Übrigens
Die Geister, die die Medien selbst mit rufen
Nach dem Schweizer Referendum gegen Zuwanderung rieben sich viele Medienmacher überrascht die Augen. Dabei ist das Abstimmungsergebnis nur die logische Folge jahrelanger Darstellung von Zuwanderern in den deutschen Medien, schreibt Dr. Fritz Goergen in seiner neuen MiGAZIN Kolumne.
Von Fritz Goergen Mittwoch, 19.03.2014, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 16.04.2015, 13:34 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Entsetzen sprach aus vielen Stellungnahmen zum knappen Ja der Schweizer Volksabstimmung zur Zuwanderungsbegrenzung. Nicht nur Politiker und andere öffentliche Akteure, sondern vor allem auch die Mehrzahl der deutschen Journalisten und Medien reagierte negativ. Dieser Haltung steht seit vielen Jahren eine einseitige Darstellung von Ausländern und Zuwanderern in den deutschen Medien gegenüber. Journalisten und Medien scheinen die Folgen ihrer einseitigen Themenwahl nach dem Motto: nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten gar nicht wahrzunehmen.
Über Migranten wird berichtet, wenn es tatsächliche oder vermeintliche Probleme mit ihnen gibt: vom Kopftuch-Tragen bis zum Vorwurf der Einwanderung ins Sozialsystem, von Minaretten bis zu fremden Kochgerüchen. Über die Beiträge der vielen Migranten zum wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Leben berichten fast nur lokale Medien.
Wenn die Überregionalen über Negatives berichten, tritt ein zweiter Effekt hinzu. Migranten selbst kommen nicht zu Wort, die Urteile über sie fällen Journalisten und Politiker. Besonders ausgeprägt ist diese Art des Umgangs mit den und dem Fremden bei dem Teil der Medien, von dem der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder gesagt hat, sie reichten ihm zum Regieren: „BILD und Glotze“.
Die Berichterstattung des Fernsehens über Ausländer und Migranten fällt in Deutschland so aus wie in der Schweiz, nur noch negativer.
Das gleiche Bild hatte vor der Schweizer Abstimmung gegen Minarette im Jahr 2009 den Boden für die Ablehnung weiterer Minarett-Bauten bereitet, ohne dass dies die Absicht des Staatsfernsehens der Schweiz gewesen wäre. Das Medien-Analyse-Institut Media Tenor hatte deshalb vor der Minarett-Abstimmung den Ausgang zutreffend prognostiziert. Da aber die ganze Schweizer Journalistenzunft – Gegner wie Befürworter des Minarett-Stopps gleichermaßen – von der Ablehnung überzeugt waren, wollte sie von solcher Medien-Wirkungs-Analyse nichts wissen.
Aber auch nachträglich lernten die Medien nicht dazu. Nach dem Ja zur Zuwanderungsbegrenzung war von etlichen Journalisten zu hören und zu lesen, sie verstünden den Ausgang nicht, wo sie doch die Ablehnung der Volksinitiative der Schweizer Volkspartei empfohlen hätten. Dass ihre Abstimmungs-Empfehlung gegen die eigene langfristig negative Berichterstattung über Migranten nicht wirken konnte, scheint ihnen nicht in den Sinn zu kommen.
Welchen ausschlaggebenden Einfluss „BILD und Glotze“ auf die Meinungen der Menschen haben, wissen Medienexperten aus einer jahrzehntelangen Beobachtung: Die Ergebnisse von Meinungs-Umfragen folgen fast immer mit einem Abstand von zwei Wochen dem vorhergehenden TV-Bild von Politikern und Parteien, Managern und Unternehmen, Themen und Ereignissen.
Solange das veröffentlichte Bild von Ausländern, „Fremden“ und Migranten ihrem tatsächlichen Leben in Deutschland und der Schweiz wie ganz Europa nicht fair entspricht, werden Abstimmungen aller Art von verzerrten Vorstellungen über „die Anderen“ negativ beeinflusst werden. Wir müssen davon ausgehen, dass das bei den Wahlen zum Europaparlament im Mai auch der Fall sein wird.
