Optionspflicht für Dummies
Warum die Optionsregelung nicht überzeugt
Auf einen Blick: Welche Argumente haben Gegner der Optionspflicht im Ärmel? Warum verstößt die Optionspflicht gegen die Verfassung und das Europarecht? Und was sollten Politiker besser tun, als ideologische Grabenkämpfe auf dem Rücken von Jugendlichen auszutragen?
Von Ünal Zeran Freitag, 11.04.2014, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 17.04.2014, 0:20 Uhr Lesedauer: 6 Minuten |
Das Bundeskabinett hat am Dienstag den Gesetzesentwurf des Bundesinnenministeriums (BMI) zur Neuregelung der Optionspflicht im Staatsangehörigkeitsgesetz beschlossen. Dem war eine hitzige Debatte über die Neuregelung vorausgegangen. Von Einigen ist gar der Bestand der Großen Koalition aus CDU, CSU und der SPD infrage gestellt worden.
Was war geschehen? Vor Abschluss des Koalitionsvertrags hatte SPD-Chef Sigmar Gabriel versprochen, dass die SPD keinen Koalitionsvertrag vorgelegt bekommt, „in dem die doppelte Staatsbürgerschaft nicht drin ist“. Gemeint war die generelle Hinnahme der Mehrstaatigkeit. Am Ende unterschrieben CDU/CSU und die SPD einen Koalitionsvertrag, wonach nur die ohnehin umstrittene Optionsregelung geändert werden sollte, und zwar nur zugunsten von in Deutschland geborenen und aufgewachsenen Jugendlichen.
Vorstoß der Länder
Der erste Gesetzesentwurf des BMI Anfang Februar war noch voller Einschränkungen und nur mit erheblichem bürokratischem Aufwand zu bewältigen gewesen. Danach sollte für die Ermöglichung der Mehrstaatigkeit der gewöhnliche Aufenthalt mindestens 12 Jahre im Bundesgebiet liegen, davon mindestens 4 Jahre zwischen dem 10. und 16. Lebensjahr. Der Widerstand gegen diesen ersten Entwurf war groß. Die Bundesländer Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg reagierten darauf mit einem eigenen Gesetzesentwurf. Über den Bundesrat wollten sie die komplette Streichung der Optionspflicht erreichen.
In dem jetzt vom Kabinett beschlossenen Entwurf wurde der bürokratische Aufwand reduziert, aber nicht abgeschafft. Danach sollen Jugendliche beide Staatsbürgerschaften behalten dürfen, wenn sie sich bis zum 21. Lebensjahr acht Jahre gewöhnlich im Inland aufgehalten haben oder sechs Jahre im Inland eine Schule besucht haben bzw. über einen im Inland erworbenen Schulabschluss oder eine im Inland abgeschlossene Berufsausbildung verfügen.
Betrachtet man die emotional geführte Debatte nüchtern, geht es jährlich um ca. 40.000 optionspflichtige Jugendliche, von denen nur etwa 3 Prozent bzw. 1.200, die die Kriterien für den Doppelpass nicht erfüllen dürften. Da stellt sich die berechtigte Frage, ob es bürokratisch und damit auch haushaltspolitisch sinnvoll ist, deswegen Jahr für Jahr etwa 40.000 Akten von Optionspflichtigen zu prüfen, ob sie denn auch tatsächlich in Deutschland aufgewachsen sind. Da dies die Länderhaushalte betrifft, ist der Wunsch nach gänzlicher Abschaffung der Bundesländer nachvollziehbar. Sie haben sicher dringendere Probleme und können das Geld anderswo sicher gebrauchen.
Das ist allerdings nur ein Aspekt. Die Kritiker der Optionsregelung haben weitere, noch viel bessere Argumente auf ihrer Seite: verfassungsrechtliche, völkerrechtliche und europarechtliche.
Europäisches Übereinkommen
Deutschland hat sich mit dieser Regelung erneut gegen die völkerrechtliche Tendenz gestellt, Mehrstaatigkeit nicht als Übel zu sehen und sie in wachsendem Umfang hinzunehmen. Das wird deutlich beim Europäischen Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit, wonach Mehrstaatigkeit grundsätzlich möglich ist. Auch das Grundgesetz verlangt nicht die Vermeidung von Mehrstaatigkeit.
