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Wahn & Sinn

Verwaistes Land

Wenn man dieser Tage über Wahn & Sinn nachdenkt, kommt man an der Levante nicht vorbei, nirgendwo stehen sich Wahn und Wahn so erbittert gegenüber, ist Sinnsuche so schwierig.

Von Dienstag, 05.08.2014, 8:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 06.08.2014, 16:38 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Denn spätestens, seit die Regierung Netanjahu beschlossen hat, mal wieder etwas für den globalen Antisemitismus zu tun, indem sie im Ghetto Gaza Kraftwerke, Märkte und Schulen bombardiert, fragen sich nicht ganz zu Unrecht viele, welchen Sinn das eigentlich haben soll. Und kaum irgendwo auf der Welt wird so erbittert darum gestritten, wie in Deutschland, ganz so als ob nichts, das dort passiert, unkommentiert bleiben dürfe.

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Vor allem die große Polarisation in der deutschen Öffentlichkeit, die nur schwarz und weiß sehen will, macht aber keinen Sinn: Weder der Irrglaube, ein Deutscher dürfe keine Kritik an Israel äußern, selbst wenn dort ein Völkermord vorginge, weil es immer doch bloß Antisemitismus sei, ganz so, als sei ein Deutscher generell nicht zu Rationalität im Stande, noch die Behauptung, dieser Völkermord ginge im Grunde bereits vor sich und deshalb müsse man den Irren von Tel Aviv mit seinen Atomwaffen jetzt mit Sanktionen oder gar Krieg überziehen, oft verschleiert mit der Formulierung „Druck ausüben“, um die unschuldigen Palästinenser zu schützen – Israelkritik ist eben doch wie Islamkritik: zu oft tatsächlich bloß von Antipathien getrieben und reichlich unsachlich.

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Schauen wir uns die Lage dennoch ein wenig genauer an: Da stehen zwei radikale, zumindest latent fundamentalistische und vergleichsweise menschenverachtende Lager einander gegenüber und führen einen Krieg, der sich in erster Linie gegen die eigene Bevölkerung richtet – der zwar als Kampf gegen einen ominösen Feind propagiert wird, aber doch den ganzen Wahnsinn dieses Unternehmens kaum verschleiern kann.

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Bisher habe ich mich meist zurückgehalten, zum Thema Stellung zu beziehen, sogar versucht, deutsche Stimmen zum Thema gänzlich zu meiden, weil hier eben auch nur derselbe latent extremistische Blödsinn verzapft wird, den man sonst nur vor Ort hört. Vernünftige Texte, so zeigt die Vergangenheit, liest man zwar in der Ha’Aretz – aber sicher nicht in der Süddeutschen, wo Günther Grass herumgiftet: Deutsche Kritik an Israel mag nicht per se verboten sein, in der Regel ist sie aber verboten blöd.

Und da ist nun also auf der einen Seite die Hamas. Sie führt unter dem Deckmantel eines gerechten Widerstandskampfes gegen die jüdische Okkupation Palästinas insgeheim einen Vernichtungskrieg gegen die muslimische Bevölkerung des Gazastreifens, hat sie doch in ihrem Wahn längst keinen Sinn mehr für die Realität, dafür, dass jede Gewalt Gegengewalt erzeugt, und, dass letztlich sie der Grund dafür ist, dass der Gazastreifen von der Welt abgetrennt wurde, in ihm die Menschen hungern, schreien, sterben, dass Kinder von Raketen zerfetzt werden, dass die Infrastruktur völlig zerstört ist und das kein Mensch dort noch leben kann.

So legitim Widerstand sein könnte gegen die völkerrechtlich zumindest fragwürdige Errichtung eines jüdischen Staates auf arabischem Territorium, so sinnlos ist die Art, wie dieser Widerstand aufrecht erhalten wird. Brutal fällt die Hamas einem ernsten Anliegen in den Rücken, rammt ihm ein Messer in ebendiesen und vergeht sich an dessen Leiche. Allein hieraus ergibt sich die moralische Oberhoheit Israels in diesem Konflikt – nicht aus uralten Märchenbüchern, in welchen ein alter Mann mit Bart dem Volke dieses Land versprochen habe – und Moral ist dessen wichtigstes Kapital ist, immerhin führen beide Seiten im Grunde einen moralischen Kampf.

Andererseits ist es natürlich so, dass je beschissener die Lage der Palästinenser ist, desto mehr Freiwillige die Hamas bekommt. Die Hamas düngt selbst den Boden, auf dem sie wuchert: Es steht zu bezweifeln, dass es der Hamas tatsächlich um mehr geht.

Jener jüdische Staat Israel wiederum steht der Hamas in seiner Abscheulichkeit bedauerlicherweise inzwischen nur noch in wenig nach. Einen Krieg gezielt gegen die Zivilbevölkerung zu führen, zivile Einrichtungen wie Fabriken zu zerstören, mit den angeblich so sauberen und chirurgisch genauen Bomben Schulen anzugreifen, in denen Menschen nichts als eine Zuflucht suchen, und das alles damit zu begründen, dass dies dadurch notwendig sei, dass die Hamas sich halt unter der Zivilbevölkerung verstecke und jeder der getroffen werde, sicher auch ein Hamassympathisant sei – spätestens, nachdem er unschuldig von Israel exekutiert wurde – das ist einem Staat, der sich demokratisch gibt, der sich den Menschenrechten verpflichtet fühlt, unwürdig.

