EuGH-Urteil zum Ehegattennachzug
Krachende Niederlage für die Bundesregierung
Seit 2007 macht Deutschland den Ehegattennachzug von einem bestandenen Sprachtest im Ausland abhängig. Und von Anfang an ist diese Regelung umstritten. Trotz aller Kritik hat die CDU daran festgehalten. Nun hat der Europäische Gerichtshof die Regelung zumindest für Türken einkassiert – Sevim Dağdelen kommentiert.
Von Sevim Dağdelen Montag, 14.07.2014, 8:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 14.06.2015, 20:24 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Seit Jahren kritisieren die Linken, dass der Nachzug von Ehegatten und Lebenspartnern/-partnerinnen aus dem Ausland grundsätzlich vom Nachweis einfacher deutscher Sprachkenntnisse des Niveaus A 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens (GER) abhängig ist. Diese Regelung gilt auf Betreiben von CDU/CSU und SPD seit August 2007.
Gründe für diese Ablehnung gab und gibt es viele. Seitdem der Nachweis von Deutschkenntnissen im Ausland als Voraussetzung für den Ehegattennachzug verlangt wird, ist die Zahl der erteilten Ehe-Visa deutlich gesunken: im 4. Quartal 2007 um 40 Prozent, besonders betroffen war die Türkei mit einem Rückgang um 67,5 Prozent. Betrachtet man die sechs Quartale vor und nach der Gesetzesänderung kam es zu einem Rückgang der Ehegattenvisa weltweit um etwa 25 Prozent.
Niemand kann leugnen, dass dieser Rückgang etwas mit den Schwierigkeiten des Deutsch-Spracherwerbs und Nachweises im Ausland zu tun hat. Dies belegen auch Zahlen dazu, wie viele Personen den Sprachtest im Ausland bestehen – im ersten, zweiten oder auch x-ten Versuch: Allein im vergangenen Jahr schafften 12.828 Ehegatten den Sprachtest im Ausland nicht, das war etwa jede dritte Person. Die Zahl der zum Ehegattennachzug erteilten Visa sank infolge der gesetzlichen Hürden um mehr als ein Fünftel, von zuvor knapp 40.000 auf etwa 32.000 pro Jahr.
Begründet wurde die Einführung der Sprachregelung mit einer angeblich besseren Integration und dem angeblichen Kampf gegen Zwangsverheiratungen. Beides waren vorgeschobene Argumente: Die deutsche Sprache lässt sich viel leichter in einem Integrationskurs in Deutschland erlernen, d.h. im deutschen Sprachumfeld, mit der Hilfe der hier lebenden Ehegatten und durch alltägliche Anwendungsmöglichkeiten.
Von Zwangsverheiratungen wiederum sind auch hier lebende Menschen mit besten Sprachkenntnissen betroffen – zum Schutz der Betroffenen sind deshalb andere Mittel erforderlich, etwa Beratungs- und Unterstützungsangebote und wirksame Aufenthaltsrechte. In Wahrheit sollte durch die Neuregelung der Familiennachzug insgesamt erschwert werden. Vor allem auf sozial- und bildungsbenachteiligte Menschen wirken die Sprachanforderungen wie eine mitunter schier unüberwindbare Hürde und Schikane.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat damit nun Schluss gemacht; zumindest für den Nachzug zu türkischen Staatsangehörigen. Das Urteil des EuGH ist eine Blamage für die Bundesregierung, aber auch für das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) und die deutsche Rechtsprechung. Das BVerwG hatte im Jahr 2010 in einem Grundsatzurteil entschieden, dass die Sprachanforderungen keinesfalls ein Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot des EWG-Türkei-Assoziationsrechts seien. Das war damals schon unhaltbar, hat aber dazu geführt, dass Tausende Ehegatten über Jahre hinweg weiter drangsaliert wurden.
Der EuGH befand, was auch die Linken seit Jahren kritisieren: Die Beschränkung des Ehegattennachzugs durch Einführung eines Sprachtests im Ausland war ein Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot des EWG-Türkei-Assoziationsrechts. Die Bundesregierung hatte vergeblich versucht, dieses Urteil mit haarspalterischen juristischen Argumenten zu verhindern. Der fortgesetzte Rechtsbruch gegenüber türkischen Staatsangehörigen beim Ehegattennachzug ist nunmehr beendet. Es bleibt zu hoffen, dass die Bundesregierung nun nicht als schlechter Verlierer versucht, das Urteil in der praktischen Umsetzung noch zu unterlaufen.
Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, Dr. Günter Krings, formulierte bereits in einer Erklärung extrem zurückhaltend, das Urteil des EuGH werde von der Bundesregierung „zur Kenntnis“ genommen. Eine bloße Kenntnisnahme aber wird nicht reichen, die Regierung sollte ihre seit Jahren irrige Rechtsauffassung klar und eindeutig korrigieren und den türkischen Ehepaaren nun keine Steine mehr in den Weg legen.
