Essay
Anmerkungen zur Rassismus-Debatte
Rassistische Menschen diskriminieren andere Menschen aus biologischen, ethnischen, religiösen, nationalen oder auch politisch willkürlichen Gründen. Rassismen gleichen einer Epidemie, die immer wieder ausbricht - ein Essay von Heiner Geißler.
Von Heiner Geißler Montag, 31.03.2014, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 04.04.2014, 0:33 Uhr Lesedauer: 15 Minuten |
In Adolf Hitlers „Mein Kampf“ steht: „Die begrenzte Form der Fortpflanzung ist ein ehernes Gesetz. Jedes Tier paart sich nur mit Genossen der gleichen Art. Meise geht zu Meise, Fink zu Fink, der Storch zur Störchin, Feldmaus zur Feldmaus, Hausmaus zu Hausmaus, der Wolf zur Wölfin.“ Die Logik dieser Trivialzoologie wäre gewesen, dass der „Mensch zum Menschen“ gehe, aber seit wann ist der Rassismus logisch?
„Für Hunde und Juden verboten“, stand auf den Schildern im nazibesetzten Frankreich, wie die französische Jüdin Denise Holstein berichtete. Das Nürnberger Blutschutzgesetz bestrafte Geschlechtsverkehr zwischen Deutschen und Juden mit Zuchthaus, später mit dem Tod, als „Rassenschande“, gewissermaßen als Sodomie mit Untermenschen. Diese „Leitkultur“ diskriminierte die Menschen aufgrund ihrer biologischen Verschiedenheit. Sie rechtfertigte die Versklavung von Millionen von „Negern“ durch Araber, Europäer und US-Amerikaner mit der angeblichen Minderwertigkeit dieser Menschen. Sie begründete die Unterdrückung durch die Weißen in Südafrika oder den Ku-Klux-Klan in den Südstaaten der USA ebenso wie den Genozid an den indigenen Völkern in Nord- und Südamerika. Und auf sie stützten sich die Nazis, als sie ihren massenmörderischen Rassismus als biologischen Imperativ verbrämten.
Heute, wo die USA erstmals von einem schwarzen Präsidenten regiert werden, wähnen wir uns davon Äonen entfernt. Aber in Wirklichkeit haben sich nur die Subjekte verändert. Im Iran und in anderen islamistischen Staaten wird der Geschlechtsverkehr zwischen einem Christen und einer Muslimin mit dem Tod bedroht, nicht dagegen der Geschlechtsverkehr eines Muslims mit einer Christin. Was unterscheidet also in diesem Punkt die Ajatollahs von den Nazis? Doch wohl nur, dass das Kriterium für die Minderwertigkeit eines Menschen nicht mehr das „Blut“, sondern der Glaube und das Geschlecht ist.
Konsequenterweise kennt die Konvention der Vereinten Nationen nicht nur die Form des biologischen Rassismus. Rassistische Menschen diskriminieren andere Menschen auch aus ethnischen, religiösen, nationalen oder auch ganz einfach politisch willkürlichen Gründen. Ist ein solcher Rassismus staatlich institutionalisiert, wird solchen Gruppen der rechtsstaatliche Schutz ganz oder teilweise verweigert und andere Gruppen werden privilegiert. Diese Formen des Rassismus sind auf der Welt weit verbreitet und eine Reaktion auf die Aufklärung, also auf den Universalitätsanspruch der Menschenrechte, die für alle Menschen gelten sollen – unabhängig von ihrer Herkunft, Nationalität, ihrer sexuellen Identität, ihrer angeblichen Zugehörigkeit zu einer Klasse oder von Alter, Armut und Krankheit. Im Gegenteil: Dieser Universalitätsanspruch der Menschenrechte wird als Eurozentrismus verdammt und als dekadenter, dem Naturrecht und der Sittenordnung widersprechender moralischer Verfall der Menschheit, jedenfalls als existenzielle Bedrohung derselben betrachtet.
Geschlechtsrassismus
Die wohl am weitesten verbreitete Form des Rassismus ist nicht mehr die Rassenapartheid, wie sie über Jahrhunderte in Amerika, Arabien, Südafrika gegenüber den Schwarzen und in Europa gegenüber den Juden geherrscht hat, sondern die Geschlechtsapartheid. Die antiquierten Männergesellschaften der islamischen Welt, vor allem des Irans und Saudi-Arabiens, erweisen sich als die größten Gefängnisse geistiger Freiheit und Toleranz, in denen Bürgerinnen die elementarsten Menschenrechte vorenthalten werden. Die arabischen Revolutionärinnen in Ägypten und Libyen haben bisher nur Nachteile erfahren. Sie sehen sich den grotesk verklemmten Fantasien der Islamisten ausgesetzt; in ihrem Bestreben, die Frauen aus der Öffentlichkeit zu verdrängen, schrecken das Militär und religiöse Hardliner nicht einmal vor dem Einsatz sexueller Gewalt zurück. In den nordafrikanischen Revolutionen spielen die Frauen quantitativ zwar eine große Rolle. Aber die eigentliche Macht liegt bei den Männern. Die Frauen sind das politische Material, ihre Rechte jedoch, mit Ausnahme von Tunesien, nicht das politische Ziel der Befreiungsbewegungen. In Libyen soll die Scharia wieder zur Rechtsgrundlage gemacht werden.