Medien und Journalisten, die für Personen-Freizügigkeit sind, müssen fair und umfassend berichten, wollen sie nicht selbst politischen Entwicklungen Vorschub leisten, die sie anschließend negativ kommentieren. Sie könnten sich daran erinnern, wie sie mit ihrer einseitigen Ausländerdarstellung zum Erfolg der Unterschriftensammlung gegen die doppelte Staatsbürgerschaft von Roland Koch und zu dessen Wahl zum hessischen Ministerpräsidenten 1999 beitrugen. Aktuell Meinung
Wir informieren täglich über das Wichtigste zu Migration, Integration und Rassismus. Dafür wurde MiGAZIN mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Unterstüzte diese Arbeit und verpasse nichts mehr: Werde jetzt Mitglied.
MiGGLIED WERDEN- Fachkräftemangel vs. Abschiebung Pflegeheim wehrt sich gegen Ausweisung seiner Pfleger
- „Diskriminierend und rassistisch“ Thüringer Aktion will Bezahlkarte für Geflüchtete aushebeln
- Verwaltungsgerichtshof Nürnberg muss Allianz gegen rechts verlassen
- Ein Jahr Fachkräftegesetz Bundesregierung sieht Erfolg bei Einwanderung von…
- Brandenburg Flüchtlingsrat: Minister schürt Hass gegen Ausländer
- Chronisch überlastet Flüchtlingsunterkunft: Hamburg weiter auf Zelte angewiesen
Die Diskrepanz zwischen der negativen Berichterstattung über Migranten und der medialen Verurteilung des Schweizers Referendums lässt sich vielleicht ganz gut mit der Netzwerkanalyse des Journalisten und Medienforschers Uwe Krüger erklären.
Die negative Berichterstattung erklären Sie bereits mit der Quote, die es zu erzielen gilt. Was die Reaktionen der Medien bezüglich des Schweizer Referendums angeht, muss man sich nur anschauen, wer vor allem besonders hart mit dem Ausgang der Wahl ins Gericht ging. Das war zum einen die Wirtschaft, die zur Zeit mal wieder Zuwanderer als Lohndrückerkolonnen benötigt und dann natürlich die Politik, die stets im Dienste der Wirtschaft arbeitet.
Krüger untersuchte den Einfluss der Politik- und Wirtschaftseliten auf deutsche Journalisten und Medien. Er kam zum Schluss, dass Leitmedien mehr oder weniger den laufenden Diskurs der Eliten reflektieren, aber dessen Grenzen nicht überschreiten und dessen Prämissen nicht kritisch hinterfragen.
Krüger zeigte, dass etwa 70 leitende Redakteure deutscher Leitmedien informelle Kontakte mit Politik- und Wirtschaftseliten unterhält. Anschließend dokumentierte Krüger, dass die Eliten-nahen Leitmedien FAZ, Welt und Süddeutsche außenpolitisch den Elitendiskurs ausführlich abbilden, deren Proteste und Gegenveranstaltungen jedoch marginalisieren und delegitimieren. Mit anderen Worten, während die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung Kriegseinsätze (Irak, Afghanistan, Libyen, Syrien, usw.) ablehnen, trommeln die Leitmedien beharrlich dafür.
Krüger fokussierte sich mehr auf außenpolitische Fragen. Warum sollte sein Eliten-Medien Modell nicht auch für wirtschaftliche Fragen gelten? Das könnte zumindest die Diskrepanz in der Berichterstattung erklären.
Die Medien haben einen großen Einfluss auf die Produktion und Reproduktion der gesellschaftlichen Verhältnisse … dabei kommt es zu mehr oder weniger stark verzerrten Darstellungen der sozialen Wirklichkeit … diese Verzerrung wird dann nicht selten zum Gemeingut des vermeintlich aufgeklärten Volkes … Die Wirklichkeitserfassung der Menschen wird immer stärker medial getriggert … vor allem auch weil die Medien den Anschein erwecken sie könnten zu allem etwas wirklichkeitsgetreues sagen … wodurch dann der Konsument meint eben so omnipotent ausgestattet zu sein was die Erfassung der Wirklichkeit betrifft… Die wirklichen Verhältnisse drohen jedoch immer unkenntlicher zu werden …
Josef Özcan (Diplom Psychologe)