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Studie

Kein Automatismus zwischen kulturellen Unterschieden, Konflikten und Gewalt

Empirische Studie der Bertelsmann Stiftung: Kulturelle Gegensätze verstärken oftmals Konflikte, sind aber zumeist nicht die eigentliche Ursache. Trotz der deutlichen Zunahme an kulturellen Konflikten kommen die Autoren der Studie nicht zu einer pessimistischen Prognose.

Donnerstag, 17.09.2009, 8:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 08.01.2020, 15:45 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Die Anzahl der kulturell bedingten Konflikte hat in den vergangenen 25 Jahren sprunghaft zugenommen und gleichzeitig sind kulturelle Konflikte besonders anfällig in ihrer Eskalation zu Gewalt. Andererseits sind gegensätzliche Werte oder die kulturelle Zersplitterung zum Beispiel in Sprache, Religion oder durch unterschiedliche historische Erfahrungen nicht die Hauptursache von Konflikten. Außerdem sind Kulturkonflikte weitgehend innerstaatliche Phänomene ohne zwischenstaatliche Dimensionen. Dies ist das Ergebnis einer umfangreichen Studie der Bertelsmann Stiftung über die Ursache von Konflikten.

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Als Grundlage der Studie diente eine Auswertung aller seit dem Jahre 1945 weltweit registrierten Konflikte und die Bewertung ihrer Ursachen und Intensität durch Konfliktforscher der Universität Heidelberg. Danach hat die Anzahl der kulturell bedingten Konflikte im Verlauf der vergangenen Jahre sprunghaft zugenommen und erreicht gegenwärtig einen vorläufigen Höhepunkt. Über den gesamten Untersuchungszeitraum (1945 – 2007) sind 44 Prozent aller erfassten Konflikte kultureller Natur. Seit etwa Mitte der 80er Jahre übersteigt aber die Anzahl der Kulturkonflikte sogar die Summe der nichtkulturellen Konflikte. Nach dem Ende des Kalten Krieges und der Sowjetunion haben vor allem religiöse und ethnisch-historisch thematisierte Konflikte auf innerstaatlicher Ebene wie etwa im ehemaligen Jugoslawien, im südlichen Kaukasus oder auf Sri Lanka erheblich zugenommen. Während bei nichtkulturellen Konflikten die Zahl der Auseinandersetzungen und das gemessene Konfliktniveau abnehmen, zeigen kulturelle Konflikte ein umgekehrtes Muster. Sie werden häufiger, eher gewaltsam und auch auf den höheren Intensitätsstufen ausgetragen.

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Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Kultur und Konflikt in globaler Perspektive – Die kulturellen Dimensionen des Konfliktgeschehens 1945-2007
1. Auflage 2009, 102 Seiten, Broschur, ISBN 978-3-86793-037-6

Dabei zeigt sich aber auch, dass kulturelle Konflikte vor allem innerhalb von Staaten auftreten und nur selten zwischen verschiedenen Staaten zu beobachten sind. So sind vier von fünf kulturellen Konflikten ausschließlich innerstaatliche Phänomene. „Den von vielen prognostizierten ‚Zusammenprall der Kulturen‘ wie der des Westens mit dem Islam können wir somit auf internationaler Ebene nicht erkennen“, bilanziert Malte Boecker, Senior Expert der Bertelsmann Stiftung. „Dennoch müssen kulturelle Faktoren und Strukturen als verschärfende Faktoren von Konflikten ernster wahrgenommen werden, als dies besonders bei dialogorientierten Akteuren bislang der Fall war. Aber kulturelle Faktoren sind keine Mastervariablen, die im Alleingang das weltweite Konfliktgeschehen erklären können.“

Denn gleichzeitig konnte die Studie nachweisen, dass kulturelle Faktoren nicht die alleinige oder wichtigste Ursache darstellen. So zeigen sich andere Faktoren als bedeutsam. Insbesondere ein sehr hoher Anteil an männlichen Jugendlichen im Alter von 15 bis 24 Jahren in einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder in einem Land im Vergleich zur Gesamtbevölkerung (Youth Bulge) erhöht durchgängig die Wahrscheinlichkeit von Konflikten. Andere Faktoren sind vor allem das Maß an Unterentwicklung, ein geringes Wirtschaftswachstum, die Menge der zur Verfügung stehenden Agrarfläche oder das Niveau der Demokratisierung in einer Gesellschaft. Keinen eindeutigen Einfluss hatte der Zustrom von Migranten. Als eine besonders kritische Konstellation sieht die Studie insbesondere einen hohen Anteil männlicher Jugendlicher und die sprachliche Zersplitterung in einem Land. Sind beide Faktoren hoch ausgeprägt, erhöht dies insbesondere die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von besonders gewaltintensiven kulturellen Konflikten. Nicht bestätigen konnte die Studie dagegen die Annahme, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen dem Grad der religiösen Zersplitterung und der Anzahl von Konflikten gibt. Hier zeigten sich die besonders fragmentierten wie auch die religiös sehr homogenen Gesellschaften relativ konfliktarm.

Über die Studie: Die aktuelle Konfliktstudie entstand in Zusammenarbeit der Bertelsmann Stiftung mit dem Institut für Politische Wissenschaft der Universität Heidelberg unter der Leitung von Prof. Aurel Croissant und Prof. Uwe Wagschal. Sie fußt auf der Auswertung der Konfliktdatenbank CONIS, die weltweit das Konfliktgeschehen seit 1945 erfasst. Die Studie untersucht dabei empirisch, in welchen Konflikten kulturelle Faktoren eine Rolle spielen und inwieweit sie das Konfliktgeschehen hinsichtlich der Gewaltintensität beeinflussen. Die aus ihr folgenden Erklärungen sollen einen Beitrag leisten zur Weiterentwicklung des Kulturdialogs für ein friedliches Miteinander in einer globalisierten Welt.

Trotz der deutlichen Zunahme an kulturellen Konflikten kommen die Autoren der Studie nicht zu einer pessimistischen Prognose. „Gemessen an der Zahl der potenziellen Konfliktlinien kann die Anzahl der tatsächlichen gewaltsamen Konflikte insgesamt als verschwindend gering bezeichnet werden“, äußert sich Prof. Aurel Croissant von der Universität Heidelberg zu den Befunden der Studie. Außerdem sei aus dem Vergleich unterschiedlicher Gesellschaften kein Automatismus zwischen kultureller Fragmentierung, Konflikten und Gewalt erkennbar: „Keine einzige vorstellbare kulturelle Zusammensetzung einer Gesellschaft muss zwangsläufig zum Konflikt oder gar zur Gewalt führen. Kulturelle Prägung mag Schicksal sein, kulturelle Konflikte sind es nicht.“ Gesellschaft Studien

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  1. municipal sagt:

    „Keine einzige vorstellbare kulturelle Zusammensetzung einer Gesellschaft muss zwangsläufig zum Konflikt oder gar zur Gewalt führen.“

    Ein durch das Wort MUSS sehr sinnentleerte Formulierung.

    Muss nicht. Aber KANN sehrwohl.