EuGH-Urteil
Deutschland darf arbeitslosen Europäern Hartz IV verwehren
Deutschland muss einer arbeitslosen Rumänin, die in Deutschland nie gearbeitet hat, kein Hartz IV zahlen. Das entschied der Europäische Gerichtshof. Die Bundesregierung zeigt sich zufrieden. Kritik kommt dagegen von den Sozialverbänden.
Von Isabel Guzmán Mittwoch, 12.11.2014, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 17.11.2014, 20:49 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Zuwanderer aus EU-Staaten, die in Deutschland nie gearbeitet haben, können sich auch in Zukunft wenig Hoffnung auf Hartz-IV-Leistungen machen. Deutschland habe das Recht, Bürgern anderer Länder in bestimmten Fällen Sozialleistungen zu verweigern, entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg am Dienstag in einem mit Spannung erwarteten Grundsatzurteil. Die höchsten EU-Richter bestätigten eine zentrale Regelung des deutschen Sozialgesetzbuches. „Nicht erwerbstätige Unionsbürger, die sich allein mit dem Ziel, in den Genuss von Sozialhilfe zu kommen, in einen anderen Mitgliedstaat begeben, können von bestimmten Sozialleistungen ausgeschlossen werden“, heißt es in der Begründung des Gericht (Az: C-333/13).
Diese Regelung greift auch, wenn die Menschen zwar ein Interesse an Arbeit bekunden, aber keine realistischen Aussichten auf einen Job haben. Die Richter hatten über den Fall einer 25-jährigen Frau aus Rumänien zu entscheiden, die mit ihrem Sohn seit 2010 bei ihrer Schwester in Leipzig lebt. Zunächst von der Schwester mit Lebensmitteln versorgt, beantragte die Frau später Hartz IV. Das Jobcenter Leipzig war der Ansicht, dass ihr diese Leistungen nicht zustünden. Der Streit landete vor dem Sozialgericht Leipzig, das den komplizierten Fall zur Klärung nach Luxemburg weiterreichte.
Sozialverbände kritisieren Urteil
Der EuGH bestätigte nun die Auffassung des Jobcenters. Die Frau und ihr Sohn verfügten nicht über ausreichende Existenzmittel und könnten daher „kein Recht auf Aufenthalt in Deutschland nach der Unionsbürgerrichtlinie geltend machen“, führte der EuGH aus. Folglich könnten sie sich auch nicht auf das in dieser Richtlinie verankerte Verbot der Diskriminierung von In- und Ausländern berufen.
Sozialverbände betonen allerdings, dass nur wenige Migranten tatsächlich wegen der Sozialleistungen in andere Länder umziehen. Zuwanderer wollten in aller Regel nicht auf Sozialleistungen angewiesen sein, sagte Maria Loheide, Vorstand Sozialpolitik der Diakonie Deutschland, dem Evangelischen Pressedienst. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit bekamen im Mai 2014 rund 61.200 Rumänen und Bulgaren Hartz IV. Darunter sind viele Menschen, deren Recht auf Unterstützung unbestritten ist: Beispielsweise verloren die Migranten nach einer regulären Berufstätigkeit ihren Job.
Städtetag und Landkreistag begrüßen Urteil
„Eine Überlastung der sozialen Sicherungssysteme, Fälle von Sozialbetrug oder gar von Missbrauch des Freizügigkeitsrechts in Deutschland können in nennenswertem Umfang nicht belegt werden“, unterstrich Loheide. Sie äußerte tiefes Bedauern über das Urteil – Zuwanderer könnten erst nach Arbeit suchen und sich integrieren, wenn ihre Existenz gesichert sei. Das Luxemburger Urteil lasse „zentrale Fragen offen“, sagte die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke von der Fraktion Die Linke.
Zufrieden zeigte sich hingegen der Deutsche Städtetag und der Deutsche Landkreistag. Die Einschränkungen bei der Leistungsvergabe seien sinnvoll, „um die Akzeptanz der Sozialleistungssysteme auch im europäischen Kontext zu sichern“, betonte der Präsident Ulrich Maly. Es bleibe jedoch in jedem Einzelfall dabei, dass die Voraussetzungen für die Leistungsgewährung individuell geprüft würden, erläuterte er.
Bundesregierung zufrieden
Vertreter von Union, SPD und FDP begrüßten die Luxemburger Entscheidung ebenfalls. „Das Urteil verhindert den Missbrauch von Sozialleistungen“, sagte der CDU-Generalsekretär Peter Tauber. Der EuGH bestätige die Rechtsauffassung der Bundesregierung, teilte das SPD-geführte Bundesministerium für Arbeit und Soziales mit. Die Regierung werde nun „die Aussagen des Urteils im Detail sorgfältig prüfen“.
