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Familiennachzug

„Ich dachte, wir leben in einem Rechtsstaat“

Seit Jahren büffelt Nwankwo für den Deutschkurs am Goethe-Institut, damit er nach Deutschland zu seiner Ehefrau reisen kann. Vergeblich. Inzwischen sind er und seine Frau verzweifelt. Ähnlich geht es tausenden Ehepaaren. Helfen könnte der Europäische Gerichtshof.

Von Sybille Biermann Dienstag, 04.02.2014, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 07.09.2021, 9:55 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Seit eineinhalb Jahren lernt Herr Nwankwo* nun schon Deutsch – fast genau so lange hat er seine Frau Luise nicht mehr gesehen. Kennen gelernt hat er sie, als er in Ludwigshafen als Asylbewerber lebte. Weil sein Antrag abgewiesen wurde, musste er zurück in sein Heimatland Nigeria. Sie reiste ihm nach, das Paar heiratete und stellte einen Antrag auf Familiennachzug bei der deutschen Botschaft. Sechs Prüfungen hat Herr Nwankwo bisher beim Goethe-Institut in Lagos abgelegt, einmal fehlten ihm nur fünf Punkte zum Bestehen. Doch ohne den geforderten Nachweis über seine Deutschkenntnisse bekommt er keine Genehmigung, um zu seiner Frau nach Deutschland zu ziehen.

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Inzwischen ist das Ehepaar nahezu verzweifelt. Damit ist das Paar nicht alleine. Jeder Dritte fällt laut einer Statistik des Auswärtigen Amtes in Berlin beim Sprachtest zum Ehegattennachzug durch. Den Test muss bestehen, wer zu seinem deutschen oder in Deutschland lebenden Ehepartner ziehen möchten. Seit August 2007 gilt per Gesetz, dass bereits im Herkunftsland deutsche Sprachkenntnisse nachgewiesen werden müssen. Ausnahmen gibt es bei einem Hochschulabschluss, einer Behinderung – oder für Bürger aus Staaten wie Japan, Israel und die USA, für die keine Visums-Pflicht besteht. Bereits im ersten Jahr, nach dem das Gesetz in Kraft trat, ging die Zahl der Visa, die für den Ehegattennachzug ausgestellt wurden, deutlich zurück. In einigen Ländern wie Nigeria, liegt der Rückgang bei über 50 Prozent.

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Sprachtest zu schwer

Das Gesetz steht jeher in der Kritik. Begründet wurde es mit der Verhinderung von sogenannten Zwangsehen, besonders aus der Türkei. „Integration fördern, Zwangsverheiratungen verhindern“, lautete das Motto. Dass der Erwerb von Sprachkenntnissen ein geeignetes Mittel dafür sei, wurde jedoch von Beginn an bezweifelt. Auch das Argument, so einen besseren Rahmen für Integration zu schaffen, ist nach Meinung vieler Experten nicht stichhaltig. Die lasse sich viel besser in Deutschland fördern, ebenso wie der Spracherwerb.

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Der Test ist zu schwer, sagen Kritiker wie Frau Swenja Gerhard vom Verband binationaler Ehen und Partnerschaften: „Fast alle unserer Fälle rasseln beim ersten Versuch durch und nicht wenige schaffen es auch beim dritten Anlauf nicht.“ Offiziell geht es bei dem verlangten Sprachniveau A 1 nur darum, sich auf „ganz einfache Weise auf Deutsch verständigen“ zu können. Einige Testfragen sind jedoch nur im Kontext verständlich und setzen ein Hintergrundwissen voraus, über das viele Antragsteller nicht verfügen. So sollte ein Prüfling für eine Frage etwa wissen, was unter einem „Open-Air-Konzert“ und was unter einer „Stadthalle“ zu verstehen ist – beides gibt es nicht in jedem Land. Eine zusätzliche Hürde bildet der Test für Analphabeten oder Menschen, die das lateinische Alphabet nicht beherrschen.

Viele fallen durch

In vielen Ländern erweist sich aber auch die Infrastruktur als ein Hindernis. Weltweit hat nur jeder Fünfte Zugang zu einem Goethe-Institut, und die Kurse dort sind oft teuer. Dabei wirkt sich die Teilnahme an einem Goethe-Kurs positiv auf das Ergebnis nieder: Dreiviertel derjenigen, die an einem Vorbereitungskurs des Goetheinstitutes teilgenommen haben, bestehen am Ende auch den Test. Bei denjenigen, die nicht an einem Kurs teilnehmen konnten, sind es nur knapp zwei Drittel. Für die Goethe-Institute weltweit sind die Sprachkurse und Tests zu einer willkommenen Einkommensquelle geworden.

