IS-Anhänger Pass entziehen?
Ein paar ketzerische Gedanken zur Ausbürgerung
Ausbürgerung. Es gibt wenig Worte, die – insbesondere in Deutschland – schauderhaftere historische Assoziationen wecken als dieses. Dass in Deutschland eines Tages wieder darüber diskutiert werden könnte, bestimmte Deutsche aus politischen Gründen zu Ausländern zu machen – das schien bis vor kurzem den meisten unvorstellbar.
Von Maximilian Steinbeis Mittwoch, 24.09.2014, 8:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 01.12.2015, 12:34 Uhr Lesedauer: 6 Minuten |
Genauso unvorstellbar wie der Bürgerkrieg in Syrien und Irak, der Vormarsch der ISIS, die Enthauptung von James Foley und der Gedanke, dass sein Mörder womöglich eines Tages in Heathrow landen, seinen britischen Pass vorlegen und sagen könnte: Hallo, hier bin ich wieder.
Dabei liegt die Idee, den Entzug der Staatsbürgerschaft als sicherheitspolitisches Instrument einzusetzen, global schon seit längerem im Trend: Frankreich hat seit Mitte der 90er Jahre die Möglichkeiten, eingebürgerte Terroristen auszubürgern, schrittweise ausgeweitet. Kanada hat gerade ein Gesetz erlassen, wonach die Regierung verurteilten Terroristen mit Doppel-Pass die Staatsbürgerschaft entziehen kann. In Österreich beispielsweise ist der Entzug der Staatsangehörigkeit für heimkehrende Syrien-Kämpfer erklärtes Ziel der Regierungspartei ÖVP. Ganz vorne marschiert das Vereinigte Königreich: Dort kann schon der Verdacht, Terrorist zu sein, für den Entzug der Staatsbürgerschaft ausreichen. Bisher galt das nur bei Briten, die noch einen anderen Pass haben. Seit Mai ist das auch bei eingebürgerten Briten möglich, wenn diese dadurch staatenlos werden.
Mein spontaner Impuls als guter Bleeding-Heart-Liberaler wäre, das nach Kräften anzuprangern. Aber dann kommen mir ein paar ketzerische Gedanken.
“The total destruction of the individual’s status in organized society”
Eine der eindrucksvollsten Texte über den Schrecken der Ausbürgerung ist das Urteil Trop v. Dulles des US Supreme Court aus dem Jahr 1958. In dem Fall ging es um einen armen Tropf, der 1944 als GI in Marokko sich unerlaubt aus der Kaserne gestohlen und daraufhin wegen Desertion verurteilt worden war. Deserteuren in Kriegszeiten drohte nach einem 1940 erlassenen Gesetz der Entzug der Staatsangehörigkeit. Das, so der Supreme Court, sei aber als “grausame und ungewöhnliche” Bestrafung von der amerikanischen Verfassung verboten.
Ausbürgerung, so Chief Justice Earl Warren, sei nichts anderes als
the total destruction of the individual’s status in organized society. It is a form of punishment more primitive than torture, for it destroys for the individual the political existence that was centuries in the development.
Wer so bestraft wird, der wird zu einem Nichts, ausgeliefert der Gnade der Regierung des Landes, in dem er sich gerade aufhält. Er werde einem Leben in beständiger Furcht und Not unterworfen, bedroht von Diskriminierung, behördlicher Gängelung und dem Damoklesschwert, jederzeit abgeschoben werden zu können – kurz, so Warren mit folgendem (nicht gekennzeichneten, ts ts…) Hannah-Arendt-Zitat:
In short, the expatriate has lost the right to have rights.
Mitte des 20. Jahrhunderts waren diese Formulierungen eine vollkommen angemessene Beschreibung dessen, was zwischen 1917 und 1945 Millionen von Russen, Armeniern, europäischen Juden und anderen Opfern von Vertreibung und Genozid am eigenen Leib widerfahren war.
Funktionalität, nicht Identität
Aber heute?
Ist mein “status in organized society” tatsächlich immer noch derart total von meiner Staatsangehörigkeit abhängig? Bin ich tatsächlich ein Nichts, ein für Staat und Recht Unsichtbarer, wenn ich sie mir wegdenke?
Ist, sagen wir, eine Bürgerin von Zimbabwe oder Tadjikistans außerhalb ihres jeweiligen Staates so viel schlechter vor Diskriminierung, Gängelung und Schlimmerem geschützt als innerhalb? Und hat sie umgekehrt tatsächlich nennenswert was davon, dass Zimbabwe bzw. Tadjikistan ihr im Ausland konsularischen Schutz und Beistand schulden?
Ist, sagen wir, ein frisch gebackener Bürger von Malta/Zypern/Bulgarien, der seine Million auf den Tisch gelegt hat, um mit russischem/arabischem/chinesischem Akzent dem Immigration Officer in London/Paris/Berlin “Civis Europaeus sum!” entgegenrufen zu können, derart in seiner Existenz vernichtet, wenn eine künftige Regierung in Malta/Zypern/Bulgarien ihm seinen EU-Pass wieder wegnimmt? Oder ein frisch gebackener Ungar in der Slowakei, dem Viktor Orbán die Staatsbürgerschaft zugesteckt hat, damit er ihn wählen kann, wenn die Sozialisten im (unwahrscheinlichen) Fall ihrer Rückkehr an die Macht mit seinem Pass dasselbe tun? Oder ein frisch gebackener Italiener mit Wohnsitz in Buenos Aires und aus Kalabrien ausgewandertem Urgroßvater, wenn Italien es sich eines Tages anders überlegt?
