Flüchtlinge in Europa
Keine schnelle Umverteilung
Erst wenn Italien Flüchtlinge nicht mehr weiterziehen lässt in andere EU-Länder, kommt laut Innenminister de Maizière eine Umverteilung in Frage. Dabei ist Italien jetzt schon überfordert, kritisieren Oppositionspolitiker. Derweil schalten Menschenrechtler Notrufnummer für Flüchtlinge.
Montag, 13.10.2014, 8:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 13.10.2014, 20:28 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Nördliche EU-Länder stellen Italien eine Umverteilung von Bootsflüchtlingen in Aussicht – fordern von Rom aber zunächst die Einhaltung europäischen Rechts. „Das ist nicht zuviel verlangt“, sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) am Donnerstag in Luxemburg. Dort hatten sich die 28 europäischen Innenminister versammelt, um über drängende Probleme der europäischen Migrationspolitik zu beraten. In Italien sind in diesem Jahr bereits 120.000 Bootsflüchtlinge angekommen, viele von ihnen aus Krisenländern wie Syrien, Somalia oder Eritrea.
Italien rettet derzeit jeden Monat Tausende Menschen mit Hilfe seiner Marineoperation „Mare Nostrum“ auf offener See. Allerdings wurden viele Flüchtlinge bei der Ankunft an Land nicht registriert, sondern zogen informell in andere EU-Länder weiter. Deren Regierungen – neben Deutschland etwa auch Frankreich und Großbritannien – wollen der Irregularität nun dauerhaft einen Riegel vorschieben. Italien ist nach europäischem Recht verpflichtet, die Namen und Fingerabdrücke der Migranten zu speichern. Und nicht nur das: Die sogenannte Dublin-Verordnung der EU sieht vor, dass das Ersteinreiseland den Schutzsuchenden ein gründliches und faires Asylverfahren bietet.
„Abwehr“ ersetzt „Rettung“
Italien soll diesen Pflichten – ebenso wie andere Außengrenzländer – nun nachkommen. Sollte sich anschließend herausstellen, dass ein Land stark überfordert sei, sei eine zeitlich befristete Umverteilung der Flüchtlinge auf Basis freiwilliger Länderquoten möglich, unterstrich de Maizière. Die Bundesregierung baut darauf, dass es nicht Deutschland ist, das in einem solchen Fall als erstes gefragt wäre. Denn die deutschen Asylbewerberzahlen liegen, gemessen an der Bevölkerungsgröße, knapp über EU-Durchschnitt. Etliche andere Länder – insbesondere östliche Staaten – nehmen derzeit fast gar keine Flüchtlinge auf.
Indessen ist im Moment gar nicht klar, wie viele Flüchtlinge in den nächsten Monaten überhaupt in Italien ankommen werden. Denn das Land plant, die Seerettungs-Aktivitäten im Rahmen von „Mare Nostrum“ aus Kostengründen einzustellen. Der Einsatz soll durch eine gesamteuropäische Operation namens „Triton“ ersetzt werden. Diese allerdings dürfte kleiner ausfallen und stärker als „Mare Nostrum“ auf die Abwehr ausgerichtet sein.
Notruftelefon für Flüchtlinge
Derweil haben Menschenrechtsgruppen aus mehreren Ländern am Freitag ein internationales Notruftelefon für Bootsflüchtlinge im Mittelmeer gestartet. Unter der Nummer 00334/86517161 sollen in Seenot geratene Flüchtlinge Notrufe absetzen können, wie das Netzwerk „Watch the med“ in Berlin mitteilte. Das Telefon soll von beiden Seiten des Mittelmeers von Aktivisten unterstützt werden und rund um die Uhr besetzt sein. Dafür stehe ein vielsprachiges Team in Bereitschaft, hieß es. Eigene Rettungsaktionen könne das Projekt allerdings nicht ausführen. „Aber es wird Alarm schlagen, wenn solche Operationen verzögert oder gar verweigert werden“, betonte „Watch the med“.
Das von den Menschenrechtsaktivisten organisierte Notruf-Telefon ist eine Reaktion auf die geplante Einstellung von „Mare Nostrum“. Seit der Flüchtlingskatastrophe vor Lampedusa im Oktober 2013, bei der mehr als 400 Menschen im Mittelmeer ertranken, sollen durch „Mare Nostrum“ in einem Jahr rund hunderttausend Flüchtlinge gerettet worden sein. Menschenrechtler befürchten nun, dass das Massensterben im Mittelmeer dann noch größere Dimensionen annehmen könnte, weil eine Flüchtlingsrettung dann nur noch im küstennahen Bereich und nicht mehr im gesamten Mittelmeer möglich sei. Nach Angaben von „Watch the Med“ sind in diesem Jahr im Mittelmeerraum bereits mehr als 3.000 Menschen auf der Flucht ums Leben gekommen.
Moralische Verpflichtung
Flüchtlingsrechtler und Kirchen fordern die EU eindringlich auf, sich weiterhin auf die Rettung von Menschenleben zu konzentrieren: „Eine Einschränkung von Mare Nostrum ist inakzeptabel. Wir haben eine moralische Verpflichtung“, sagte etwa der Caritas-Generalsekretär Georg Cremer.
Italien verspricht im Moment zumindest, wie von den EU-Partnern gefordert sein Asylsystem auszubauen. Die Regierung treibt nach einem am Donnerstag diskutierten Maßnahmenpapier den „Aufbau eines dreistufigen Aufnahmesystems“ voran. So sind rund 20 Verwaltungszentren vorgesehen, in denen die Fingerabdrücke der Menschen genommen werden sollen. Die 28 Innenminister unterstrichen gemeinsam, dass neben einer Registrierung auch ein intensiverer Kampf gegen Schleusertum und Menschenhandel sowie eine konsequentere Rückführungspolitik nötig seien.
Flüchtlingsfeindliche Politik
Politiker der Sozialdemokraten, Grünen und Linken kritisierten die Ergebnisse des Luxemburger Ministertreffens scharf. Schutzbedürftige müssten legal in die EU kommen und dort Asyl beantragen können, unterstrich die Europaparlamentarierin Birgit Sippel (SPD) in Brüssel. Die europäischen Regierungen „bürden Italien alleine die Verantwortung auf“, sagte die Europaabgeordnete Ska Keller (Grüne). Ziel sei, dass weniger Schutzsuchende nach Deutschland oder Frankreich gelangten.
Die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke von der Linken sprach in Berlin von „einer flüchtlingsfeindlichen Politik, die Menschenleben kostet“. Deutschland solle entsprechend seiner Bevölkerungsgröße und Wirtschaftskraft mehr Verantwortung für Schutzsuchende übernehmen und nicht weniger, verlangte die Grünen-Bundestagsabgeordnete Luise Amtsberg. (epd/mig) Aktuell Politik
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Italien ist nicht überfordert. Italien nimmt nur etwa 20 Prozent der Flüxhtlinge auf, die Deutschland aufnimmt.
Italien ist übrigens kein Entwicklungsland, sondern einer der reichsten Staaten der Erde.