Porträt
„Seine Erzieherin meinte, er sei ein Macho. Da war er noch kein Jahr alt“
Yasemin Arpacı ist eine erfolgreiche Managerin und SPD-Politikerin. Sie stammt aus einer klassischen türkischen Arbeiterfamilie. Ihr Ziel ist es, ihrem Kind eine bessere Perspektive zu bieten. Sie selbst musste erst einmal in eine Sonderklasse – ein Porträt.
Von Hatice Kılıçer Freitag, 16.05.2014, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 21.05.2014, 17:24 Uhr Lesedauer: 8 Minuten |
Es klingelt an der Haustür. Der vierjährige Furkan springt seiner Mutter in die Arme. Sie ist heute vor ihm zu Hause. Aufgeregt erzählt Furkan von seiner Schminkstunde im Kindergarten. Auf seiner kleinen Stupsnase ist eine senkrechte blaue Linie gemalt, die Stirn ziert ein waagerechter Fleck. Mit Händen und Füßen gestikuliert der Vierjährige und plappert von seinem Tag im Kindergarten. Die SPD-Politikerin Yasemin Arpacı streichelt ihrem Sohn die dunkelblonden Haare zur Seite, macht ihm das Gesicht frei, gibt ihm einen Schmatzer und sagt: „Wir vermissen uns jeden Tag“.
Das Wohnzimmer und die Küche bilden einen großen Raum, wie in einem Studio. Mitten im Wohnraum hängt eine markante, mit einem Haken an der Decke befestigte Hängematte. Sie ist geschmückt mit einem Kissen, das mit orientalischen Ornamenten bestickt ist. Auf dem Boden liegt ein Spielstraßen-Teppich. Hier ist das Reich des kleinen Furkan.
Heute ist Yasemin Arpacı eine erfolgreiche Managerin. Sie stammt aus einer klassischen türkischen Arbeiterfamilie. Geboren in Ulm, aufgewachsen als das sechste Mädchen des Arpacı-Hauses. Ihre Eltern wandern wegen der Armut in den sechziger Jahren von der osttürkischen Schwarzmeerküste Giresun nach Ulm aus. Ihr Ziel ist es, ihren Kindern eine bessere Perspektive zu bieten.
„Meine Kindheit hat mich sehr geprägt“, sagt die 39-Jährige. „Ich lernte, dass man sich nicht von seinen Nachbarn und ihren unterschiedlichen Lebensstilen abgrenzen muss. Die Tür meiner Familie stand allen offen. Eine schwäbische Oma aus unserem Haus nahmen wir zum Beispiel oft in unseren Jahresurlaub in die Türkei mit“, erinnert sich die Sozialdemokratin. Dann muss Arpacı lachen. „Meine Mutter hat deutschen Studenten im Haus türkische Kochkünste beigebracht“, sagt sie. Das sei immer selbstverständlich gewesen. Das Lieblingsgericht der Studenten ist Imam Bayildi. Auf Deutsch: Der Vorbeter fällt in Ohnmacht. Dabei handelt es sich um ein Gemüsegericht aus gefüllten und geschmorten Auberginen. Der Sage nach isst ein Imam dieses Gericht. Er ist so begeistert davon, dass er in Ohnmacht fällt. Daher der Name.
Zum einen denkt die Alleinerziehende glücklich an ihre Kindheit zurück. Damals waren die Menschen füreinander da und übernahmen Verantwortung für den andern. „Meine Mutter konnte mir bei den Hausaufgaben nicht helfen. Aber eine Nachbarin sprang für sie ein und machte mich fit für die Schule“, sagt die Managerin.
Zum anderen muss sich Arpacı in ihrer Schulzeit vielen Herausforderungen stellen. Ihre Lehrer meinen, ihr Deutsch sei nicht gut genug. Deshalb steckt man sie in eine Sonderklasse mit anderen Migranten. „Als ob ich dann besser Deutsch lernen könnte“, fasst die Managerin sich an den Kopf. Sie wäre lieber mit ihren Freunden aus dem Kindergarten in die Klasse gegangen, „und nicht in eine separate Kiste“. Arpacı fühlt sich dort isoliert. „Meine Lehrer sagten, wenn du die deutsche Sprache gut beherrschst, kannst du in die ‚normale‘ Klasse gehen. Also wusste ich, dass meine Klasse nicht normal war.“
Schon nach einem halben Jahr darf Arpacı jedoch in die normale Klasse. Aber dort gehen die Schwierigkeiten weiter. „Ich war ein Fremdkörper.“
Erst als Arpacı auch positive Erlebnisse in der Schule hat, flüchtet sie nach vorn. Ihre Kameraden trauen ihr vieles nicht zu. Das weckt ihren Ehrgeiz. Neben ihren Schwächen begreift sie auch ihre Stärken, und lernt, diese auszubauen. Das dauert bis heute an.
