Rezension zum Wochenende
Integration in die Zukunft
Die gegenwärtige Debatte über Islam und Europa wird kontrovers und emotional geführt, die persönliche Freiheit des Einzelnen auf der einen, das kulturelle Kollektiv auf der anderen Seite - Zoltan Peter hat das Buch "Europa, Menschenrechte und Islam – ein Kulturkampf?" rezensiert:
Von Zoltan Peter Freitag, 23.05.2014, 8:20 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 01.04.2015, 21:27 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Der Band Europa, Menschenrechte und Islam – ein Kulturkampf? erschien Anfang 2012. Es handelt sich um eine fächerübergreifende Studie, die es hervorragend versteht, sowohl ein breiteres als auch ein Fachpublikum anzusprechen. Wenn man es mit gängigen, oft genug etwas engspurig gehaltenen Büchern vergleicht – wie z. B. mit der von Amani Abuzahra unlängst publizierten Diplomarbeit Kulturelle Identität in einer multikulturellen Gesellschaft –, so ist dieses Buch geradezu eine „Avantgarde“ seines Faches.
Das Buch setzt sich aus 16, in sich geschlossenen Kapiteln zusammen. Jeder Themenkreis wird aus der Perspektive der internationalen Menschrechte, Toleranz etc. abgehandelt. Man mag die Verfahrensweise zwar auf den ersten Blick für etwas zu eng empfinden, doch eine solche Fokussierung ermöglicht es dem Autorenteam, soziale Verhaltensweisen, kulturelle, ethnische Gewohnheiten mehrerer Länder zu beleuchten und anhand von aufschlussreichen Kriterien des gesellschaftlichen Zusammenlebens miteinander zu vergleichen.
Zentralthema des Bandes ist die islamische Kultur und deren Beziehung zur individuellen Freiheit, zu Europa und zur Demokratie. Darüber hinaus werden aber auch aktuelle Schlüsselthemen des Zusammenlebens in modernen Einwanderungsgesellschaften in politologischer und historischer Hinsicht behandelt. „In einer pluralistischen Gesellschaft“, so der einleitende Satz zum Thema, „bedeutet Integration die Einbeziehung möglichst vieler – idealerweise aller – Menschen in die Gesellschaft“ (149). Eine der größten Herausforderungen pluralistischer Gesellschaften besteht hiernach darin, ob und inwiefern die Integration der in den letzten Jahrzehnten nach Westeuropa eingewanderten Menschen gelingt, die aus Ländern stammen, „deren Gesellschaften wesentlich geschlossener, dogmatischer und weniger pluralistisch sind als die europäische“ (13).
Methodisch geht das Buch teilweise über die Grenzen einzelner Fachdisziplinen hinaus; eine Vorgangsweise, die in der Regel Gefahr läuft, in disziplinären Expertenkreisen auf Widerstand zu stoßen. Mehr noch: Das Autorenteam greift auch einige im kulturwissenschaftlichen Feld tabuisierten Themen auf und kritisiert etablierte Begriffe, wie zum Beispiel die Ausdrücke „Islamophobie“ und „Multikulturalismus“. Letzteren lehnen sie wie folgt ab: „Der multikulturalistische Ansatz, der glaubt, das Zusammenleben der Gesellschaft durch Sonderrechte für kulturelle/religiöse Gruppen zu fördern, ist zu Recht gescheitert, denn er zielt auf ethnisch und kulturell homogene Sub-Gesellschaften, in denen Wert und Recht des Menschen von seiner Herkunft abhängen, er führt mithin in eine Gesellschaft, die nicht frei ist.“ (45)
Den Begriff „Islamophobie“ findet das Autorenteam äußerst problematisch. Das schon allein deshalb, weil man mit einem Krankheitsbild operiere, das eine angemessene Forschung und Diskussion von vornherein mehr blockiere als fördere. „Religionen und Weltanschauungen zu Gegenständen eines Krankheitsbildes zu machen, hätte zur Folge, dass jede Ablehnung oder Kritik derselben als illegitim, weil pathologisch, betrachtet werden könnte.