Ohne Nachweis
„Ich kann ganz viele Sachen – aber ich weiß nicht, wie ich das nachweisen soll“
Kennen Sie das? Sie haben viel gearbeitet und Erfahrungen gesammelt, können Ihre beruflichen Fähigkeiten aber nicht belegen? So geht es vielen Einwanderern. Das Forschungsprojekt "Diverse" der Karlshochschule setzt genau an diesem Problem an.
Von Tabea Rueß Mittwoch, 01.10.2014, 8:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 01.10.2014, 22:00 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Alex kommt aus Brasilien und lebt seit 18 Monaten in Deutschland. In seiner neuen Heimat fühlt er sich pudelwohl und hat sogar Arbeit gefunden: Er unterrichtet Portugiesisch und Spanisch und arbeitet als Musiker. Sein Leben hier hat sich eigentlich genau so entwickelt, wie er sich das vorgestellt hat – dennoch stößt er immer wieder an die gleichen Grenzen: Ihm fehlen Zeugnisse, um einen sicheren und gut bezahlten Job zu ergattern. Denn obwohl er die Sprachen besser beherrscht als viele andere Lehrer – und obendrein fast akzentfrei Deutsch spricht – hat er nie eine Ausbildung genossen.
„Ich kann ganz viele Sachen – aber ich weiß nicht, wie ich das nachweisen soll“, erzählt er. So ist es ihm oft passiert, dass ein attraktiver Job an jemand anderen ging, der „mit einem Papier“ kam – aber eigentlich schlechter war. Sein Nachteil: „Ich habe alles über Erfahrung gelernt und einfach über Learning by Doing. Wenn ich die Gelegenheit hätte, das zu beweisen, wäre das optimal.“
Genau hier setzt das Forschungsprojekt „Diverse“ der Karlshochschule an. Unter anderem möchte es Nicht-EU-Bürgern die Möglichkeit geben, ihre non-formalen und informellen Kompetenzen anerkennen zu lassen. Unter non-formal fallen z.B. Workshops oder Konferenzen, für die es keine oder nicht qualifizierende Bescheinigungen gibt. Informelle Kompetenzen werden wiederum im Alltag erworben, bei der Arbeit, aber auch in der Freizeit. Das können zum Beispiel Sprachen aber auch berufliche Fachkenntnisse sein. Wer zum Beispiel viel Motorrad fährt, repariert sein Zweirad vielleicht auch selbst – kann dies aber nicht mit Abschlüssen nachweisen.
Diverse möchte deshalb ein Modell für Migranten aus Drittstatten entwickeln, das ihnen die Integration in den europäischen Arbeitsmarkt erleichtert. Sie sollen zudem insgesamt besser an verschiedenen Arbeits- und Lebensbereichen beteiligt werden.
„Für die Arbeitsmarktpartizipation entwerfen wir ein Schema, wie nicht-formale und informelle Kompetenzen sichtbar und messbar gemacht werden können“, erklärt Roman Lietz, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Karlshochschule. Das Ziel ist, die Kompetenzen auf einem Niveau einzustufen, das europaweit vergleichbar ist. Damit können sich Arbeitssuchende dann bewerben und auch die Arbeitgeber profitieren von der besseren Transparenz non-formaler und informeller Kompetenzen ihrer Bewerber. Nebenbei können künftig auch Deutsche oder EU-Bürger mit non- und informellen Kompetenzen das Instrument nutzen.
Das zweite Standbein des Projekts dreht sich um Diversity Management in Unternehmen. „Bisher zielen entsprechende Maßnahmen meist auf Geschlecht und Alter ab, und weniger auf kulturelle Vielfalt oder zum Beispiel auch Mitarbeit von Drittstaatlern“, erläutert Professor Francisco Javier Montiel, Studiengangsleiter für Interkulturelles Management und Kommunikation. Schließlich beschäftigt sich der dritte Forschungsbereich mit dem Thema Ehrenamt und mit der Frage, unter welchen Bedingungen Migranten am aktivsten sind.
In ihren Untersuchungen für das Projekt arbeiten die Karlsruher Forscher zum einen mit regionalen Stakeholdern aus der Arbeitsverwaltung, den Kammern, der Politik und mit lokalen Beratungsstellen und Vereinen zusammen. Gleichzeitig findet eine Praxiserprobung in Form von Workshops mit Drittstaatlern statt. EU-weit sind insgesamt zehn Länder beteiligt; das Projekt wird vom Europäischen Integrationsfonds (EIF) gefördert.
Wenn Diverse erfolgreich in die Politik hineingetragen wird, könnte es auch Menschen wie Alae helfen: Er hat in Marokko eine einjährige Ausbildung zum Informatiker absolviert. Dass diese in Deutschland jedoch nicht anerkannt werden kann, war ihm schnell klar. Er möchte deshalb noch einmal von vorne beginnen mit einer Ausbildung im Sanitärhandwerk – und hat sogar schon einen Ausbildungsplatz gefunden. Seine Berufserfahrung als Informatiker hat bei der Bewerbung aber keine Rolle gespielt – obwohl er damit viel mehr zu bieten hat als ein durchschnittlicher Azubi.
Das gleiche hätte ihm aber in Frankreich passieren können – und auch in Brasilien, wie Alex einwirft: Der Sprachlehrer und Musiker hatte in seinem Heimatland mit ähnlichen Hürden zu kämpfen wie hier. „Auch dort haben mir Nachweise gefehlt“, sagt er. Er setzt deshalb große Hoffnungen in das Projekt. „Genau das habe ich immer gesucht im Leben.“ Aktuell Gesellschaft
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