Theater aus Marokko
Hadda betet zu Allah
Am Ende August gastierte die marokkanische Theaterkompanie Dabateatr mit dem Theaterstück Hadda im Heimathafen Neukölln in Berlin.
Von Delia Friess Montag, 22.09.2014, 8:20 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 06.08.2015, 14:32 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Vor zwei Jahren lernten sich die deutsche Theatermacherin Lydia Ziemke und der marokkanische Regisseur Jaouad Essounani in England kennen. Beide begeisterten sich für die Arbeit des jeweils Anderen. Ziemke hat sich bereits durch die Inszenierung der Gaza-Monologe an der Berliner Schaubühne und als Regisseurin beim ersten internationalen Jugendtheaterfestival in Palästina einen Namen gemacht. 2009 gründete sie die Compagnie suite42, die sich immer wieder mit Kriegs- und Migrationsthemen auseinandersetzt.
Zweimal reiste die suite42 bereits nach Rabat und Sefrou, um die Theaterstücke Hassan Leklichée und Hadda aufzuführen – beide Stücke stammen aus der Feder von Essounani. Nun war das Dabateatr in Berlin zu Gast und zeigte ebenfalls das Stück Hadda. Regie führte der Autor selbst. Das Dabateatr gehört zu den strukturiertesten und innovativsten Theatergruppen des Landes. Ihre Arbeit wird auch im vergleichsweise moderaten Marokko unter der Führung von König Mohammed VI kritisch beäugt. Dennoch sei das Haus immer voll, die Menschen seien begeistert von den Aufführungen, berichtet Ziemke.
In Berlin wurde Hadda auf Arabisch mit deutschen Übertiteln gezeigt. Das Stück, lediglich mit einer Schauspielerin besetzt, zeigt verschiedene Lebensrealitäten von Frauen in Marokko. Geht es in Hadda um ein Einzelschicksal oder repräsentiert diese vielschichtige Figur vielleicht die Vielzahl an Möglichkeiten, wie ein Frauenleben in Marokko verlaufen kann? Mal ist Hadda eine Jungfrau, die verführt wird, mal eine Prostituierte, und schließlich auch Ehefrau. Sie verliebt sich in einen Marxisten und in einen sogenannten Islamisten. Sie ist, wie 30 Prozent der marokkanischen Bevölkerung, Analphabetin und kann, anders als die marokkanische Elite, keine Schule besuchen.
Hadda betet zu Allah, der wie ein Wächter oder doch als Hüter von Moral über ihr schwebt – auf der Bühne in Form einer Lichterketteninstallation. Hadda sei eine Frau, die Erfahrungen mit Gewalt im Namen der Religion machen musste, so Ziemke über die Figur. Und doch bleibt Hadda ihrem Glauben treu. Das Stück thematisiert den Vorwurf vieler Muslime, dass der Islam in Europa einen zu Unrecht schlechten Ruf habe, aber auch, dass Religionen zu oft für Gewalttaten missbraucht werden.
In der Rolle der Hadda ist die Schauspielerin Meryem Zaimi zu sehen. Sie spielte bereits in dem erfolgreichen Film Femmes en miroirs von Saâd Chraibi mit. Auch Zaimi ist es zu verdanken, dass diese konsequente Inszenierung, die mit wenig Requisiten und Bühnenbildwechseln auskommt, nicht langatmig wird. Die Schauspielerin trägt das Stück in all seinen Facetten – dabei begeistert ihre Intensität beim Spielen ebenso wie die Kostüme und die Musik. Da ist zum Beispiel das Lied „Rita“ des libanesischen Musikers Marcel Khalife, das die Emotionalität des Stückes betont.
Die der Aufführung vorangegangene Theaterworkshoppräsentation zeigt Improvisationen und Szenen mit deutschen, französischen und marokkanischen SchauspielerInnen. Der Workshop sei auch eine Suche nach neuen Theaterformen, denn aus den Improvisationen entstünden neue Stücke. Die gemeinsame Arbeit sei zwar mühsamer, aber bereichernd: Verschiedene Kulturen, drei Sprachen. Ein Übersetzer unterstützt die SchauspielerInnen, die nach eigenen Angaben auch viel mit Körpersprache arbeiten und so ihre Körper miteinander sprechen lassen.
Die Zusammenarbeit der Künstler Ziemke und Essounani macht nicht zuletzt deutlich, wie interkulturelles Theater und der Austausch von verschiedenen Sprachen, Kulturen und Referenzsystemen auf der Bühne und in der Probenarbeit funktionieren können. Lydia Ziemke plant bereits das nächste Projekt: Im Oktober soll eine libanesische Theatergruppe in Berlin gastieren. Aktuell Feuilleton
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Ich habe das Stück letztes Jahr erleben dürfen. Konzeptionell ist es eine recht interessante Geschichte. In der Umsetzung der Dramatologievorstellung erhielt der „Islamist“, der die Hauptfigur „Hadda“ verführte, eine überdimensionalisierte Gewichtung der Handlungsabfolge, von der sich die damalige abschließende Diskussion nicht lösen konnte. Das ist schade, weil die Figur des Islamist (neben einem Marxisten und einem Gutsherrn) ja nur eine von vielen war. Im Fokus stand aber die Hauptprotagonistin Hadda.
Die Diskussion bei der letzten Vorstellung 2013 entrückte sich von diesem Fokus und entgleitete in eine allgemein gesellschaftliche islamkritische Debatte. Das wurde meines Erachtens nach dem Stück nicht gerecht, und ich hoffe sehr, dass das dieses Jahr nicht wieder passiert.