“ (18) Daher verwundere es nicht, wenn negative Aussagen über den Gegenstand der Untersuchung oft als Vorurteile verstanden würden, ohne dabei einen „etwaige[n] reale[n] Hintergrund des ‚Vorurteils‘“ in Betracht zu ziehen. (24) Das gravierende Problem des Begriffs liege außerdem in der „Verwechselung von Kritik am Islam mit einer Stigmatisierung und Diskriminierung der Gläubigen“ (25) „Die […] Vermischung von Religionskritik und Ressentiment durch den Begriff Islamophobie verlagert Religionskritik von der intellektuellen Ebene auf die moralische […]“ (26) Mit dem Begriff sei es nicht möglich „den Unterschied zwischen Islamkritik und Muslimfeindschaft“ selektiv wahrzunehmen und zu analysieren. So tragen seine Anwender mehr zur Polarisierung des Feldes als zur Entstehung einer vielfältigen Forschungs- und Diskussionslandschaft bei. Der Begriff sei für analytische Zwecke von Anfang an zu „nebulös“ gewesen. Heute, 20 Jahre nach seiner Entstehung, sei er nur mehr ein Kampfbegriff, also ein bedeutendes Hindernis, das „einer offenen und kritischen Diskussion“ klar im Wege stehe. (27)
Das Buch plädiert für einen Perspektivenwechsel, unter anderem für eine sachliche Diskussion in der Einwanderungsthematik, die mehr als bis jetzt auf vergleichbaren Daten und Fakten basieren sollte. Es bestreitet in keiner Zeile, dass Religionsfreiheit, die Einhaltung der Rechte der ethnischen Minderheiten etc. wichtige Bestandteile demokratischer Gesellschaften sind. Das Autorenteam ist aber skeptisch, ob und wie lang eine friedliche Koexistenz von stark divergierenden religiösen, ethnischen und sonstigen Unterschieden möglich ist, wenn eine Gesellschaft es nicht schafft, ein übergeordnetes Wertesystem durchzusetzen; einen „Wertekonsens“, der in der Lage ist, allgemeine Lösungen für wichtige Gesellschaftsfragen zu liefern.
Das Buch stellt in migrationssoziologischer Hinsicht auf jeden Fall eine Vorhut dar, weil es brauchbare Impulse liefert, die zur Erneuerung der „klassischen“, das heißt tendenziell bemitleidend ausgerichteten, Migrationsforschung und zur Erneuerung der üblichen Auseinandersetzungen zum Einwanderungsthema beitragen können. Die Kategorien Menschenrechte, Toleranz und Freiheit, die das Autorenteam in seinem Buch anwendet und womit soziale Vorgänge in den islamischen Ländern und in Europa verglichen werden, können natürlich nicht alle einschlägige Fragestellungen der Migrationsforschung beantworten. Aber der angewandte Ansatz vermittelt einen ersten Vorgeschmack auf eine erst zu leistende umfangreiche Untersuchung, in welcher die Gesellschaftsakteure nicht ihrer Herkunft, Religion, Bildung oder dem Migrationshintergrund nach untersucht würden, sondern in erster Linie angesichts ihrer sozialen Praktiken, die entlang der universalen Menschenrechte, der Toleranz etc. angesiedelt sind. Man würde also (mit ein und demselben Maßstab) zuerst nach dem Ausmaß der Aufgeschlossenheit, Aufgeklärtheit etc. der Bürger und Bürgerinnen Ausschau halten und erst anschließend nach den Bedingungen ihrer Erscheinungsformen suchen.
Postmodernismus und der damit zusammenhängende Multikulturalismus sind im Sinne dieses Buches offenbar ausgelaufene oder zumindest reformbedürftige Modelle. Für Heiko Heinisch und Nina Scholz geht es aber um die Revitalisierung, schlicht um die Arbeit an der Aufklärung. Ihnen passt die oft brutale Missachtung der Menschenrechte in vielen Ländern der Erde ebenso nicht wie die auch in Europa vorhandenen Reste von Separatismus, Ethnozentrismus und der damit einhergehenden sozialen Intoleranz. Es bedarf keiner besonderen Wachsamkeit, um zu sehen, dass das Buch nach einer Art „neuer Sachlichkeit“ in diesen Fragen strebt und sich unter anderem gegen jenen Diskurs wendet, der in den letzten 20–30 Jahren auf der einen Seite einen romantisierend schonenden und auf der anderen einen sehr kritischen, aber selten einen einheitlich-sachlichen, d.h. jenseits des „Fremden“ und „Einheimischen“ angesiedelten, Blick auf die Gesellschaft geworfen hat. Aktuell Rezension
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