Zum BAG-Urteil
Integrier‘ dich, aber lass dich nicht blicken
Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden: Ein kirchliches Krankenhaus darf von einer Muslima verlangen, ihr Kopftuch abzunehmen. Für Kopftuch tragende Frauen ist das ein weiterer Rückschritt im Hinblick auf ihre Zugangschancen zum Arbeitsmarkt – Gabriele Boos-Niazy kommentiert.
Von Gabriele Boos-Niazy Donnerstag, 02.10.2014, 8:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 13.03.2016, 11:13 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Das Bundesarbeitsgericht hat mit seinem Urteil vom 24. September 2014 (5 AZR 611/12) nach dem „Das Tragen eines Kopftuchs als Symbol der Zugehörigkeit zum islamischen Glauben und damit als Kundgabe einer abweichenden Religionszugehörigkeit […] regelmäßig mit der arbeitsvertraglichen Verpflichtung einer in einer Einrichtung der Evangelischen Kirche tätigen Arbeitnehmerin zu neutralem Verhalten nicht vereinbar [ist]“ nicht wirklich überrascht. Optimistische Gemüter hatten allenfalls auf eine erneute Auseinandersetzung des BAG damit, welche Arbeitsbereiche in einem Krankenhaus denn nun genau dem Bereich der „Verkündigung“ zuzurechnen sind und welche nicht, gehofft, aber die karge Pressemitteilung des BAG gibt keinen Hinweis darauf, dass diese Frage im Verfahren eine Rolle gespielt hat.
Interessant ist ein Blick auf die Presseschlagzeilen, die die immer offener zutage tretende Spaltung der Gesellschaft spiegeln. Da sind einerseits diejenigen, die an den historisch gewachsenen Strukturen einer einst bikonfessionellen und im Rückblick monokulturell erscheinenden Gesellschaft festhalten und andere ausschließen wollen und andererseits diejenigen, die die grundgesetzlich basierte Notwendigkeit sehen, diese Strukturen zu öffnen, um gleiche Teilhabe zu ermöglichen. Die Bandbreite der Äußerungen reicht von Leserbriefen mit schulterklopfendem Beifall für die „standhafte“ Klinikleitung über die üblichen CSU-Generalsekretärsposten-Belehrungen („Wir leben in einem christlich geprägten Land“) und Landpfarrer, die das Verbot als notwendiges Zeichen „gegen die Türkei“ sehen bis zu doch überraschend zahlreichen Stimmen, die das Urteil als gesamtgesellschaftlich fragwürdig und schädlich beurteilen und darauf hinweisen, dass es eigentlich um etwas ganz anderes geht, nämlich um die grundsätzliche Frage, „[…] wie eine Gesellschaft verfasst sein sollte […].
Diese in der Tat wichtige Diskussion wird derzeit u.a. auf Kosten Kopftuch tragender Frauen ausgetragen, für die das Urteil ein weiterer Rückschritt im Hinblick auf ihre Zugangschancen zum Arbeitsmarkt insgesamt ist, denn solche Verbote tendieren dazu, generalisiert und von anderen Arbeitgebern allzu gerne zum Vorbild genommen zu werden – es sei denn, es gilt eine Lücke zu schließen. Dann werden muslimische Frauen auch schon einmal umworben, wie die Pflegeberufe-Initiative des Sozialministeriums in Rheinland-Pfalz zeigt.
Aber auch für die Kirchen könnte das Urteil weit größere Folgen haben als einen nagenden Zweifel am Willen der praktischen Umsetzung des christlichen Menschenbildes, das sich in pathetischen Worten auf den Webseiten von Einrichtungen in kirchlicher Trägerschaft findet.
Das BAG hat das Verfahren an die Vorinstanz zurück verwiesen, da geprüft werden müsse, „[…] ob die Einrichtung der Beklagten der Evangelischen Kirche institutionell zugeordnet ist.“ Sollte das nicht der Fall sein bzw. wird erst einmal richterlich geklärt, unter welchen Bedingungen überhaupt von einem kirchlichen Träger gesprochen werden kann, könnte das unliebsame Folgen für viele Einrichtungen in kirchlicher Trägerschaft haben.
Einen Tag nach dem Urteil beeilte sich der Diakonie-Vorstand darauf hinzuweisen, dass es definitiv kein Kopftuchverbot für muslimische Mitarbeiterinnen in evangelischen Einrichtungen gebe und die Kölner Krankenhäuser ließen verlauten, sie würden von dem Urteil keinen Gebrauch machen weil sie keinen Regelungsbedarf sehen. Das klingt wie ein Hoffnungsschimmer, ist aber ein unsicherer Boden, auf dem sich kein vertrauensvolles Arbeitsverhältnis aufbauen lässt, denn der nächste Vorstand könnte anderer Meinung sein. Bezeichnend sind auch die Vorstellungen darüber, wo Frauen mit Kopftuch in einer kirchlichen Einrichtung denn arbeiten könnten. Der Diakonie-Vorstand nannte den Buchhaltungsbereich und die Sprecherin des BAG z.B. ein Labor, in dem man „wenig Kontakt zu Menschen habe“.
Solcherlei „Auswege“ sind nicht neu. Kopftuch tragenden Lehrerinnen wurde im Laufe der Gerichtsverfahren vorgeschlagen, statt Kopftuch eine Echthaarperücke zu tragen. Die Lehrerinnen für islamischen Religionsunterricht, die vom Kopftuchverbot ausgenommen sind, sollen (in Niedersachsen) ihr Tuch nur im Klassenraum, nicht im Rest des Gebäudes tragen.
Alle Zeichen deuten darauf hin, dass berufstätige muslimische Frauen nicht öffentlich wahrnehmbar sein sollen – ein Schelm, der daraus schließt, dass dies der Konservierung lieb gewonnener Klischees dient. Allerdings wäre das vielleicht noch die angenehmere Alternative zu dem, was die Psychologieprofessorin Birgit Rommelspacher als symptomatisch für die Phase einer Gesellschaft, in der die Multikulturalität nicht mehr geleugnet werden kann, beschreibt. Bei den Konflikten, die insbesondere dann, wenn Partizipationschancen eingefordert oder sogar schon wahrgenommen werden (wie das bei der Klägerin der Fall war), entstehen, geht es „[…] primär um Verteilungskonflikte in Bezug auf die Teilhabe am Reichtum, auf den Zugang zu Bildung, politischen Einfluss und öffentliche Repräsentanz […]“. 1
Die Kopftuch tragenden Frauen haben sich längst erfolgreich integriert, sonst wären sie nicht da, wo sie heute stehen. Sie haben ihre Bringschuld erbracht und dennoch lassen etliche einflussreiche gesellschaftliche Akteure und Organisationen sie vor verschlossenen Türen stehen oder geleiten sie dem Hinweis auf ein christliches Menschenbild oder Kunden, die man nicht erschrecken will, wieder hinaus. Der Schaden, der damit angerichtet wird, ist mit den schönsten Sonntagsreden von Willkommenskultur und der feierlichen Unterzeichnung von noch so vielen Chartas der Vielfalt nicht wieder gutzumachen.
- Rommelspacher, Birgit: Islamkritik und antimuslimische Positionen am Beispiel von Necla Kelek und Seyran Ates, in: Thorsten Gerald Schneiders (Hrsg.) “Islamfeindlichkeit – Wenn die Grenzen der Kritik verschwimmen“ Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften. S. 433-456.
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