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Made in Romania

Fachkräfte kehren Rumänien den Rücken

Die Bundesregierung plant ein Gesetz gegen Sozialmissbrauch. Damit wird die Auffassung lanciert, dass es sich bei den Zugewanderten zum größten Teil um Armutsmigranten handelt, die Deutschland schaden. Ein Blick auf die Fakten belegt aber das Gegenteil.

Von Kenan Engin, Kerstin Siegburg, Julius Darting Dienstag, 26.08.2014, 8:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 04.11.2022, 9:47 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Seit 2014 gilt die Arbeitnehmerfreizügigkeit auch für Rumänen. Mit dem Anstieg der Zugewanderten nach Deutschland verschärften sich die Debatten um die Auswirkungen der neuen Barrierefreiheit. In populistischer Manier und verallgemeinernden Aussagen erlebte das Bild vom rumänischen „Sozialtouristen” ein Revival. So prägte die CSU Anfang des Jahres den Slogan „Wer betrügt, der fliegt“ und warnte vor einer verstärkten Armutseinwanderung aus Rumänien und Bulgarien.

Damit einher gingen leichtfertige Assoziationen und stereotype Auffassungen über unheimliche und kriminelle „Zigeuner”, die bettelnd und stehlend durch deutsche Straßen marodieren. Der Bericht der Arbeitsagentur, dass sich die Zahl der Hartz-IV-Bezieher aus Rumänien und Bulgarien im Vergleich zum April 2013 um 65,9 Prozent erhöht habe, heizte die Debatten wieder an.

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Deshalb fordert die CSU in diesen Tagen, dass „konkrete Schritte zur Bekämpfung des Sozialmissbrauchs und im Bereich Sozialtourismus durch Zuwanderer aus der EU unternommen werden.“ In den nächsten Wochen soll im Kabinett eine entsprechende Gesetzesinitiative gegen Sozialbetrug bei Armutszuwanderung auf den Weg gebracht werden. Damit wird die Auffassung lanciert, dass es sich bei den Zugewanderten zum größten Teil um Armutsmigranten handelt, die Deutschland schaden.

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Vor diesem Hintergrund lassen sich folgenden Fragen stellen: Welche Auswirkungen hat die Abwanderung aus Rumänien? Wer profitiert davon?

Rumänien als Auswanderungsland

Die Hintergründe für die Abwanderung aus Rumänien sind vielfältig: die ländlichen Regionen sind verarmt, die Schere zwischen Armen und Reichen wird immer größer, der Mindestlohn ist mit 1,06€ einer der niedrigsten der EU. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt mit 24,4% über dem EU-Durchschnitt (22%), ein Drittel der arbeitslosen Akademiker ist jünger als 25 Jahre.

Rumänien ist das europäische Land, das mit nur 5,2% gemessen am BIP am wenigsten Geld für Gesundheit ausgibt. Der EU-27-Durchschnitt liegt bei 8.8% (2007). Der Durchschnitts-Bruttoverdienst ist gering und das Sozialsystem erstens nicht gut ausgebaut und zweitens stark durch Korruption geprägt. Diese Bedingungen sind Gründe, die viele im rumänischen Gesundheitssektor Tätigen dazu veranlassen, auszuwandern. Seit 1989 haben ca. 20.000 Krankenschwestern und 30.000 Ärzte das Land verlassen, um in Westeuropa oder Nordamerika zu arbeiten, Tendenz steigend: Seit 2007 beläuft sich die Anzahl der emigrierten Ärzte bereits auf über 10.000.

Auch Deutschland „profitiert“ von der rumänischen Fachkräfteabwanderung. Rumänien führt mit 3.454 Medizinern die Liste der 2014 in Deutschland tätigen ausländischen Ärzte an. Denn im ländlichen Raum in Deutschland wird der Mangel an Ärzten immer größer, sodass in manchen Landesteilen bereits von einer gefährlichen Unterversorgung gesprochen werden kann. Bis 2019 wird von einem Mehrbedarf von 31.000 Ärzten ausgegangen. Diese Lücke kann nur durch Anwerbung ausländischer Ärzte geschlossen werden.

Wer profitiert: Deutschland oder Rumänien?