Aber für Herrn Nwankwo liegt der nächste Kursanbieter zu weit entfernt von dem Ort, an dem er wohnt, die Fahrt ist zu teuer und zu aufwändig. Deshalb lernt er mit einem Privatlehrer und anhand eines Deutschbuchs, das ihm seine Frau mitgegeben hat. Doch der Erfolg lässt auf sich warten.

Grenzschutzinstrument – Gesetzesmotive vorgeschoben

Kritiker äußern den Verdacht, dass es sich bei dem Gesetz zum Ehegattennachzug um ein Grenzschutzinstrument unter vorgeschobenen Motiven handelt. Selbst der Sachverständigenrat für Integration und Migration schreibt 2011 in einem Gutachten: „Implizit wurde mit den Neuregelungen auch das Ziel verfolgt, den Familiennachzug von Unqualifizierten und eine ‚Zuwanderung in die Sozialsysteme‘ im Besonderen zu begrenzen.“ An den Folgen tragen betroffene Ehepaare schwer.

Das Gesetz ist längst ein Fall für die Justiz geworden. Das Bundesverwaltungsgericht hat bereits im September 2012 in einem Urteil erklärt, dass ein Visum auch dann ausgestellt werden muss, wenn Bemühungen um einfache Sprachkenntnisse innerhalb eines Jahres nicht erfolgreich, nicht möglich beziehungsweise nicht zumutbar waren. Allerdings legen deutsche Behörden und Botschaften das Urteil in der Praxis so eng aus, dass es kaum umgesetzt wird. Thomas Oberhäuser, Ulmer Rechtsanwalt mit Schwerpunkt Ausländerrecht, sieht dahinter eine klare Absicht: „Das Urteil wird systematisch unterlaufen.

Urteile werden systematisch verhindert

Auch die EU argwöhnt, dass die deutsche Praxis nicht mit den EU-Regeln zum Schutz der Familie vereinbar sei. Damit sich betroffene Paare jedoch darauf berufen könnten, müsste es erstmals zu einem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) kommen. Das aber werde systematisch verhindert, indem Visa plötzlich doch ganz unbürokratisch erteilt würden, wenn eine erfolgversprechende Klage drohe, mutmaßt Oberhäuser. Auch die Europäische Kommission hat schon versucht, Berlin zu einer Änderung des Gesetzes zu bewegen. Das Vertragsverletzungsverfahren, dass sie im Sommer 2012 eingeleitet hat, hat zunächst keine rechtlichen Folgen für Deutschland. Erst wenn es vor den Europäischen Gerichtshof getragen wird, muss Deutschland reagieren. Mit einer Entscheidung ist dann frühestens 2016 zu rechnen.

EuGH könnte Regelung kippen

Zu Gunsten türkischer Staatsbürger könnte der EuGH die Regelung schon bald kippen. Am Mittwoch wird über den Fall Doğan verhandelt. Das Verwaltungsgericht Berlin hatte die Klage eines türkischen Staatsbürgers an die Luxemburger Richter weitergeleitet. Der Gerichtshof wird prüfen, ob der Nachweis von Sprachkenntnissen mit dem Assoziationsrecht EU-Türkei vereinbar ist.

Für das Ehepaar Nwankwo ändert sich vorerst nichts. Sie hat nun erst einmal Klage beim Verwaltungsgericht Berlin eingereicht. Ihren Glauben an den deutschen Staat hat Luise Nwankwo aber bereits verloren: „Bevor ich meinen Mann kennen lernte, dachte ich, wir leben in einem Rechtsstaat. Jetzt weiß ich, dass dem nicht so ist, dass nicht alle gleich behandelt werden.“

*Das Ehepaar möchte anonym bleiben. Die Namen sind geändert. Leitartikel Politik

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  1. Reinhard sagt:

    Furchtbarer Zustand. Mein Lebenspartner ist Brasilianer. A1 Schule und Test war also hier möglich.
    Ansonsten hätte ich mir in Lissabon ein Zimmer genommen und einen Wohnsitz begründet. Mein Mann hätte dort den Autenthalt beantragt, – die Sprachprüfung wäre entfallen und wir wären später nach Deutland zurück gezogen…(Reisen darf man in der EU) Da hätte man mit der Ausländerbehörde reden können – im Zweifelsfall nach drei Jahren, wenn ein Daueraufenthalt für die EU vorliegt…

  2. Arno Nyum sagt:

    Ich kenne das Problem nur zu gut. Ich bin leider kein Jurist, würde aber gerne eine Klage vor dem EuGH anstreben. Weiß Jemand, wie man da vorgehen kann?