Der Staatssekretär irrte noch in einem weiteren Punkt, da er sich in der Auffassung bestätigt fühlte, die Regelung der Sprachanforderungen sei im Übrigen mit EU-Recht vereinbar: Damit hatte sich der EuGH ausdrücklich gar nicht auseinandersetzt, weil es im Einzelfall der türkischen Ehefrau nicht mehr erforderlich war. Schon der EuGH-Generalanwalt hatte in seiner Stellungnahme vor dem Urteil aber ergänzend ausgeführt, dass das deutsche Recht auch im Übrigen gegen die EU-Familienzusammenführungs-Richtlinie verstößt.
Mit dem Urteil fällt das politische Paradeprojekt der Rechten in der Migrationspolitik, mit dem der Familiennachzug gerade türkischer Ehegatten beschränkt werden sollte. Die Bundesregierung muss die menschenrechtswidrige Regelung nun schleunigst im Ganzen beseitigen. Denn dass nunmehr deutsche Staatsangehörige beim Ehegattennachzug nicht nur gegenüber Unionsangehörigen und Staatsangehörigen der Länder USA, Kanadas, Australiens, Israels, der Republik Korea, Japans und Neuseelands benachteiligt werden (weil in diesen Fällen die Sprachanforderungen ohnehin nicht gelten), sondern von nun an auch schlechter gestellt sind als türkische Staatsangehörige, ist einfach absurd.
Hier lebende türkische Staatsangehörige müssen sich von nun an ernsthaft überlegen, ob sie einen Einbürgerungsantrag stellen wollen – denn mit Erwerb der deutschen und dem Verlust der türkischen Staatsangehörigkeit verlören sie den Schutz der Rechte des Assoziationsabkommens und wären beim Familiennachzug als Deutsche schlechter gestellt. Es ist zu befürchten, dass auch beim Nachzug zu deutschen Staatsangehörigen die Bundesregierung bis zuletzt an der Diskriminierung festhalten und ein weiteres Urteil des EuGH abwarten wollen wird.
Ein Vorlageverfahren zur Klärung der Vereinbarkeit mit der EU-Familienzusammenführungs-Richtlinie aus den Niederlanden ist bereits anhängig. Für die Betroffenen ist aber jeder Tag der unfreiwilligen Trennung ein Tag zu viel. Die diskriminierende Regelung der Sprachkenntnisse als Voraussetzung für den Ehegattennachzug, die unermessliches Leid durch Trennung von tausenden Eheleuten verursacht hat, muss endlich abgeschafft werden. Aktuell Meinung
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Das Bundesinnenministerium möchte dennoch die allgemeinen Sprachtests beibehalten:
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/integration-sprachtests-fuer-tuerken-sollen-bleiben-a-980784.html
Und was ist mit den Nicht-Türken?
Mit krachenden Niederlagen kennt sich die Linke ja aus, insofern dürften Sie ja mit der Bundesregierung mitfühlen können.
Der EuGH hat mit seiner Entscheidung noch viel mehr getan, als den Sprachtest für Türken gekippt. Er hat deutlich gemacht, welchen Stellenwert er dem Assoziationsrecht gibt.
Demnach führt der ARB aus 73 und 80 für eine überdeutlichste Besserstellung der Türken im Ausländerrecht. Sie zahlen nur die Gebühren, die für deutsche Ausweise gefordert werden (28,80 maximal), genießen erheblichst höhere Schutzrechte bei Ausweisungen und Ablehnungen von Aufenthaltstiteln und müssen nun auch keinen Sprachtest mehr machen. All dies hat die Basis im Eugh`schen Verständnis des Assoziationsrechts.
Eine (willkürlich) juristische Ungleichheit gegenüber anderen Drittstaatern besteht zwar nicht, gerade wegen des Assoziationsrechts.
Die Bundesregierung ist in der Zwickmühle. Nun muss die Besserstellung der türkisch-verheirateten gegenüber den deutsch-verheirateten beseitigt werden. Gleichzeitig müssen die Integraionskurse besser überwacht werden, damit auch tatsächlich die erforderlichen Sprachkenntnisse im Inland nachgeholt werden. Es ist aber auch nicht so, als ob sich die Masse der Zuwanderer weigern würde, diesen Kurs zu machen.
Vielleicht geht die Bundesregierung aber auch her, und kündigt das Assoziationsrecht bzw. die entsprechenden Verträge und Abkommen. An der Zeit wäre es für konservative Politiker sicherlich. Denn 1973 bzw. 1980 hatte Niemand das Ziel, einen dauerhaften einfachereren Nachzug für Türken zu gestalten. Ziel war es immer, die wirtschaftliche Betätigung von Türken in Deutschland zu verbessern, nicht aber die Familienzusammenführung zu vereinfachen.
Aber ich kann es mir nicht vorstellen, dass das Abkommen aufgekündigt wird.
