Von Heimat und Muttererde
Die Geschichte eines muslimischen Friedhofs in Deutschland
Erst seit einigen Jahren vollzieht sich in Bundesländern ein Sinneswandel - immer mehr muslimische Friedhöfe entstehen. Dabei ist die Bestattung von Muslimen in Deutschland nach islamischen Regeln nicht neu, wie die Entstehungsgeschichte der muslimischen Gemeinde Forchheim zeigt.
Von Jochen Menzel Freitag, 24.01.2014, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 30.01.2014, 3:07 Uhr Lesedauer: 14 Minuten |
Es war im Jahr 1992 – Mahi Ünal, ein türkischer „Gastarbeiter“ der ersten Stunde, nahm uns mit an einen Ort, der vielen Forchheimern bis dato unbekannt geblieben war: Für unseren Film „Als die Gäste blieben“ – ein Porträt der türkischen Gemeinde Forchheims – zeigte er uns das kleine islamische Gräberfeld, das 39 Grabstellen Platz bietet und sich hinter Laubcontainern und Hecken am südlichen Rand des Neuen Friedhofs versteckt. Ein idyllischer, aber auch von Wehmut umgebener Ort: Denn erzählen die Grabsteine nicht auch von Menschen, die auf der Suche nach einer neuen Heimat waren, die hier – für die meisten wohl in „fremder Erde“– zu Ende gegangen war?
Eine Forchheimer Besonderheit – das muslimische Gräberfeld im Neuen Friedhof
Bevor wir dieses Gräberfeld betraten, hielt Mahi Ünal inne zu einem kurzen Gebet. Der muslimische Moscheeverein – heute die Yunus Emre Moscheegemeinde – hatte ihn beauftragt, hier ab und zu nach dem Rechten zu sehen. Er führte uns durch die Reihen schmuckloser, uniformer Grabsteine, auf denen unter einem Halbmond und Stern nur der Name, das Geburts- und Sterbedatum eingraviert waren. Wir erfuhren, dass außer wenigen bosnischen Muslimen, hier insbesondere Kinder der ersten türkischen „Gastarbeiter“-Generation begraben waren, deren Leben oft schon mit der Geburt zu Ende gegangen war.
Auf unsere Frage nach den Anfängen dieses Friedhofes – zum damaligen Zeitpunkt gab es in Bayern neben Forchheim nur noch in München ein islamisches Gräberfeld – erwähnte Mahi Ünal in großer Dankbarkeit einen verstorbenen kaukasischen Muslimen mit dem Namen Sultan-Sade.
Die Grabstätte der Familie Sultan-Sade auf dem alten Friedhof
20 Jahre später, Ortswechsel: der alte Forchheimer Friedhof an der Birkenfelder Straße. Mit Ali Murat und Malik Sultan-Sade stehe ich vor dem schlichten Obelisk des Familiengrabes, in dem beide Eltern bestattet sind: die Mutter, aus Stein bei Nürnberg stammend, und der Vater, dessen Lebensweg in der Kaukasusrepublik Dagestan begonnen hatte und 1988 im fränkischen Forchheim sein Ende fand. Obwohl damals schon das islamische Gräberfeld eingerichtet war, wünschte sich der schwer lungenkranke Mann diese Familiengruft, die nach muslimischem Brauch nicht möglich gewesen wäre.
Von Murat und Malik – die beiden Söhne Sultan-Sades leben in der näheren Umgebung Nürnbergs, ihre Schwester Feride in Köln – werde ich vom Lebensweg ihres Vaters erfahren, der so eng mit der Geschichte der ersten muslimischen Gemeinde in Forchheims verbunden ist.
Von Dagestan nach Forchheim – eine Familiengeschichte
Der Weg von Sultan-Sade – mit Vornamen Ali Sultan – reicht zurück bis in die Kaukasusrepublik Dagestan, wo er im Jahr 1915 als Spross einer aristokratischen Familie in Achty zur Welt kommt. Er wird Gymnasiallehrer für Biologie und Chemie, und als im Zweiten Weltkrieg die deutsche Armee Sewastopol belagert, wird er aus dem Unterricht weg direkt zur Roten Armee eingezogen. Nach der Eroberung von Sewastopol gerät er in deutsche Kriegsgefangenschaft, in der er wie viele andere Muslime aus dem Kaukasus zur Wehrmacht übertritt. Beweggrund war die abgrundtiefe Ablehnung der kommunistischen Sowjetmacht, die seinem kleinen Land nach der Oktoberrevolution die politische, ethnische und religiöse Selbständigkeit genommen hatte. Die Söhne erinnern sich, wie der Vater ihnen vom Leitspruch der zur Wehrmacht übergelaufenen Muslime erzählte: „Allah über uns, Hitler neben uns“. Weitere Kriegs-Stationen führten den Dagestaner Sultan-Sade nach Frankreich und Texel in ein Lazarett, wo ihn die aus Stein bei Nürnberg stammende Krankenschwester Leonore, seine spätere Ehefrau, versorgte.
Nach Kriegsende und der Heirat, nach Zwischenstationen in Flüchtlingslagern in Schwabach und Nürnberg-Langwasser, in denen die drei Kinder zur Welt kommen, zieht die Familie im Jahr 1953 nach Forchheim. Hier war auf Betreiben der Amerikaner, wie die Söhne Malik und Murat berichten, die Bügsiedlung errichtet worden. Diese neu erbauten Häuser – damals im Besitz der Bundesvermögensverwaltung – sollten den vor allem aus Bosnien stammenden Muslimen, die wie Sultan-Sade zur deutschen Wehrmacht übergelaufen waren, eine Bleibe bieten. Teil der amerikanischen Fürsorge war auch die regelmäßige Belieferung mit Carepaketen, an die sich beide gut erinnern. Feuilleton Leitartikel
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Sehr interessanter Beitrag. Danke!
Danke Sejfuddin! – Am Anfang dieser Geschichte stand Mahi Ünal einer der erster „Gastarbeiter“ Forchheims (er wurde in Konya Kahraman/Türkei bestattet – er ruhe in Frieden), – er nahm uns mit für unseren ersten Film „Als die Gäste blieben…. “ (1993) auf das kleine islamische Gräberfeld, das ganz im Schatten der öffentlichen Aufmerksamkeit entstanden war – und heute schreiben wir die Geschichte weiter – da ist noch vieles zu entdecken und v.a. zu erzählen … wir brauchen Fortsetzungen (ein Film soll daraus werden)
Vielen Dank für den interessanten Beitrag! Wie kann man denn an den Film „Als die Gäste blieben“ kommen? Der würde mich ebenfalls sehr interessieren! Gibt es eine Bezugsquelle?
@Türkiz – danke! Schreiben Sie mir bitte eine Mail, s. http://www.transfers-film.de – dann sehen wir weiter…
Wow… Danke für diesen tollen Artikel. Mein Vater ist dort aufgewachsen, Sejdo Demirovic war mein Großvater,der leider viel zu früh verstarb und ich ihn somit nicht kennen lernen konnte. Falls jemand noch mehr Bilder hat,vielleicht sogar von meinem Großvater,würde ich mich sehr darüber freuen