Laut Migrationsforscher Klaus F. Zimmermann „zählen Rumänen und Bulgaren schon jetzt zu den besonders gut integrierten Ausländergruppen“ in Deutschland. Sie lernen schnell die deutsche Sprache und zeigen Interesse an der deutschen Kultur. Sie erhalten zwar mehr Sozialleistungen als die deutsche Durchschnittsbevölkerung, aber weniger als alle anderen Menschen mit Migrationshintergrund. Für den Vorwurf, rumänische Einwanderer würden allein wegen der Sozialleistungen nach Deutschland („Sozialtourismus“) kommen, gibt es also kaum Anhaltspunkte. Von den 474.283 als arbeitslos gemeldeten Ausländern in Deutschland, sind nur 1,2 Prozent (5.648) rumänische Staatsbürger (Juli 2012). Gemessen an einer Gesamtzahl von über 2,8 Millionen Arbeitslosen entspricht das einer Quote 0,2 Prozent.

Dennoch nimmt die CSU die neue Arbeitnehmerfreizügigkeit der Rumänen und Bulgaren als Anlass, die Zuwanderung aus EU-Ländern weiter einzuschränken: So sollen Eltern, deren Kinder im Ausland geblieben sind, deutlich weniger Kindergeld bekommen. Außerdem ist ein Leistungsausschluss für die ersten drei Monate Aufenthalt in Deutschland geplant und auch zugewanderte Senioren sollen von der Grundsicherung im Alter ausgeschlossen werden. Positive Aspekte der Migration werden in dieser Debatte außer Acht gelassen: Denn die Zuwanderung aus Rumänien trägt nicht nur zur Lösung des Problems „Fachkräftemangel“ in der BRD bei, sondern füllt auch die öffentlichen Haushalte mit zusätzlichen Beiträgen. So jedenfalls der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Prof. Micheal Hüther: “Zuwanderung erhöht die Anzahl der Beitragszahler und hilft so mittelfristig dabei, die Finanzen der Rentenversicherung zu stabilisieren.“ Überdurchschnittlich viele Migranten sind sozialversicherungspflichtig beschäftigt (42% im Vergleich zu 35% der in Deutschland geborenen Menschen). Im 1. Halbjahr 2012 waren 65.520 Rumänen in Deutschland sozialversicherungspflichtig beschäftigt, was einem Anteil von 3% an allen sozialversicherungspflichtigen Ausländern in Deutschland entspricht.

Verlierer der Abwanderung: Rumänien?

Obwohl die rumänische Wirtschaft 2013 einen Aufschwung des BIP von 3,5% verzeichnen konnte, ist die kollektive Erfahrung der Emigration fest im Bewusstsein der rumänischen Bevölkerung verankert, sodass trotz des inländischen Aufschwungs weiter hochausgebildete junge Menschen auswandern. Dieser „brain drain” wirkt sich negativ auf die Entwicklung der rumänischen Wirtschaft aus. So werden auf Grund der Migration mittel- und langfristige schwerwiegende Arbeitsmarktprobleme vorausgesagt. Der Staat investiert in seine Bevölkerung und bildet Fachkräften aus, hat aber keinen Nutzen davon, da diese dann auswandern und ihrem Land nichts an erworbenen Leistungen und Kenntnissen zurückgeben.

Dagegen profitiert Rumänien aber auch von der Auswanderung durch Rücküberweisungen aus dem Ausland. Der Großteil der im Ausland verdienten Geldsummen fließt zu den in Rumänien gebliebenen Familien zurück. Nach einer Studie der Weltbank überwies die rumänische Diaspora 2013 eine Summe von 3,6 Milliarden US-Dollar zurück in ihr Heimatland. Die damit wachsende Ungleichheit zwischen den Rumänen mit und ohne Verbindungen zu Diasporen hat allerdings zur Folge, dass sich Streitigkeiten und Sozialneid entwickeln und die Spanne zwischen Arm und Reich immer größer wird.

Vor allem aber sind Kinder betroffen, da mittlerweile nicht nur der Vater oder die Mutter, sondern immer häufiger beide Elternteile im Ausland arbeiten. Deshalb werden sie in die Obhut von Verwandten und Bekannten oder sogar ins Kinderheim gegeben. Die Anzahl der sogenannten „EU-Waisen“ beläuft sich inzwischen auf ca. 350.000 Kinder, 60.000 gelten als gefährdet und viele bleiben traumatisiert zurück.

