Segregation im Klassenzimmer
Eltern mit ausländischen Wurzeln verschärfen das Problem
In Deutschland gehen Kinder häufig „nach Herkunft getrennt“ zur Schule. Selbst Eltern mit ausländischen Wurzeln suchen für ihre Kinder immer häufiger eine Schule mit geringem Migrantenanteil. Das aber führt zur Verschärfung des Problems, warnen Experten.
Von K G Mittwoch, 29.01.2014, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 04.02.2014, 7:40 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
„Ich bin Ausländerin, aber meine Kinder sollen in eine Schule gehen, in der es möglichst wenig Ausländer gibt“, sagt die 25-jährige Yasmin Hayek aus Berlin. Die Libanesin ist Mutter von drei Kindern, ihre älteste Tochter kommt nach den Sommerferien in die erste Klasse. Yasmin weiß, was sie will: Um ihren Kindern die Möglichkeit zu geben, mit möglichst vielen Kindern deutscher Herkunft zur Schule zu gehen, haben ihr Mann und sie sich für den Stadtteil Reinickendorf als Wohnort entschieden: „Es geht mir um die Zukunft meiner Kinder“, erklärt Hayek.
Reinickendorf liegt im Nordwesten Berlins und zählt zu den günstigen Berliner Wohngegenden, hier wohnen viele Ruheständler und Familien. Die Hayeks leben in Reinickendorf, obwohl ein Großteil ihrer Familie und ihrer Freunde in Kreuzberg und Neukölln wohnen. In diesen Kiezen gibt es viele Schulen, in denen Kinder mit Migrationshintergrund die große Mehrheit stellen. Für Yasmin kommen diese Schulen nicht in Frage: „In einige Klassen gehen nur zwei oder drei deutsche Kinder. Wenn die anderen Kinder zehn Jahre alt sind, können sie, obwohl sie in Deutschland geboren wurden, nicht richtig Deutsch sprechen.“ In Reinickendorf leben weniger Menschen mit Migrationshintergrund als woanders in Berlin. Das macht sich auch an den Grundschulen bemerkbar: Yasmins Tochter wird im Sommer in eine Klasse kommen, in der fast die Hälfte der Kinder deutscher Herkunft sind.
Kein Zusammenhang zwischen Herkunft und Leistung
Im deutschen „Bildungsalltag“ ist diese Klasse fast schon eine Ausnahme von der Regel: Analysen des Forschungsbereichs beim Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) zeigen, dass deutsche Kinder und Kinder mit Migrationshintergrund das deutsche Schulsystem oft getrennt voneinander durchlaufen. In Deutschland werden rund 41 Prozent der Grundschüler aus Einwandererfamilie in sogenannten „segregierten“ Schulen mit besonders hohem Migrationsanteil unterrichtet, in Großstädten wie Berlin ist der Anteil der Kinder, die „nach Herkunft getrennt“ zur Schule gehen, mit 70 Prozent nochmals höher.
Viele Eltern versuchen „segregierte“ Schulen zu meiden, da Kinder mit Migrationshintergrund häufig als „Bildungsrisiko“ gelten. Entgegen diesem Vorurteil haben die SVR-Forscher nun herausgefunden, dass keinen Zusammenhang zwischen Migrationshintergrund und Leistung einzelner Schüler besteht. Entscheidend für den Lernerfolg einzelner Schüler sind vielmehr das Elternhaus der Kinder und das durchschnittliche Leistungsniveau der Mitschüler.
Abstand zwischen Lehrern und Schülern zu groß
„Segregation kommt selten alleine“, sagt Prof. Dr. Uslucan, Leiter des Zentrums für Moderne Türkeistudien und Integrationsforschung an der Universität Duisburg-Essen und einer der SVR-Forscher. „Oft sind auch die Schulen, in die viele Kinder mit Migrationshintergrund gehen, schlecht ausgestattet.“ Diese Schulen haben viele Probleme: Kontakte zwischen Kindern deutscher Herkunft und Kindern mit Migrationshintergrund gibt es hier kaum. Der Abstand zwischen der deutschstämmigen Lehrerschaft und den Schülern mit Migrationshintergrund ist groß. Die Zusammenarbeit zwischen Lehrern und Eltern funktioniert schlecht: „Wenn Elternabende zur akademischen Veranstaltung werden oder in der Eckkneipe stattfinden, empfinden Eltern mit Migrationshintergrund diese Orte nicht gerade als sehr einladend“, kritisiert Uslucan.
Die SVR-Forscher unterstreichen, dass es diese „Problemschulen“ gibt, weil viele Menschen „nach Herkunft getrennt“ wohnen: Die 42-jährige Architektin Marieke Haucap wohnt mit ihrer Familie im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg. Der Anteil der Akademiker an der Bevölkerung (bis zu drei Viertel der erwachsenen Bevölkerung) ist hier so hoch und der Anteil der Ausländer (zehn Prozent) so gering wie in keinem anderen Teil der deutschen Hauptstadt: Haucaps Kinder gehen in die Grundschule vor der Haustür. Kinder ausländischer Herkunft gibt es da auch, aber ihre Eltern haben gute Jobs oder haben sich als Freiberufler einen Namen gemacht: „In die Klasse meines Sohnes gehen einige Kinder mit ausländischen Eltern: Engländer, Japaner, Spanier oder Italiener. Oft merkt man gar nicht, dass diese Kinder Deutsch nicht als Muttersprache haben, bis man sie zufällig beim Abholen mit den Eltern sprechen hört“, sagt Marieke Haucap.