Nach ihrem Studium hospitiert Arpacı in einem Automobilunternehmen. Als einzige Frau mit Migrationshintergrund klettert sie auf der Karriereleiter nach oben, bis sie im Management ankommt. Doch als die junge Frau auf ihre biologische Uhr hört, scheiden sich die Geister. Ihre Entscheidung, Mutter zu werden, stößt ihrem Vorgesetzten vor den Kopf. So landet sie auf der Abschussliste.
Trotz ihrer steilen Laufbahn soll die Managerin wieder als Sachbearbeiterin anfangen. Sie schmettert das Angebot ab. Arpacı gibt ihren hart erarbeiteten Posten auf und lässt sich freistellen. Mit neuem Elan und neuem Mut will sie einen Wechsel wagen. Wenige Monate später ist sie Managerin eines Unternehmens in Ulm, das Feuerwehrfahrzeuge herstellt.
Die Mutterschaft bringt auch andere Veränderungen mit sich. „Als ich Mutter wurde, wollte ich unsere Zukunft verbessern“, sagt die Sozialdemokratin. Deshalb tritt sie der SPD bei. Die Partei war schon immer die politische Heimat ihrer Familie. Als Kommunalpolitikerin kandidiert die 39-Jährige in Ulm.
Arpacı ist es als Politikerin wichtig, internationale Firmen in Ulm besser zu vernetzen und zu integrieren, eine engere Kooperation zwischen der Stadt und den Firmen herzustellen. Die Managerin arbeitet für ein Unternehmen, dessen Konzernzentrale in Italien liegt. Aus diesem Grund sind viele ihrer Kollegen Italiener. „Man kann ganz tolle Begegnungen schaffen, um unsere Stadt Ulm als Wirtschaftsstandort nachhaltig attraktiv und wettbewerbsfähig zu gestalten“, sagt die 39-Jährige.
Arpacıs Kollegen aus Italien leben mit ihren Familien in Ulm. Ihre Kinder gehen dort zur Schule. „Es braucht ein Bindeglied zwischen diesen Menschen und der hiesigen Gesellschaft. Die Willkommenskultur gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund muss allgemein eine andere sein. Sonst verpasst man Chancen, voneinander profitieren zu können.“
Familienpolitisch wird die Perspektive von alleinerziehenden Vätern und Müttern mit Kleinkindern nicht abgedeckt, findet Arpacı. Als Alleinerziehende kennt sie sich mit dem Thema gut aus. „Ich bin dafür, Betroffene zu Beteiligten zu machen. Außerdem müssen Alleinerziehende auf manche Ressourcen wie Betreuungsplätze stärker zugreifen können. Man sollte nicht alle über einen Kamm scheren.“
Kritik übt sie am jüngsten Gesetzesentwurf von Innenminister Thomas de Maizière zum Doppelpass. Der Entwurf sieht vor, dass Migranten den Pass nur erhalten, wenn sie sich bei Vollendung ihres 21. Lebensjahres mindestens acht Jahre durchgehend in Deutschland aufgehalten haben oder über einen in Deutschland erworbenen Schulabschluss verfügen. „Ich finde, der Entwurf ist wie Jein sagen. De Maizière gesteht einerseits den Migranten etwas zu und andererseits knüpft er es an Bedingungen. Aus meiner Sicht ist das halbherzig“, sagt die SPD-Politikerin.
Außerdem leben die Menschen heute in einer globalisierten Welt. Mittlerweile entwickeln sich Lebensläufe anders als gewohnt. Heute ist ein Auslandsaufenthalt keine Seltenheit mehr, weshalb sich der Nachweis des durchgehenden Aufenthaltes in Deutschland als schwierig erweisen kann. „Meine Schwester war als Schülerin mehrere Jahre in einem deutschen Internat in Istanbul. Man kann kein Kind dafür bestrafen, dass es mal im Ausland war. Meine Schwester ist sicherlich kein Einzelfall.“ Feuilleton Leitartikel
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