ein national gesinnter Naturfreund namens Basti findet neben ihm Mittel und Wege, Andreas zu verwirren.
Sebastian Brandes spielt den rechten Basti mit gepapptem Bart. Er verspricht Hilfe in einer Notlage, um Andreas gefügig zu machen. Sein Rassismus paart sich mit Paranoia. Stotternd stemmt er sich der Überfremdung und einer linken Meinungsdiktatur entgegen.
„Fahrräder könnten eine Rolle spielen“ zitiert eine Einlassung des BKA-Präsidenten Jörg Ziercke im NSU-Untersuchungsausschuss. Man hätte den Kessel Buntes auf der Bühne auch noch voller packen können. Wen gab es nicht alles zu verdächtigen: eine Schwabenschwadron des Ku-Klux-Klan, die Russenmafia und serbische Sinti in Heilbronn, die tiefe Türkei in Hessen-Kassel, ein geschlechtlich ambivalentes Monster aus Osteuropa. – Oberärzte und Unteroffiziere, die sich zur „Neo-Schutzstaffel (NSS)“ zusammengeschlossen – und den minderen NSU für ihre Zwecke herrschaftlich gebraucht haben sollen. Nein, man kann den Autorinnen keine Übertreibungen vorwerfen. Marianna Salzmann und Deniz Utlu konnten mit der Absurdität dieser Angelegenheit nicht Schritt halten, in der ein Staat sich lieber Versagen nachweisen lässt als Aufklärung zu organisieren. Warum nur? Kein Zweifel, dass systematisch an Erkenntnissen vorbei ermittelt wurde. Hätten sich Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nicht mit Selbstmord selbst angezeigt, wäre heute noch von „Döner-Morden“ die Rede und die üblichen Ausländer würden als Verdächtige gehandelt.
Aber die Toten waren ja nur Türken. Mit zwei Ausnahmen. Das Beste am Stück ist die Kakophonie der Gehässigkeit im Herabsetzungsfuror von Minderheiten und Außenseitern. Die Aufführung nimmt den braunen Sumpf beim Wort. Die Protagonisten waten darin, die Konkretisierung macht Effekt. Aktuell Feuilleton
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