Ich will weder zynisch werden noch den Wert meiner deutschen – und mehr noch: meiner Unionsbürgerschaft – kleinreden. Ich wäre tief unglücklich, wenn ich Wahlen hier nur noch als Außenseiter verfolgen könnte. Wenn ich mich, nur weil ich gern hier in Berlin leben will, mit irgendwelchen Behörden herumplagen müsste oder gar von Abschiebung bedroht wäre. Wenn ich am Flughafen, statt am EU-Schalter durchgewunken zu werden, jedesmal ins glasige Auge eines Immigrationsbeamten schauen müsste.
Mein Punkt ist folgender: Meine Staatsbürgerschaft ist für mich keine Frage der Identität, sondern eine der Funktionalität. Wichtig ist mir an meinem Pass, dass ich mit ihm frei reisen kann, nicht, dass er mich als Deutscher ausweist. Wichtig ist mir an meinem Wahlschein, dass ich in der Polity, in der ich lebe, meine Stimme abgeben kann; würde ich in Reykjavik leben und nicht in Berlin, dann wäre ich lieber isländischer Staatsbürger (und würde dabei natürlich ein Deutscher unter Isländern bleiben). Aktuell Meinung
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Werter Autor, über die Definition Ihrer Staatsbürgerschaft enthalte ich mich jeden Kommentars, er würde Ihnen nicht gefallen, […]. Aber die Tatsache, dass im Zusammenhang mit ISIS-Rückkehrern nach Deutschland von Entlassung aus deren Staatsbürgerschaft gesprochen wird, nötigt mich dann doch zu einer Bemerkung: seit wann droht man Mördern mit Entzug der Staatsbürgerschaft, um sie los zu werden oder gar nicht erst wieder ins Land zu lassen? Ist ein deutscher Mörder schon mal per Gericht staatenlos geworden. Selbst SS-Männer aus Auschwitz, die lebenslang einsitzen, behalten lebenslang ihre deutsche Staatsangehörigkeit. Was ich sagen will: wer von dort kommt, ist ein potentieller mehrfacher Mörder. Kann man es ihm nachweisen, gut. Kann man es ihm nicht nachweisen, bleibt die Tatsache, dass er Mitglied einer islamischen Terrorbande war, ihre Ziele gut hieß und diese unterstützte. Er ist demzufolge unverzüglich in Haft zu nehmen, vor den Europäischen Gerichtshof zu stellen und als Massenmörder oder als mit Massenmördern Zusammearbeitender zu verurteilen. So wie die Massenmörder vom Kosovo oder Laos. Wenn man stattdessen vorschlägt, ihn ungeschoren deutsch-islamisch umzuerziehen, wie das von der islamischen Lobby vorgeschlagen wurde, sage ich als Berliner: Nachtigall,l ick hör Dir trapsen! In diesem Fall sollte man auch Frau Tschäpe aus der Haft entlassen und in einem evangelisvchen Waisenhaus arbeiten lassen.
Dem ehemaligen Führer der islamischen Bewegung in Syrien, Dr. Issam al-Attar, der heute in der BRD lebt, war damals – irgendwann in den siebziger Jahren – die Wiedereinreise in sein Heimatland Syrien verweigert worden, als er von der Pilgerfahrt nach Mekka zurückkehrte. Die Verweigerung der Wiedereinreise ist ein Instrument repressiver Regime, um politische Gegner loszuwerden, anstatt sich auf freiheitlich-demokratische und rechtsstaatliche Weise mit ihnen auseinanderzusetzen. Und nun denken bundesdeutsche Politiker ernsthaft daran, ihren Staat auf dieses Niveau herabzusetzen!
Man kann es einem Rückkehrer aus Syrien bei der Grenzkontrolle nicht ansehen, ob er es bereut hat, sich einer terroristischen Vereinigung anzuschließen und nun als Aussteiger in seiner Heimat ein neues Leben anfangen möchte, oder ob er Terrorist geblieben ist und in seiner Heimat Anschläge plant. Das stellt sich erst heraus, wenn er wieder eingereist ist. Ein demokratischer Rechtsstaat muß das verkraften können, und reuige Aussteiger nur wegen der Gefahr von ein paar möglichen Terroritsten vor der Tür abzuweisen, wäre kontraproduktiv. Wenn jemand ernsthaft und mit Unterstützung anderer einen Anschlag in seiner Heimat plant, wird er auch Mittel und Wege zu einer illegalen Einreise finden.
Warum werden Beate Zschäpe und alle anderen NPD-Mörder ausgebürgert? Ist die Ermordung eines Scharzen weniger schlimm als die mögliche Enthauptung eines Biodeutschen?
In diesen Tagen kam doch dieses Thema auch bei „hart aber fair“ ins Gespräch.
Demnach soll man einem deutschen Staatsbürger die Staatsbürgerschaft gar nicht entziehen können.
Das ginge nur bei Doppelstaatssbürgern.
Also wie soll das bei Konvertierten Deutschen gehen.
Sinnvoller wäre ein Vermerk „Ausreiseverbot“ im Pass.
Wo bleibt denn die Ausbürgerungsforderung bei gewalttätigen Neonazis?
Warum fordert der CDU-Politiker Bosbach da nichts?