Aber der Geschlechtsrassismus ist nicht auf einige arabische oder afrikanische Länder beschränkt. In der Olympischen Charta heißt es in Kapitel 1: „Alle Formen der Diskriminierung mit Bezug auf ein Land oder eine Person, sei es aus Gründen von Rasse, Religion, Politik, Geschlecht oder aus sonstigen Motiven, sind mit der olympischen Bewegung unvereinbar.“ Wer diese Prinzipien nicht beachtet, muss entweder suspendiert werden oder darf überhaupt keine Akkreditierung erhalten. Dennoch lehnte das Internationale Olympische Komitee (IOC) bisher alle Anträge ab, die Länder zu sperren, die weibliche Sportler von ihrer Mannschaft ausschließen. Diese doppelte Moral des IOC entspricht auch den sonstigen anrüchigen Gepflogenheiten dieses Altherrenclubs.
Die Mehrheit der Weltbevölkerung ist weiblich. Es gibt keinen Bevölkerungsteil auf dieser Erde, der mehr diskriminiert, entrechtet und unterdrückt wird. Allein in Europa, so die neueste Untersuchung der Menschenrechtskommission der EU, haben ungefähr ein Drittel aller Frauen in ihrem Leben körperliche, sexuelle oder psychische Gewalt erlebt. Das entspricht in etwa der Bevölkerungszahl der Bundesrepublik Deutschland. Wenn man die anderen Kontinente dazu nimmt, wird man, vorsichtig geschätzt, davon ausgehen müssen, dass mindestens eine Milliarde Frauen dieses Schicksal erleiden. Würde eine andere Bevölkerungsgruppe in dieser Größenordnung so behandelt, befände sich die Erde im permanenten Kriegszustand. Die Deklassierung der Frauen gehört zum Grundmuster der die Entwicklung der Menschen beherrschenden patriarchalischen Religionen und der daraus entstandenen Gesellschaftsordnungen. Gerechtfertigt wird die Vorherrschaft der Männer in aller Regel mit der „Natur der Frauen“. Sexualangst, Sadismus, die körperliche Überlegenheit der Männer und die daraus resultierende Herrschaft sind die psychologischen Grundlagen dieser größten Perversion in der geistigen Evolution des Menschen. Leitartikel Meinung
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Bei dem hier besprochenen Phänomen in all seinen furchtbaren Aspekten geht es um eine einzige Tendenz des Menschen; nämlich die Tendenz andere Menschen abzuwerten zumeist um sich selbst aufzuwerten, also „Minderwertigkeit und „Höherwertigkeit“ zu konstruieren.
Entscheidend beim „Rassismus“ ist jedoch, dass der Mensch als solches als minderwertig klassifiziert wird d.h. Minderwertigkeit wird als genuine Anlage gewisser Menschen konstruiert was so weit gehen kann, dass manchen Personen sogar die „Menschlichkeit“ überhaupt abgesprochen wird, das macht sie in besonderer Weise zu „Freiwild“.
Es geht also nicht „nur“ darum gewissen Menschen und Kollektiven ungute Denk_und Verhaltensweisen zuzuschreiben, die im Grunde veränderlich wären, sondern es geht darum eine genuine vor allem auch leiblich_rassisch fundierte Minderwertigkeit und Höherwertigkeit zu postulieren.
Diese „negative Tiefe“ des „Rassismus“ muss bei der Verwendung des Begriffes „Rassismus“ unbedingt mitgedacht werden.
Eine zu große anwendungsbezogene Ausweitung des Begriffs ist sehr kritisch zu betrachten.
Josef Özcan (Diplom Psychologe / Kölner Appell gegen Rassismus)
http://www.mig-gesundheit.com
http://www.koelnerappell.de
Heiner Geißler ist es meiner Meinung nach gelungen, Rassismus mit menschlicher, auch gefühlter Erkenntnis zu erklären und dabei den tagtäglichen Rassismus als ein Gesamtproblem aller Menschen anzuprangern.
