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Ein Plädoyer

Wieso das Ehrenamt wichtig ist

Immer mehr Migranten engagieren sich ehrenamtlich. Das ist eine positive Entwicklung. Insgesamt aber ist das Ehrenamt unter Migranten immer noch deutlich geringer verbreitet als unter Menschen ohne Migrationshintergrund. Das muss sich ändern.

Von Mittwoch, 02.04.2014, 8:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 04.04.2014, 0:33 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Still ist es in den Klassenräumen. Gebannt hören Schüler und Eltern in Schulen, Kulturzentren und anderen ähnlichen Einrichtungen zu, wenn Ümmühan Çiftiçi von ihren persönlichen Erfahrungen erzählt, die sie während ihrer Schulzeit gemacht hat. Welche Probleme sie hatte, gegen welche Vorurteile sie kämpfen musste und welche Wünsche sie hegte.

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Ümmühan Çiftiçi ist 24 Jahre alt, hat türkische Wurzeln und ist Medizinstudentin. Neben dem Studium ist sie Vorsitzende und Ideengeberin des Vereins InteGREATer. Die Idee hinter InteGREATer ist, dass junge Menschen mit Migrationshintergrund als Vorbild, Mutmacher und Ratgeber ihre Erfahrungen und Lebensgeschichten weitergeben und als Leuchttürmer den Weg durch den Bildungsdschungel erleichtern. Sie gehen in die Stadtteile und berichten von ihren kleinen und großen Bildungserfolgen und was durch Bildung erreichen werden kann. Alles natürlich aus einem freiwilligen Engagement heraus. Für Ümmühan Çiftiçi ist das ehrenamtliche Engagement sehr wichtig.

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“Es ist ein tolles Gefühl zu wissen, dass die aufgewendete Zeit und Energie zu etwas Gutem beiträgt. Konkrete Erwartungen hat man nicht für die geleistete Arbeit, doch hofft man innerlich, dass man mit guten Taten das Schicksal positiv beeinflussen kann. Im Mittelpunkt stehen nicht die eigenen Bedürfnisse, sondern die Bedürfnisse anderer Menschen.“, erklärt die 24-jährige ihr Engagement. Es sei nicht wichtig, wie oder was etwas gemacht wird, Hauptsache sei, dass man etwas zurückgebe. Ehrenamt bilde weiter und ermögliche es, aus seiner eigenen ‚Höhle‘ herauszukommen.

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So wie Ümmühan Çiftçi von ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit schwärmt, denken mittlerweile sehr viele junge Migranten. Denn seit einigen Jahren bringen sie sich immer stärker in die Gesellschaft ein und engagieren sich immer häufiger.

Jahrelang war dieser bedeutende Teil der Gesellschaft sehr zurückhaltend oder nur in eigenen Vereinen, Organisationen oder Initiativen – häufig als geschlossene Gesellschaft – aktiv. Aus diesem Grund wurden sie kaum wahrgenommen und stark unterschätzt. Was als mangelndes Interesse interpretiert wurde, lag einfach daran, dass viele Migranten sich nicht willkommen und empfangen gefühlt haben. Wieso sollte man sich in die sozialen Strukturen und Probleme „einmischen“ und für die Gesellschaft einen Beitrag leisten, wenn diese doch einen sowieso nicht wollte? Das waren und sind die Frage, die sich viele Jugendliche mit Migrationshintergrund stellten.

Doch der Prozess der interkulturellen Öffnung kommt langsam voran. Zunehmend engagieren sich immer mehr Migranten in vielfältiger Weise und sind in vielen Bereichen präsenter. Viele von ihnen haben erkannt, dass Ängste und Vorurteile nur durch Begegnungen und Gespräche abgebaut werden können. Überdies wollen sie soziale Angelegenheiten in die eigene Hand nehmen und die Strukturen mitgestalten.

Malek B. ist einer dieser jungen und motivierten Migranten, der die Chance und den positiven Einfluss auf die Gesellschaft nutzen will. Er ist ebenfalls Student hat tunesische Wurzeln und möchte das Leben der Obdachlosen in Frankfurt ein wenig erträglicher machen. Mit der Unterstützung der ESG Darmstadt verteilt er mit seinen Freunden seit einem halben Jahr Lebensmittel an Obdachlose. Eine Gegenleistung erwarte er nicht.