Privatschulen immer mehr gefragt
Wie Marieke Haucap wohnen in Berlin viele Menschen mit ähnlichem Einkommen und ähnlicher Bildung konzentriert in bestimmten Wohnvierteln. Es gilt das Prinzip der „Einzugsschule“, das heißt, wo Kinder wohnen sollen sie auch zur Schule gehen. Nicht immer kommen die Kinder jedoch aus so ähnlichen Elternhäusern wie im Prenzlauer Berg. Es gibt Bezirke mit hohem Zuwandereranteil, wie Kreuzberg oder Neukölln, die während der letzten Jahre durch ihre verhältnismäßig niedrigen Mieten viele Künstler und Studenten angezogen haben: Galerien und Bars wurden eröffnet und auch junge, bildungsbewusste Eltern wohnen mittlerweile gerne hier. Nur in die Schule vor der eigenen Haustür wollen sie ihre Kinder nicht schicken. Die Alternative:. Rund zehn Prozent aller Eltern in Berlin schicken ihre Kinder mittlerweile auf Privatschulen.
In seinem Buch „Neukölln ist überall“ hat der Neuköllner Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky einen Namen für dieses Phänomen gefunden: „Schulflucht“. Bei aller Kritik am Segregationsverhalten vieler deutscher Eltern wird jedoch schnell vergessen, dass es wie Yasmin Hayek und ihr Mann auch Eltern mit Migrationshintergrund gibt, die Schulen mit hohem Einwandereranteil bewusst meiden, da sie kein „Risiko“ eingehen wollen. Für die SVR-Forscher ist klar: Wenn Eltern für ihre Kinder konsequent Schulen mit wenig Kindern aus Einwandererfamilien auswählen, dann verschärfen sie das Problem der Trennung von Schülern nach Herkunft.
Lösung: Eltern müssen sich einbringen
„Eltern können einen Beitrag zur Bildungsgerechtigkeit leisten, wenn sie Ihre Kinder dort zur Schule schicken, wo sie wohnen. Der Bildungserfolg von Kindern darf nicht allein von ihrem Elternhaus abhängig sein“, sagt Prof. Dr. Uslucan. Ob sich die Situation an vielen segregierten Schulen in Zukunft verbessern wird, hängt für Uslucan auch von den Eltern ab: „Wenn sich Eltern selber mehr einbringen und es eine engagierte Lehrerschaft und Schulleitung gibt, dann können auch Schulen in schwierigen Bezirken attraktiver werden.“ Gesellschaft Leitartikel
Wir informieren täglich über das Wichtigste zu Migration, Integration und Rassismus. Dafür wurde MiGAZIN mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Unterstüzte diese Arbeit und verpasse nichts mehr: Werde jetzt Mitglied.
MiGGLIED WERDEN- Fachkräftemangel vs. Abschiebung Pflegeheim wehrt sich gegen Ausweisung seiner Pfleger
- „Diskriminierend und rassistisch“ Thüringer Aktion will Bezahlkarte für Geflüchtete aushebeln
- Verwaltungsgerichtshof Nürnberg muss Allianz gegen rechts verlassen
- Brandenburg Flüchtlingsrat: Minister schürt Hass gegen Ausländer
- Ein Jahr Fachkräftegesetz Bundesregierung sieht Erfolg bei Einwanderung von…
- Chronisch überlastet Flüchtlingsunterkunft: Hamburg weiter auf Zelte angewiesen
Nun, auch mir fällt auf, dass Schüler mit Migrationsgeschichte zumeist Freunde haben, die ebenfalls eine solche Geschichte haben … und noch enger ist die Verbindung, wenn sich Schüler mit ähnlicher kultureller Herkunft begegnen … sowohl die allgemeine Migrationssituation als auch die kulturelle Nähe sind Attraktoren der Gemeinschaftsbildung … das ist zunächst einmal eine überall beobachtbare Tatsache … viel viel schwieriger wird es bei der Frage, ob das ein „natürlicher“ Prozess ist oder ob es sich dabei eher um subtile Mechanismen der Diskriminierung handelt … d.h. ob es so ist, dass die Menschen mit Migrationshintergrund in dieses Vergemeinschaftungsverhalten gezwungen werden, weil sie keine andere Wahl haben … Ich kann aus meiner reichen Erfahrung sagen; beides spielt eine Rolle und ohne Zweifel sollten die Aufnahmegesellschaften- und Kulturen mehr auf die Zuwanderer zugehen und die Zuwanderer sollten die vorhandenen Angebote stärker nutzen, so schwer ihnen das oft auch gemacht wird , weil die Angebote nicht selten hohe Schwellen darstellen …
Josef Özcan (Diplom Psychologe)
http://www.koelnerappell.de
In NRW mit seinen staatlichen Bekenntnisschulen gibt es sogar Gemeinschaftsgrundschulen und Bekenntnisgrundschulen Tür an Tür oder sogar in einem Gebäude. Hier wird vordergründig nicht nach Herkunft, sondern nach Religion getrennt: Mehr dazu unter http://www.kurzebeinekurzewege.de/wie-kurze-wege-der-bildungsgerechtigkeit-dienen/