Er hat sich nicht, wie so viele vermeintliche Experten, von Daten und Fakten leiten lassen, die ins eigene Konzept passen, sondern alle Rassisten in einen Topf geworfen, wohin sie auch gehören. Leider fehlt noch der Deckel zum daraufstülpen und zuschweißen.
Heiner Geißlers Beitrag mag wissenschaftlich betrachtet unkorrekt sein, erklärt aber das ungeheure Problem Rassismus verständlich. Ein Essay eben, ein gelungenes!
In diesem Sinne
Vielen herzlichen Dank zuerst einmal für diesen sehr interessanten Text, der besonders plastisch das Wesen des Rassismus erfasst, dessen Tragweite und vielfältigen Erscheinungsformen, hier insbesondere die Geschlechterapartheid als seine gegenwärtig problematischste, deutlich macht, und nicht zuletzt durch das eindrucksvolle Schlußplädoyer zum Nach- bzw. Weiterdenken anregt.
Zu einigen Punkten fallen mir spontan noch einige Gedanken bzw. Fragen ein:
1. Den Vergleich des Evolutionsbiologen Hubert Märkl, dass menschliche Veranlagung eher einer Partitur als einem Computerprogramm ähnele, finde ich problematisch, da es sowohl Computerprogramme gibt, die einen schier unendlichen Raum für kreatives Entfalten und geistigen Fortschritt bieten, als auch Partituren, die, egal wieviel Mühe man sich auch gibt, nur begrenzt dem geistvollen Gemüte zur Entfaltung dienen…der Vergleich ist also ein wenig unfair und verallgemeinernd gegenüber Computerprogrammen und ihren Entwicklern…
2. Warum erscheint den meisten Menschen, um die es ja letztendlich gehen soll, die also „integriert“ werden sollen in Deutschland, die Idee von einer sogenannten Integrationspolitik so befremdlich und auch ein wenig heuchlerisch? Ist die Tatsache, dass die von Ihnen angeführten, so plausibel und richtig klingenden „wissenschaftlichen Begründungen und Voraussetzungen“ für die sogenannte Integration, Jahrzehnte lang anscheinend überhaupt keine Rolle gespielt haben, vielleicht ein Grund dafür? Sollten EntscheiderInnen MacherInnen und LenkerInnen Deutschlands der vergangenen Jahrzehnte nicht endlich mal ihr vergangenes Handeln und Denken wirklich kritisch hinterfragen und auch „handfeste“, erkennbare Verantwortung übernehmen?
Sollten viel bioDeutsche nicht auch vielmehr aus ihren Versäumnissen im Umgang mit jungen Menschen – hier insbesondere auch jungen Männern, die ihre familiären Wurzeln in der orientalisch-islamisch geprägten Welt haben – lernen? Sollten viele Deutsche nicht auch mal endlich bereit sein junge Muslime, Araber, Türken, Kurden, Iraner nicht gleich in eine Schublade zu stecken, um auch von ihnen etwas lernen zu können, um sie als bereichernden Teil der Gesellschaft wahrnehmen zu können…?
3. Zum NSU schreiben Sie: „Landeskriminal- und Verfassungsschutzämter hatten es nicht geschafft, den “Nationalsozialistischen Untergrund”, wie die Mörder sich nannten, aufzudecken und diese Mordserie zu verhindern. Die Ermittlungsbehörden, das heißt Polizei und die Schlapphüte der Verfassungsschutzämter, waren offensichtlich auf dem rechten Auge blind.“
Dazu: Viele türkodeutsche und andere nicht-biodeutsche fragen sich aber aufgrund der fragwürdigen Geschehnisse, die sich um die NSU-Morde ereigneten, vielmehr: Haben sie es nicht nur nicht geschafft oder wollten es einige auch gar nicht schaffen? Waren es nur „Schlapphüte“, oder waren unter den Aktenvernichtern nicht auch ein par Verbrecher mit dabei?
4. Sie schreiben: „Misshandlungen von Gefangenen und Asylbewerbern (in Deutschland) sind selten und werden in der Regel strafrechtlich verfolgt“.
Dazu: DANKE, daß auch mal ein anerkannter CDU-Politiker diese Wahrheit ausspricht – denn ob nun Regel oder Ausnahme: Wer andere Staaten aufgrund von Folter kritisiert, sollte nämlich vor allem auch einmal auf derartige Misstände im eigenen Land hinweisen und diese anprangern. Egal ob politisch rechts, links, oben, unten oder nirgendwo… Folter muss übrigens nicht zwangsweise physischer Natur sein. Auch zumeist subtile und viel schwerer feststellbare psychische Folter kann ein Instrument menschlicher Erniedrigung und Demütigung sein.
Warum heißt es eigentlich nazibesetztes Frankreich und nicht z.B. deutschlandbesetztes Frankreich?