Militärisch kann die Hamas der israelischen Armee nicht beikommen, doch hat Netanjahu das moralische Kapital, das Israel in diesem Krieg noch besitzt, ersteinmal vollends verspielt, die Folgen auf der Weltbühne wären fatal. Dieses Kapital steht zumindest da zur Disposition, wo 2600 toten Palästinensern eine handvoll israelische Traumatisierte gegenüber stehen, die Raketen in der Luft haben pfeifen hören.

Die humanitäre Katastrophe jedenfalls, für die sich Israel verantwortlich zeichnet, sie ist gleichzeitig, und das ist wohl jedem klar, der ideale Nährboden für die Ratten der Hamas. Und so züchtet sich Israel die Terroristen heran, die es zu bekämpfen behauptet, jene Terroristen, die dann wieder Israelis töten, aus purer Verzweiflung, aus Hass oder bloß aufgrund fehlender anderer Perspektiven. Israel mag ein Staat in permanentem Kriegszustand sein, von einer Demokratie muss man notwendigerweise mehr erwarten als von einer terroristischen Organisation.

Es steht allerdings zu befürchten, dass im rechten Teil des israelischen Parteienspektrums dieselbe Motivation hinter dem Handeln steht, die auch die Hamas antreibt, nämlich, dass, je schwieriger eine Einigung gemacht wird, je größer die allgemeine Polarisation wird, desto größer auch der Zuspruch für extremes Handeln wird. So spielen radikale politische Eliten, die sich zu bekämpfen behaupten, in Einigkeit über Bande, auf Kosten derer, für die sie einzutreten behaupten, zu deren Vertretung sie sogar gewählt wurden. Denn auch das ist Teil der Wahrheit: Die Kriegstreiber hüben wie drüben können sich auf ihre demokratischen Mehrheiten verlassen. Von unschuldigen Opfern auf irgendeiner Seite zu sprechen hat da irgendwie auch immer etwas Verlogenes.

Und darum steht am Ende dieser leicht resignativen Momentaufnahme bloß die Frage: Warum konnten die USA und Deutschland eigentlich zusammen in der Ukraine in kürzester Zeit eine politische Opposition von Satelliten aufbauen, die anschließend dazu in der Lage ist, demokratische Wahlen zu gewinnen, während israelische und palästinensische Friedensaktivisten der Opposition allenfalls mal auf Konzertreise durch Deutschland touren dürfen und ansonsten totgeschwiegen werden? Sind es am Ende nicht nur Hamas, Likud und Konsorten, die diesen Krieg mit aller Macht weiterführen wollen, sondern auch die anderen Nationen dieser Welt? Mit Tätern wird Frieden verhandelt, ein israelischer Frieden eo ipso wird jedoch gar nicht erst in Erwägung gezogen – obwohl gerade diese Jugend, die ihrer Eltern beraubt wurde, in erstaunlicher Menge des Krieges überdrüssig ist. So wahnsinnig kann Politik sein. Aktuell Meinung

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  1. Lynx sagt:

    Wieso „der“ Irre von Tel Aviv? Es ist doch nicht nur „Bibi“ Netanyahu, sondern es sind die meisten Mitglieder seiner Regierung und die meisten Knesset-Abgeordneten, wie bspw. Aylet Shaked, die offen zur Tötung aller palästinensischen Mütter aufruft, und dazu ein Großteil – wenn nicht die Mehrheit – der Bevölkerung, der auf Demonstrationen „Tod den Arabern“ ruft und jeden tätlich angreift, der arabisch aussieht oder nicht seiner Meinung ist. Und was noch wahnsinniger an der ganzen Sache ist, daß die deutsche Bundeskanzlerin diese Auswüchse von Irren als „Selbstverteidigung“ sieht und den Schutz ihres rassistisch-faschistoiden Regimes zur „Staatsräson“ erklärt.

  2. Sonny sagt:

    Bemerkenswert ausgewogener Artikel, dem ich im wesentlichen zustimmen kann — ist mir bei diesem Autor bisher selten passiert…

  3. Wiebke sagt:

    Richtig, schließe ich Sonny an.

  4. Joshua sagt:

    So, so, uralte Märchenbücher also… würde mich freuen, sowas über eine ganz bestimmte andere monotheistische Religion aus Ihrem Munde auch zu hören. Trauen Sie sich das? Ansonsten guter Artikel.

  5. aloo masala sagt:

    „Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.”

    Diese Binsenweisheit gilt auch im Nahost-Konflikt. Die Frage, die wir uns als erstes stellen müssen ist, welche langfristige Strategie verfolgt Israel und welche die Hamas.