Als Praktiker muss ich hier aber auch eine „Lanze für den Sprachtest“ vor der Einreise brechen. Für die überwiegende Anzahl der Antragssteller handelte es sich zwar um eine Verzögerung und finanzielle Belastung, hat aber die Integration entscheidend vorangebracht. Vor 2007 gab es immer noch diejenigen Nachziehenden, die überhaupt oder nur rudimentär Deutsch gelernt haben, auch lange Zeit nach der Einreise.
Dies war mit Einführung der Sprachtests vor Einreise in Kombination mit Integrationskursverpflichtungen nicht mehr der Fall.
Ich bin gespannt, was unsere Regierung nun unternimmt…
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Matthias sagt:
15. Juli 2014 um 07:28
„Als Praktiker muss ich hier aber auch eine “Lanze für den Sprachtest” vor der Einreise brechen. Für die überwiegende Anzahl der Antragssteller handelte es sich zwar um eine Verzögerung und finanzielle Belastung, hat aber die Integration entscheidend vorangebracht. Vor 2007 gab es immer noch diejenigen Nachziehenden, die überhaupt oder nur rudimentär Deutsch gelernt haben, auch lange Zeit nach der Einreise.“
Wie Sie diese Annahme als „Praktiker“ nun auch belegen, ist mir jedoch ein Rätzel. Zuverlässige Studien, welche Ihre Behauptung belegen gibt es nämlich nicht. Von Praktiker kann daher wohl keine Rede sein!
Praktiker ist man also erst, wenn es ausreichende Studien gibt?
Stimmt, dann bin ich kein Praktiker sondern ein Behaupter! Damit komme ich wohl klar….
Aus der Entscheidung des EuGH:
„Zwar könne die Einführung einer neuen Beschränkung zugelassen werden, sofern sie durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt und geeignet sei, die Erreichung des angestrebten legitimen Zieles zu erreichen und nicht über das zu dessen Erreichung Erforderliche hinausgeht, doch halte der EuGH diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall nicht für gegeben. Auch wenn man davon ausgehe, dass die von der deutschen Regierung angeführten Gründe (die Bekämpfung von Zwangsverheiratungen und die Förderung der Integration) zwingende Gründe des Allgemeininteresses darstellen könnten, gehe eine nationale Regelung wie das fragliche Spracherfordernis über das hinaus, was zur Erreichung des verfolgten Ziels erforderlich sei, da der fehlende Nachweis des Erwerbs hinreichender Sprachkenntnisse automatisch zur Ablehnung des Antrages auf Familienzusammenführung führe, ohne dass besondere Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden.“
https://www.juris.de/jportal/portal/page/homerl.psml?nid=jnachr-JUNA140701898cmsuri=%2Fjuris%2Fde%2Fnachrichten%2Fzeigenachricht.jsp
Es ging ja um den konkreten Fall der Frau Dogan, der auch erst noch vom VG Berlin entschieden werden muss.
Der Entscheidungstext des EuGH lässt jedenfalls Raum für eine künftige kreative Gestaltung der Sprachtests.
Niemand streitet ab, dass Kenntnisse der Landessprache wichtig sind für die Heiratsmigration. Die Bundesregierung will mit dem Sprachtest vor der Einreise zur Familienzusammenführung vor allem die angebliche Enklaven-Bildung verhindern, was nicht funktioniert – denn die Enklaven-Bildung hängt mit den Löhnen auf regionalen Arbeitsmärkten und dem Wohnungsmarkt und diskriminierenden Vermieterpraktiken zusammen.
Heiratsmigration ist die notwendige Folge einer rassifizierten Wirtschaftsstruktur, die sich auf dem lokalen Heiratsmarkt abbildet. Die interethnischen Eheschliessungen steigen mit der sozialen Schichtzugehörigkeit, die vom Einkommen, Bildungsabschluß und Vermögensverhältnissen bestimmt ist.
Ich wundere mich, dass die Bundesregierung nicht auf den Gedanken kommt mehr auf e-Learning zu setzen. Selbst die Auftragsvergabe an private Sprachlernschulen sollte die Erfolge verbessern. Sogar kleine Social Venture wie Glovico leisten mehr als die Bundesregierung, wenn es um innovative Sprachlern-Praktiken geht. Ich spreche da gar nicht einmal von den us-amerikanischen Second Life Sprachlernangeboten in einer virtuellen Welt.
An Kostengesichtspunkten kann es nicht liegen, weil digitale Güter sehr günstig in der Produktion und praktisch keine Distributionskosten verursachen.
Es existieren sehr viele quasi-experimentelle Untersuchungsdesigns, um die politische Praktiken der Bundesregierung zu überprüfen. Jedoch werden sie nicht angewandt. Was die Bundesregierung will, ist mit Hilfe des Verwaltungsrechtes das Grundrecht Art. 6
(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.
auszuhebeln.
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