  3. Katrin Wohlgemuth sagt:

    Ein Rechtsstaat ist Deutschland nur solange man schön brav Deutscher unter Deutschen bleibt. Sobald man sich und andere einfach als Mensch wahrnimmt und glaubt, dass das Grundgesetz und die Menschenrechte für alle Menschen weltweit gleich sind, wird man von der Ausländerbehörde und den Botschaften schnell eines Besseren belehrt. Dann ist man plötzlich Mensch dritter Klasse und der Partner sogar Vierter oder Fünfter.
    Das Ausländerrecht ist verlogen und die Anwälte spielen meist nach denen ihren Regeln. Wenn du mit Ausländern zu tun hast bist du schnell wieder im imperialistischen Klassensystem. Dann glaubst du dich plötzlich ins dritte Reich zurück versetzt. Kannst nicht glauben, dass das Alles real ist und hoffst nur schnell aus diesem Alptraum aufzuwachen.

  4. Emin Akgün sagt:

    Gestern fand im Europäischen Gerichtshof die mündliche Verhandlung „Dogan“ (C-138/13) statt. Kann mir jemand sagen, zu welchem Entschluss man gekommen ist?

  5. Ich kann nur empfehlen: Die Bemühungen um den Spracherwerb von Anfang an lückenlos dokumentieren. Lehbuch kaufen und jedes Telefonat, jedes Gespräch vermerken (am besten Nachweise aufheben) aufschreiben, welche Lektion man gelernt hat etc. Prüfung absolvieren.
    Nach einem dreiviertel Jahr das Visum beantragen und nicht abwimmeln lassen! (Sie versuchen es, da muss man mit dem Gericht drohen!)
    Den Ehegatten für einen Sprachkurs in D anmelden und denen das mitteilen. Die müssen nach dem Urteil des BVerwG dann ein Visum für den Sprachkurs erteilen.
    Das alles funktioniert natürlich nur, wenn der Ehegatte hier Deutscher ist und nichts selbst Ausländer (ohne EU). Im Zweifel einen guten Rechtsanwalt zu Rate ziehen wie den Herrn Oberhäuser.

  6. Kirsten Grieshaber sagt:

    Guten Tag,

    ich bin Journalistin bei der Nachrichtenagentur Associated Press und suche Paare, die mir ueber ihre Probleme mit dem Sprachnachweis berichten koennten. Ueber eine Kontaktaufnahme per Email wuerde ich mich sehr freuen. Sie koennen mich unter kgrieshaber@ap.org erreichen. Herzlichen Dank, Kirsten Grieshaber

  7. Anke Pungar sagt:

    Ich habe mit meinem indischen Ehemann auch große Probleme wegen dem Nachweis von A1-Deutschkenntnissen gehabt. Es war ein jahrelanger Kampf mit/gegen diverse Institutionen.Wir mussten viele Jahre eine Fernbeziehung führen und mein Mann durfte lange Zeit nicht mal zu Besuch nach Dtl. kommen! Wir haben zum Glück nicht aufgegeben (wie wahrscheinlich sehr viele Paare). Wir konnten mit Hilfe eines Anwalts ein Visum zur Teilnahme am Sprachkurs in Dtl. erwirken, da mein Mann Analphabet ist/ war. Das war unsere Rettung!!!

  8. serkan temiz sagt:

    zu Anke Pungar

    warum wurde es eure Rettung !!!
    muss er nicht noch mal zurück um national vizum zu benatragen

  9. serkan temiz sagt:

    es fand im Europäischen Gerichtshof die mündliche Verhandlung tern“Dogan” (C-138/13) statt. Kann jemand sagen, zu welchem Entschluss man gekommen ist?

  10. serkan temiz sagt:

    “zu fall Dogan” (C-138/13) hat mann sich schon entschieden
    weis jemand bescheid