Fazit

Es soll nicht in Abrede gestellt werden, dass es Brennpunkte in einzelnen Städten wie Mannheim gibt. Diese Problembezirke sind in den Medien allerdings überrepräsentiert; die Wahrnehmung über rumänischer Einwanderer ist verzerrt und entspricht nicht der Faktenlage. Das Bild des „rumänischen Sozialtouristen“ entspricht nicht der Realität. Aktuell Wirtschaft

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  1. Han Yen sagt:

    So einfach ist es nicht. Ich finde es sehr problematisch, wenn MiGAZIN deutschen Migrationsforschern zuviel Platz anzubieten. Für die Besteuerung des Brain Drain gibt es die Bhagwati Tax auf hochqualifizierte Migration. Der Einwanderungsstaat ist dabei zuständig die Steuer für den Auswanderungsstaat einzuziehen.

    Oder besser man macht es gleich wie die Kirche mitt ihrer Kirchensteuer. Jeder französische Katholik ist in der BRD kirchensteuerpflichtig. Da kann es nicht so schwer sein, dass für einen Auswanderungsstaat zu tun.

    Der Hinweis auf die Rücküberweisungen ist zwar richtig, aber er unterschlägt etwas sehr Wesentliches. Die Rücküberweisungen sind nämlich nur ein Teil des Rückflußes in die Auswanderungsstaaten. Hinzu kommen vermehrter Handel, Tourismus und Know How Flüße.

    Im Augenblick gibt es einen hegemonialen Triple Win Diskurs um die Rücküberweisungen, weil die Geberländer auf die Idee gekommen sind, die Entwicklungshilfe auf die privaten transnationalen Haushalte abzuwälzen.

    Das hat sehr viel mit der hegemonialen Kapitalfraktion der Finanzinstitutionen zu tun. Man muss nämlich wissen, dass die meisten Staaten kein Rating oder ein zu schlechtes Rating haben, um Kredit auf den internationalen Kapitalmärkten zu bekommen. Die Finanzinstitutionen hatten da wie immer eine glänzende Idee mit Securization:

    Auch wenn man nicht kreditfähig ist kann ein Auswanderungsstaat oder eine subnationale Körperschaft zu AAA Bedingungen Kredit erhalten. Dabei werden zukünftige Zahlungsströme aus Kreditkarten-Forderungen, Exportforderungen aus Handel, Tourismus, Öl und Gas, Telefonrechnungen und eben auch migrantische Rücküberweisungen zu einem Finanzprodukt vermixt und über Offshore Standorte verkauft. Das funktioniert, weil diese Zahlungsströme unterschiedlich sicher sind und eine Finanzinstitution Kreditsicherheiten hinzu mixt. Das ökonomische Spiel nennt sich Diversified Payment Rights.

    Ein Nebenzweig dieses Trends zur Financialization der Migration wird von der Mikrokreditindustrie betrieben. Rücküberweisungen erreichen ein enormes monetäres Volumen. Das weckt Begehrlichkeiten bei der Mikrokreditindustrie sich als Mittelsmann dazwischen zu setzen, und diese intrafamiliären Transfer in „produktive“ Investitionen zu lenken. Flankiert wird das in den mediteranen EU Staaten Spanien, Frankreich und Italien mit einem Co-Development Diskurs, bei der die Migranten von unten Entwicklungshilfe für die Auswanderungsregionen machen sollen. Frankreich bietet z.B. Steuernachlässe auf Sparerträge an, falls sie für Gründungsprojekte im Auswanderungsland verausgabt werden.

    Diese fixe Idee Rücküberweisungen durch die Kanalisierung in Mikrokredite produktiv zu machen ist allerdings ein Risiko für lokale Wirtschaften, weil Überschuldungen zu erwarten sind – und es belegt eine Wahrnehmungsverzerrung bei den Migrationsforschern aus den USA/EU.

    Rücküberweisungen sind zusätzliche Nachfrage, die zusätzliche Einkommen entlang der Wertschöpfungskette generiert und bei Nicht-Migranten im Auswanderungsland Guthaben auf den Bankkonto schaufelt. Ein funktionierendes Banksystem wird dieses Guthaben an der örse anlegen und damit transnationale Konzerne kapitalisieren. Konsum mit Rücküberweisungen sind niemals unproduktiv. Was stimmt ist, dass sie allein gelassen keine Rendite für Mikrokreditfonds aus den USA/EU schaffen können.

    Ebenso unterschlägt der Triple Win Mantra Migration ist gut für den Migranten, den Einwanderungsstaat und den Auswanderungsstaat für welche Partei die Rendite denn am höchsten ist. Für mich sieht es so aus, als ob die modernen Migranten von einer Dreier-Koalition aus Einwanderungsstaat, Auswanderungsstaat und Finanzinstitutionen in Verwertungsketten eingebaut werden, die für die Quelle des Profits die lebendige Arbeit des Migranten nur Brosamen abfallen.