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Aydan Özoğuz

„Unwissenheit oft für flüchtlingsfeindliche Stimmung verantwortlich“

Täglich kommen neue Flüchtlinge in Europa und Deutschland an. Oft nehmen die Menschen lebensgefährliche Wege auf sich. Die Flüchtlingsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoğuz (SPD), fordert im Gespräch mehr legale Einreisemöglichkeiten.

Von Corinna Buschow Dienstag, 01.07.2014, 8:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 03.07.2014, 0:20 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Frau Özoğuz, Sie besuchen am Dienstag das Flüchtlingssymposium von Kirchen und Nichtregierungsorganisationen in Berlin. Im Titel der Veranstaltung ist von „Krise“ die Rede. Gibt es eine Flüchtlingskrise in Deutschland?

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Aydan Özoğuz: Krisen und zwar schwere Menschenrechtskrisen gibt es in Syrien, Somalia oder auch in Nigeria. Wir stehen vor großen Herausforderungen, so würde ich das nennen. Viele Flüchtlinge aus Syrien, aber auch aus anderen Staaten, suchen bei uns Schutz. Teilweise sogar aus Europa. Es sind also vielfältige Herausforderungen, die gleichzeitig gemeistert werden müssen, aber nicht miteinander vermengt werden sollten.

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Die Proteste von Flüchtlingen in Deutschland reißen nicht ab. Inzwischen sind sie in Brüssel angelangt. Hat die Bundesregierung die schwierige Situation der Flüchtlinge unterschätzt?

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Man kann an einer Stelle der Bundesregierung keinen Vorwurf machen: Sie konnte die Krisen in Syrien, der Ukraine und aktuell im Irak nicht voraussehen. Was stimmt: Wir haben es aufgrund der vergleichsweise niedrigen Fallzahlen der vergangenen Jahre schleifen lassen, darüber nachzudenken, wie wir auf Herausforderungen wie die jetzige angemessen und schnell reagieren können. Das gilt besonders für Unterkünfte, die jetzt kaum mehr ausreichend zur Verfügung stehen. Das wurde von allen Seiten vernachlässigt.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) rechnet mit 200.000 Flüchtlingen in diesem Jahr in Deutschland. Während einige sagen, angesichts von 51 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht sei das wenig, warnen andere bereits, die Stimmung in der Bevölkerung könnte wieder hin zur Feindlichkeit gegenüber Asylbewerbern wie Anfang der 90er Jahre kippen. Teilen Sie diese Sorge?

„Wenn einige, kaum dass die ersten sich auf den Weg zu uns machen, schon von Betrügern sprechen, muss man sich auch nicht wundern, dass eine schlechte Stimmung einzieht.“

Man muss das immer ernst nehmen. Es kommt aber auch darauf an, wie wir damit umgehen. Wenn einige, kaum dass die ersten sich auf den Weg zu uns machen, schon von Betrügern sprechen, muss man sich auch nicht wundern, dass eine schlechte Stimmung einzieht. In den 90er Jahren wurde vieles nicht gut genug kommuniziert. Daraus wurde aber gelernt.

Zum Weltflüchtlingstag war ich in Vilshofen in einer neuen Asylbewerberunterkunft. Vor Ort hat sich sofort ein Verein gegründet, der sich für das Heim engagiert und die Dorfbewohner regelmäßig informiert. Das hat zu einem guten Verhältnis geführt. In Vilshofen werden die Leute nicht mit schockierenden Zahlen konfrontiert wie „Da kommen jetzt Millionen“. Es geht um das konkrete Heim, das ist überschaubar. Oft sind diffuse Ängste und Unwissenheit für eine flüchtlingsfeindliche Stimmung verantwortlich. Es ist auch das richtige Zeichen, dass etwa der Bürgermeister und die Gemeinde, das heißt die Politik vor Ort den Verein sichtbar unterstützen.

Flüchtlingsorganisationen fordern mehr legale Möglichkeiten zur Einreise. Was halten Sie davon?

In manchen Punkten müssen wir wirklich neu denken. Wir müssen überlegen, ob der weiterhin große Bedarf an Arbeitskräften in Europa nicht dazu führen kann, dass wir qualifizierten Menschen, die hierher kommen wollen, das auch ermöglichen, hier zu arbeiten. Aus der Erfahrung wissen wir, dass viele Menschen mit dem Geld, das sie hier verdienen, ihre Familien im Herkunftsland unterstützen. Kehren sie eines Tages zurück, dann könnten sie zudem mit ihrer Erfahrung und zusätzlichen Qualifikationen wichtige Impulsgeber in ihren Ländern werden.

Es könnte also ein Aspekt der Entwicklungspolitik werden, die mit der Flüchtlingspolitik ja oft sachliche Schnittmengen hat. Die Menschen brauchen die Chance, sich selbst versorgen zu können. Wir brauchen Arbeitskräfte. Zumal wir bedenken müssen: Diejenigen, die derzeit etwa aus Spanien oder Portugal wegen der angespannten Wirtschaftslage dort zu uns gekommen sind, könnten schnell wieder gehen, wenn es ihren Ländern besser geht.

Von den Ankündigungen im Koalitionsvertrag wurde erst eine Verbesserung für Flüchtlinge – die Lockerung des Arbeitsverbots – im Bundestag konkret diskutiert. Dazu soll eine weitere Verschärfung mit dem Gesetz zu den sicheren Herkunftsstaaten kommen. Wie beurteilen Sie diese Halbjahresbilanz der großen Koalition?

Keiner hat damit gerechnet, dass diese schwierigen Themen mal eben schnell durchgewunken werden. Es war klar, dass das zu Debatten in der Koalition führen wird. Wenn wir es in diesem Jahr halbwegs schaffen, alle Punkte aus dem Koalitionsvertrag umzusetzen, wäre ich zufrieden. Ich finde es gut, dass bereits alles angesprochen wurde. Das Thema Flüchtlinge wird nicht mehr weggeschwiegen. Was ich außerdem gut finde: Es hat sich gezeigt, dass man mit diesem Thema nicht mehr populistische Wahlkampagnen machen kann. Man merkt eine echte Veränderung in der Gesellschaft. (epd/mig) Aktuell Interview

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