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Endstation Saarbrücken

Flüchtlinge kommen immer häufiger per Zug

Viel Geld bezahlte Isaack den Schleusern. Von Italien aus schlug er sich nach Paris durch und löste dort die Fahrkarte nach Deutschland. Auch der kurdische Syrer Ahmed kam über Frankreich nach Saarbrücken. Sie sind nicht die Einzigen.

Von Marlene Grund Montag, 01.09.2014, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 04.09.2014, 22:05 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Der Grenzpolizist, der den Eritreer Isaack in Saarbrücken aus dem ICE von Paris nach Frankfurt holte, begrüßte ihn mit ‚Welcome to Germany‘. Im Saarländischen Aufnahmelager Lebach ging für den heute 28-jährigen gelernten Versicherungsangestellten eine monatelange Flucht zu Ende: Über den Sudan durch die Wüste, von Libyen im Flüchtlingsboot nach Sizilien. Dort setzte die italienische Küstenwache die Geretteten in einem Hafen ab, ohne Unterkunft, ohne ausreichende Kleidung, ohne Essen. „Italy is no good country“, ist sein Resümee.

1.600 Euro bezahlte Isaack den Schleusern für die Überfahrt in einem maroden Boot. Von Italien aus schlug er sich auf eigene Faust nach Paris durch und löste dort die Fahrkarte nach Deutschland. Auch der kurdische Syrer Ahmed (Name geändert) kam über Frankreich nach Saarbrücken. Der heute 24-Jährige hatte 11.000 Euro gezahlt, um aus dem umkämpften Aleppo zu fliehen. Doch der Schleuser ließ ihn hängen, als der falsche Pass in Madrid aufflog. Sieben Tage saß Ahmet im Gefängnis, bevor er auf abenteuerliche Weise über Frankreich nach Deutschland einreiste.

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Den 18 Jahre alten Afghanen Ali (Name geändert) führte die Flucht über die Türkei, Griechenland und Italien nach Paris. Nachts habe er in einem vom Fußballer Zinedine Zidane unterstützen Camp geschlafen, berichtet er, tagsüber sei er hungrig und frierend durch die Straßen gezogen. Einmal griff ihn die Polizei auf, prüfte seine Papiere und ließ ihn wieder laufen. Wie die anderen wurde er von der deutsch-französischen Fahndungsgruppe aufgegriffen, die in den acht Minuten zwischen dem französischen Forbach und dem Saarbrücker Bahnhof ICE- und TGV-Züge nach illegal Einreisenden durchsucht.

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Die TGV-Linie zwischen Paris und Frankfurt habe sich zu einer Schleuserstrecke entwickelt, klagte die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) und forderte die Bundesregierung auf, sich um das Problem zu kümmern. Im vergangenen Jahr wurden etwas mehr als 600 Flüchtlinge gleich hinter der deutschen Grenze aufgegriffen, im ersten Halbjahr 2014 waren es schon über 1.000.

Dem Regionalverband Saarbrücken macht vor allem der Zustrom minderjähriger Flüchtlinge zu schaffen. Seit Anfang des Jahres wurden 170 Jugendliche zwischen 12 und 17 Jahren in Obhut genommen, fast so viele wie im gesamten Vorjahr. Deutlich mehr junge Flüchtlinge kamen 2013 nur in Großstädten wie Frankfurt, Berlin, Hamburg oder München an.

Durch die wachsende Zahl sind Einzelfalllösungen für die Jugendlichen nicht mehr möglich. 2011 errichtete der Regionalverband in Völklingen eine Unterkunft mit 28 Plätzen, die vom Diakonischen Werk mit zwei weiteren Partnern betrieben wird. Es ist ständig belegt. Eine Außenstelle mit 30 Plätzen wurde in Merzig-Besseringen eröffnet. Ebenso belegt ist die Landesaufnahmestelle Lebach, wo derzeit 1.200 Erwachsene leben. Zuletzt mussten 24 Jugendliche notdürftig in einer Turnhalle in einem saarländischen Dorf untergebracht werden.

Nach Saarbrücken will eigentlich keiner der Flüchtlinge, die in Paris in den ICE steigen. Kaum jemand hat je von der Stadt gehört. Sein Traumziel war eigentlich Schweden, sagt Ali, der wie Ahmet und Isaack das Asylverfahren erfolgreich durchlaufen hat. Mittlerweile mag er sein Leben in der saarländischen Landeshauptstadt, wo er mit drei weiteren Afghanen in einer Jugend-WG lebt. Er lernt deutsch, macht viel Sport und wartet auf den Beginn des Berufsvorbereitungsjahres im September. Deutsche Jugendliche hat er noch nicht kennengelernt.

Die Integration der Flüchtlinge sei nicht von einer Institution zu lösen, „da sind alle gefordert“, sagt Martin Horzella, Referent für Migration beim Diakonischen Werk an der Saar. Er wirbt für einen Blickwechsel: Anstatt als Bedrohung sollten die jungen und hochmotivierten Flüchtlinge als Chance für Deutschland gesehen werden. „Wir staunen immer wieder über den Fleiß und die Wissbegierde der jungen Menschen.“

Ahmet aus Syrien, der Arabisch, Kurdisch und Englisch spricht, hat in Rekordzeit Deutsch gelernt. Sein Aufenthaltsstatus berechtigt ihn zum Bezug von sozialer Unterstützung und einer Integrationsmaßnahme. In seiner Freizeit jobbt der junge Mann mit dem großen Lächeln bei McDonalds. Er will sein Architekturstudium wiederaufnehmen, das er in Syrien abbrechen musste.

Isaack dolmetscht heute ehrenamtlich für seine neu ankommenden Landsleute. Er spricht Englisch, aber nach den Ferien beginnt auch für den schmalen Mann mit den schwarzen Locken der Deutschkurs. Danach will er auf Arbeitssuche gehen. (epd) Gesellschaft Leitartikel

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