Die Bereitschaft von Migranten, sich ehrenamtlich einzubringen, ist insgesamt aber immer noch deutlich geringer als der Menschen ohne Migrationshintergrund. Sehr Schade, denn es ist sehr wichtig für die Gesellschaft, dass sie ihre Fähigkeiten und einen Teil ihrer Zeit freiwillig und ehrenamtlich einsetzten. Die Chance, Brücken zu bauen darf von niemand ungenutzt bleiben. Nur durch eine Teilnahme aller Bürger kann eine tolerante Gesellschaft entstehen. Aus dem freiwilligen Engagement wächst gegenseitiger Respekt, schrumpft Diskriminierung und das Wir-Gefühl wird gestärkt. Das Miteinander ist ein wichtiger Beitrag für den Integrationsprozess in Deutschland.

Erfahrungen, Denk- und Handlungsweisen können vielfältig ausgetauscht und in die Gemeinschaft eingebracht werden. Darüber hinaus können Kenntnisse und Fähigkeiten über eine ehrenamtliche Tätigkeit erworben werden, die privat wie beruflich von Nutzen sein können.

Freiwilliges Engagement basiert jedoch nicht nur auf Eigeninitiative. Wichtig ist, dass Mut gemacht wird. Die Mitwirkung von Menschen mit Migrationshintergrund muss deshalb aktiv gefördert werden. Sie müssen für gemeinwohlorientierte Arbeit gewonnen, qualifiziert und motiviert werden.

Hierbei ist die Begegnung auf gleicher Augenhöhe wichtig. Das Vertrauen, dass den Jugendlichen entgegengebracht wird, spielt eine zentrale Rolle. Die geleistete freiwillige Arbeit sollte geschätzt und sichtbar gemacht werden, denn dies motiviert zu weiteren Beteiligungen. Ziel sollte es deshalb sein, Menschen mit Migrationshintergrund als „Brückenbauer“ zu gewinnen und den Prozess der Annäherung, Auseinandersetzung und Kommunikation zu fördern. Wichtig ist die ehrenamtliche Arbeit von Migranten nicht nur für die Zukunft der Feuerwehr, der Rettungsdienste oder der Altenhilfe, damit es nicht zu Engpässen kommt, sondern auch aus einem weiteren Grund: Auch im Ehrenamt muss sich gesellschaftliche Vielfalt wiederspiegeln. Aktuell Meinung

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  1. Wolfram Obermanns sagt:

    Es stimmt nicht, daß Migranten nicht ehrenamtlich tätig wären, jeder Moscheeverein oder migranitsche Sportverein ist ehrenamtlich organisiert.

  2. Roman sagt:

    Ich stimme dem vorherigen Post zu. Migrantinnen und Migranten sind am klassischen, institutionalisierten Ehrenamt vermutlicher seltener beteiligt (z.B. Feuerwehr, THW, Tafeln usw.), was übrigens wohl auch an soziostratischen Verhältnissen liegen mag. Ehrenamt ist jedoch auch im Sinne von nicht-institutionaliserter / nicht-regelmäßiger Hilfe und Unterstützung im sozialen Umfeld zu verstehn. Z.B. spontane Einkaufhilfe für kranke Nachbarn, Standbetreuung bei Stadtteilfesten u.v.m.. In diesem Bereich kann ich mir vorstellen, dass Migrantinnen und Migranten nicht weniger engagiert für das soziale Umfeld sind.

    In einem Forschungsprojekt beleuchten wir zur Zeit u.a. dieses Thema. Gerne verwerten wir hier gepostete Hinweise auf aktuelle Studien / Erkenntnisse zur Teilhabe von Migrantinnen und Migranten am Ehrenamt. Roman Lietz, Wiss. Mitarbeiter Karlshochschule (Karlsruhe)

  3. Sommer sagt:

    @Wolfram Oberamann : Das wird doch gar nicht so gesagt. Es wird darauf hingewiesen, dass die Bereitschaft mitllerweile da ist, sich mehr einzubringen.

    „Jahrelang war dieser bedeutende Teil der Gesellschaft sehr zurückhaltend oder nur in eigenen Vereinen, Organisationen oder Initiativen – häufig als geschlossene Gesellschaft – aktiv. Aus diesem Grund wurden sie kaum wahrgenommen und stark unterschätzt.“

  4. TaiFei sagt:

    „Wichtig ist die ehrenamtliche Arbeit von Migranten nicht nur für die Zukunft der Feuerwehr, der Rettungsdienste oder der Altenhilfe, damit es nicht zu Engpässen kommt…“
    Allein schon dieser Teilsatz schlägt dem Fass den Boden aus. Die genannten Bereiche sind eine gesamtgesellschaftliche Aufgrabe. Wie kann man deren Funktionieren von der freiwilligen Verantwortung privater Initiativen abhängig machen. Sowohl Feuerwehr, Rettungsdienste als auch Altenpflege betreffen grundlegende gesellschaftliche Garantien. Wenn hier Engpässe auftreten (und ich weiß auch schon WO die auftreten) dann verliert der Staat seine Existenzberechtigung.