    Mit Strategie ist dabei nicht gemeint, dass beide Parteien, Hamas als auch Israel nach eigenen Verlautbarungen sich wieder im Selbstverteidigungsmodus befinden. Das ist die übliche Kriegspropaganda, um sich den Rückhalt der Bevölkerung zu sichern und international nicht als Schurke dazustehen, der brutal seine politische Strategie durchsetzt.

    Diese Frage wird auch hier nicht gestellt.

    Auch hier wird das Lied von einer destruktiven und terroristischen Hamas gesungen, die Israel oder sich selbst zerstören möchte. Die Realität ist jedoch eine andere. Führer der Hamas haben wiederholt klargestellt, dass die Hamas einer 2-Staaten Lösung im Einklang mit den internationalen Vereinbarungen von 1967 zustimmen würde. Das ist ein konstruktiver Schritt zum Frieden, der jedoch von Israel und den USA mit allen Mitteln verhindert wird. Die internationalen Vereinbarungen sind inkompatibel mit der langfristigen politischen Strategie Israels.

    Um herauszufinden was die Strategie Israels sein wird, müssen wir uns nur fragen, was passieren wird, wenn die Gaza Offensive vorbei ist? Israel wird seine langfristige politische Strategie weiterverfolgen und zur Normalität zurückkehren.

    Die Normalität für Gaza wird sein, dass die Bevölkerung weiterhin unter menschenunwürdige Bedingungen unter Israels Gnaden wie Hunde dahinvegetieren dürfen. Ein Besuch in Gaza hilft eine klare Vorstellung von der dortigen Situation zu erhalten.

    Die Normalität für die West-Bank wird sein, dass Israel illegale Siedlungen für osteuropäische Einwanderer jüdischen Glaubens errichtet und sich alles unter dem Nagel reißt, was von Wert ist, während die palästinensischen Gebiete in nicht überlebensfähige Kantone zerstückelt werden, die Repressionen und Gewalt ausgesetzt sind. Ein Blick auf die Landkarten von 1948 bis 2014 hilft dabei, eine recht klare Vorstellung davon zu erhalten, wie die Palästinenser ihrer Gebiete verlustig gingen. Ich wüßte kein Volk auf der Erde, das so bereitwillig sein Land an Einwanderer abtritt und wenn es flüchtet ebenso bereitwillig auf sein Rückkehrrecht verzichtet.

    Die zwei Punkte lassen bereits erahnen, was die langfristige Strategie Israels ist.

    Die Strategie der Hamas ist die typische Strategie derjenigen, deren Land von einer Fremdmacht beherrscht wurde, asymmetrisch, terroristisch, brutal. Viel Optionen hat die Hamas nicht, dazu sind sie im Gegensatz zum hochgerüsteten Israels zu schwach.

    Der Grund, dass die Hamas trotz ihrer selbstzerstörerischen Strategie einen großen Rückhalt in der Bevölkerung hat, ist wohl in ihrer desolaten und aussichtslosen Lage begründet. Laut Raji Sourani, ein Anwalt für Menschenrechte, sollen die Menschen aus Gaza immer wieder sagen, dass es besser sei zu sterben, als wieder zur Normalität vor dem Krieg zurückzukehren. Sie wollen das nicht mehr, sie fühlen sich ihrer Würde und ihres Stolzes beraubt. Sie sind die weichen und sehr billigen Ziele.

    Bei dieser Verzweiflung und Resignation der Menschen erscheint es plausibel, dass die Hamas sich einen solchen Krieg mit hohen Verlusten in der eigenen Bevölkerung erlauben kann. Die kurzfristige Strategie der Hamas ist, sich den Rückhalt der Bevölkerung als Widerstandskämpfer zu etablieren.

    Was die Hamas langfristig will, wurde bereits gesagt: zwei Staaten Lösung gemäß der internationalen Vereinbarungen. Warum wird das so gut wie nie erwähnt?

  6. Marianne sagt:

    Also, ich muss schon sagen, von“ Zurückhalten“ kann ich in diesem Beitrag nix entdecken. Ich wuerde sie dem Autor dieser Polemik durchaus empfehlen, die Zurückhaltung. Deutsche Kritik an Israel ist in der Regel „verboten blöd?“ Normalerweise werden solche seltsamen Statements zumindest begründet. Die „Ratten“der Hamas? Aber sonst geht’s noch? Und wie Herr Masala mit Sachargumenten bestens begruendet ausfuehrt, im Gegensatz zum Autor dieser sinnfreien Polemik, der auf sachliche Argumente verzichtet, sondern sich in rhetorisch fragwürdiger (vorsichtig ausgedrückt) Polemik ergeht, fehlt hier jegliche Betrachtung von Ursache, zur Verfügung stehenden Mitteln und Wirkung. In Anlehnung an die seltsame Rhetorik des Autors deshalb mein Fazit: Verboten blöd, dieser Artikel. MIT BEGRÜNDUNG, auf die der Autor dieser nach meinem Empfinden ausgesprochen großkotzig daherkommenden Polemik meint, im Falle Grass und überhaupt, komplett verzichten zu können.