Augsburger Kulturcafé
Neruda und die Hinterzimmer der Interkultur
Verträgt das Kunstideal des Bildungsbürgertums eine interkulturelle Öffnung? Diese Frage löste in Augsburg eine heftige, teils erschreckende Debatte aus. Fikret Yakaboylu beantwortet sie auf seine Weise.
Von Janosch Freuding Donnerstag, 17.07.2014, 8:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 29.06.2015, 15:19 Uhr Lesedauer: 6 Minuten |
Fikret hat viel zu tun. 12 Uhr: Börek machen für die Jugendlichen. 15 Uhr: Bei der Eröffnung des 10. bayerischen Jugendklubtreffens vorbeischauen. 18 Uhr: Die Neruda-Band im Bürgerhof anmoderieren. 21 Uhr: MAX spielt im Neruda. Dazwischen noch der übliche Cafébetrieb, und natürlich: Börek an die hungrigen Jugendlichen verteilen. „Heute werden wir wieder großen Kulturstress erleben“, sagt Fikret, „es wird hart, aber schön.“
Fikret Yakaboylu ist der Gründer des interkulturellen Augsburger Kulturcafés Neruda, das inzwischen auch über die Stadtgrenzen hinaus bekannt ist. Das Café Neruda, benannt nach dem chilenischen Schriftsteller, Widerstandskämpfer und Nobelpreisträger Pablo Neruda, liegt leicht verborgen in einem der lauschigeren Teile Augsburgs. Neruda, das klingt natürlich nach Kampf gegen den Faschismus, nach Exil und Heimatlosigkeit, aber auch nach dem unermüdlichen Streben für eine bessere Heimat. Vor allem aber ist Neruda ein wunderbar melodischer Name, was viel aussagt über die Art, wie hier gearbeitet wird.
Neruda, das ist einer der Orte, die man gemeinhin für naiv hält, von denen man oft nicht glaubt, dass sie existieren.
Fikret ist in vielerlei Hinsicht ein besonderer Mensch. Anfang der 80er floh er vor den politischen Unruhen in der Türkei für einige Zeit nach Deutschland. 1985 kehrte er „als Künstler“ erneut nach Deutschland zurück, hat seit 1990 die deutsche Staatsangehörigkeit, konvertierte sogar zum Katholizismus. Fikret, „Künstler und politischer Mensch“, sucht nach Wegen, die neue, bunte Gesellschaft Deutschlands zu gestalten. Lange war Fikret Einzelkämpfer. Er trat als Kabarettist auf, trug politische Lyrik vor. Irgendwann, vor mehr als drei Jahren, beschloss er, sein Einzelkämpferdasein abzulegen.
„Es war für uns einer der wichtigsten Punkte, dass wir einen Raum schaffen für die in Augsburgs Umgebung lebenden Künstler. Dass sie nicht nur als Gäste ins Café kommen, sondern am Geschehen teilnehmen und etwas produzieren, was auch an anderen Orten gehört wird. Das zweite Ziel war, dass wir den Leuten zeigen wollten: die bunte Gesellschaft, in der wir leben, ist ja wunderschön.“
Nicht alle Menschen würden Fikrets These Weiteres zustimmen. Aus heiterem Himmel entbrannte im Juni 2013 eine Debatte in Augsburg, deren Schärfe und Ausmaß alle Beteiligten überraschte. Ein harscher Artikel in der Pfingstausgabe der Augsburger Allgemeine rief einen ungeahnten Proteststurm hervor, es fielen böse Worte wie „Brunnenvergifter“, gleichzeitig erfuhr der Artikel viel Zuspruch. Streitpunkt war ein Leitfaden des Stadtrats zur „Interkulturellen Öffnung der Augsburger Kultureinrichtungen“, was in der Zeitung überraschend klar abgelehnt wurde. Podiumsdiskussionen wurden veranstaltet, die Intendanz des Theaters musste sich positionieren, Stadträte sich schützend vor ihre Mitarbeiter stellen. Mit offenem Visier wurde in Augsburgs Öffentlichkeit ein Streit ausgetragen, dessen Grenzlinien sonst meist verborgen sind, und so verbissen höchstens in Internetforen ausgefochten werden.
Die Debatte krankte vor allem an der mangelnden Reflexion des Kulturbegriffs, in dem Hochkultur und Interkulturalität recht unverblümt gegenübergestellt wurden. Das Stadttheater Augsburg, als klassische Wahrerin der Hochkultur Augsburgs fand sich ins Zentrum der Debatte gerückt, als plötzlich die These im Raum stand, dass eine stärkere Berücksichtigung migrantischer Themen im Stadttheater auch eine Verwässerung seines Bildungs- und Kunstideals bedeute. „Kunst und Kultur werden in ihrer gesamtgesellschaftlichen Wirkung hoffnungslos überschätzt“, „gesellschaftstherapeutische Vorstellungen“ dürften nicht als Kunst verkauft werden und öffentlich geförderte Kunst dürfte nicht in „breitenwirksames Tralala“ abgleiten – so lautete der Tenor der selbst ernannten Beschützer staatlich subventionierter Kunst. Inzwischen haben sich die Augsburger Gemüter wieder beruhigt, aber bei allem Unverständnis über die Plumpheit der Vorwürfe, die von einem „Generalangriff“ auf die Augsburger Kunst warnen – nach wie vor steht die Frage im Raum: Geht das überhaupt zusammen, Hochkultur und Interkultur?
Fikret geht nach hinten, um nach den Böreks im Ofen zu schauen. Heute ist wieder Gesangs-Stammtisch, immer wieder öffnet sich die Eingangstüre, nach und nach tröpfeln mehrere Menschen zwischen 35 und 55 herein – wie üblich ungefähr eine Stunde nach dem vereinbarten Zeitpunkt. Und während es sich die Gruppe langsam gemütlich macht und beginnt alte Evergreens wie „I am sailing“ und „Über den Wolken“ zu singen, verabschiedet sich eine andere langsam den Gang nach hinten, ins Hinterzimmer. Es ist die Neruda-Band, bestehend aus exzellenten Musikern und Neruda-Stammgästen, die schon wie gestern für ihren Auftritt im Spielberger Hof probt.
Ja, Spaß und Tralala gibt es schon auch im Neruda, aber es gibt auch die große Kunst, alles zusammen in einem Haus. Und wenn im Neruda Künstler von Mexiko bis Argentinien gastieren, wenn interkulturelle Jams, Filmabende, Diskussionsrunden, Lyrik-Lesungen veranstaltet werden, dann stellt diese Frage niemand mehr: Geht das überhaupt zusammen, Hochkultur und Interkultur? Hier ist die gesellschaftstherapeutische Wirkung der Kunst Programm. „Inzwischen werde ich von Künstlern aus verschiedenen Ländern gefragt, ob sie denn wieder einmal im Neruda auftreten können, weil es ihnen das erste Mal so gut gefallen hat“, sagt Fikret. Für diese Künstler wurde im 1. Stock ein Gästezimmer eingerichtet. Eine zentrale Rolle aber spielt im Neruda das Hinterzimmer, das Hinterzimmer der Interkultur. „Wenn wir eines Tages mit Neruda umziehen“, sagt Fikret, „dann brauchen wir auf jeden Fall wieder ein Haus mit Hinterzimmer.“ Aktuell Feuilleton
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