Zwar hatte das Bundesverfassungsgericht in den 70ern Mehrstaatigkeit als „Übel“ bezeichnet, doch ist diese sogenannte „Übel-Theorie“ im Hinblick auf die heutige Rechtspraxis nicht mehr haltbar. Sie ist historisch überholt. Die inzwischen europäisch dominierte Rechtswirklichkeit hat zahlreiche Regelungen geschaffen, die eine Kollision von verschiedenen Rechtsordnungen unproblematisch regeln.
Mehrfacher Verstoß gegen die Verfassung
Des Weiteren liegt aus verfassungsrechtlicher Sicht ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot vor, da Jugendliche, die unter gleichen Lebensbedingungen aufwachsen, unterschiedlich behandelt werden. So unterliegen Jugendliche aus den Mitgliedstaaten der EU und der Schweiz – begrüßenswert – nicht der Optionspflicht. Auch Jugendliche, die ihre „Heimatstaatsangehörigkeit“ nicht aufgeben können, entkommen der Optionspflicht. Diese unterschiedliche Privilegierung, je nach Herkunft der Eltern, ist verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen. Schließlich können sich die Jugendlichen ihre Herkunft nicht aussuchen.
Verfassungsrechtlich gravierender wiegt aber, dass die Regelung eine unzulässige Entziehung der deutschen Staatsangehörigkeit bedeutet. Geregelt ist das in Artikel 16 GG, das der Geschichte Deutschlands geschuldet und daher mit hohen Hürden versehen ist. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) stellt für die Abgrenzung zwischen einem verfassungsrechtlich zulässigen Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit und der absolut unzulässigen Entziehung im Wesentlichen auf die Vermeidbarkeit oder zumutbare Beeinflussbarkeit ab.
Das heißt: Eine verbotene Entziehung ist jede „Verlustzufügung, welche die für den Einzelnen und die Gesellschaft gleichermaßen bedeutsame Funktion der Staatsangehörigkeit als verlässliche Grundlage gleichberechtigter Zugehörigkeit beeinträchtigt“. Dies liegt vor, wenn der Betroffene den Verlust nicht oder nicht auf zumutbare Weise beeinflussen kann.
Für die betroffenen Optionskinder bedeutet das: Sie können nicht beeinflussen, ob und wie lange sie von ihren Eltern ins Ausland gebracht werden. Den Eltern wiederum ist gemäß Artikel 6 des Grundgesetzes das Aufenthaltsbestimmungsrecht über ihre Kinder garantiert. Stellt man auf die Volljährigkeit ab, wonach der Jugendliche hiernach autonom entscheiden kann, wo er lebt, dann verbleiben bis zum maßgeblichen 21. Lebensjahr nur 3 Jahre der eigenständigen Handlungsfähigkeit, die dem Jugendlichen zurechenbar sind. Dies reicht nicht, um den 8 jährigen gewöhnlichen Aufenthalt nachzuweisen. Ergebnis: Die Jugendlichen haben keinen Einfluss darauf, ob sie die Kriterien der neuen Optionsregelung erfüllen oder nicht. Sie haften für die Entscheidung ihrer Eltern.
Das Verfassungsgericht betont zudem, dass mit zunehmendem Alter auch das Bewusstsein für die deutsche Staatsangehörigkeit steigt. Es hält daher eine angemessene Alters- und Fristenregelung für erforderlich, wenn die gesetzliche Verlustfolge eintreten soll. So ist für verschiedenste gesetzliche Verlustkonstellationen vom Gesetzgeber eine Frist von 5 Jahren als verhältnismäßig erachtet worden. Nach 5 Jahren Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit soll der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit nicht mehr eintreten, selbst wenn die deutsche Staatsangehörigkeit durch Täuschung erlangt wurde. Warum also soll bei rechtstreuen Jugendlichen eine viel längere Frist von 21 Jahren gelten? Leitartikel Meinung
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