Das dürfte auch nötig sein, wie Staatsministerin Aydan Özoğuz, Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, andeutet „Nicht entschieden hat der EuGH, ob der Ausschluss auch für arbeitssuchende EU-Bürger gelten darf. Das wird er in einem anderen Verfahren entscheiden müssen.“ Derweil forderte der FDP-Europaabgeordnete Alexander Graf Lambsdorff die Bundesregierung auf, ihren jüngsten Gesetzentwurf zum Sozialmissbrauch durch EU-Ausländer zurückzuziehen, da er nicht mehr nötig sei. (epd/mig) Leitartikel Recht
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Die Entscheidung des EuGH ist nachvollziehbar, aber bedauerlich. Es geht inzwischen nicht mehr darum, zu verhindern, dass überhaupt Menschen ohne Aussicht auf eine Arbeit nach Deutschland kommen; sondern das sich in einigen besonders betroffenen Kommunen eine größere Zahl aus diesem Personenkreis bereits hier in Deutschland aufhält.
Dies betrifft nicht nur Einzelpersonen, die sich um eine Arbeit bemühen, sondern auch in zunehmendem Maße Familie mit Kindern. Das diese Menschen Deutschland nicht verlassen werden, ist zumindestens in jenen Kommunen bekannt, die mit den Folgen dieser Europapolitik umzugehen haben. Die Folge ist, dass sich dadurch nach dem Ende des zweiten Weltkrieges eine noch nie dagewesen Armut entwickelt, die weit unter der Grenze liegt, die wir bereits kennen (Hartz IV, Grundsicherung). Die prekären Lebensbedingungen (Wohnen in abbruchreifen Gebäuden, kein Strom, kein Wasser, keine Heizung, kaum Nahrung, Überbelegung von Wohnungen, keine Krankenversicherung und damit einhergehend medizinische Versorgung nur im Notfall (führt inzwischen zu Millionenkosen in einzelnen Kommunen, die nicht gedeckt sind und die die Betroffenen aus eigener Tasche nicht finanzieren können) führen auch zur Entwicklung illegaler Strukturen und zur Aufrechterhaltung von Abhängigkeitsverhältnissen und Menschenhandel. Gesundheitsvorsorge kann nicht geleistet werden, Menschen tragen so auch Erkrankungen mit sich herum, die nicht nur für den Betroffenen, sondern auch für seine Nächsten, und damit auch für Einheimische, eine Gefahr darstellen können.
Besonders traurig: Kinder, die ihre Eltern begleiten und die keinerlei Wahl haben, sind auch die Leittragenden dieser Debatten und Entscheidungen. Sie können nicht regelmäßig zur Schule gehen, sich haben kein Geld für Bildung oder Bücher, für gesellschaftliche Teilhabe, für Schulausflüge, für wittungsgerechte Kleidung, für medizinische Versorgung.
Integration für alle oder Bildung für die Kinder sind unter diesen Umständen nahzu unmöglich. Beratung dieser Zielgruppe gerät schnell an ihre Grenzen, da sie nichts anzubieten hat, dass die bestehenden Schwierigkeiten nachhaltig verbessert oder löst. Es droht die Gefahr einer Parallelgesellschaft der Ärmsten, die keinerlei Anschluss an die Gesellschaft hat, in der sie lebt. Europa zeigt sich zunehmend als eine Idee der Reichen, möglichst unter sich bleiben zu wollen und die Bedürfnisse der ärmeren Europäer, hier insbesonderer von Minderheiten in den Herkunftsstaaten, zu ignorieren.
„Die Menschlichkeit einer Gesellschaft“ – auch die der europäischen – „zeigt sich nicht zuletzt daran, wie sie mit den schwächsten Mitgliedern umgeht. „
@Saadiya Das von ihnen geschilderte Horrorszenario entspricht in keiner Weise der Wirklichkeit. Hartz IVler sind hierzulande sehr, sehr gut versorgt. Gleiches gilt auch für Asylanten. Mir ist noch kein Fall bekannt, bei dem jemand verhungert wäre. Bildung und Bücher sind umsonst, auch die Lehrer, also was wollen Sie eigentlich? Von Verhältnissen wie in den USA sind wir sehr weit entfernt.
@Sigi: Dann leben Sie warscheinlich nicht in einer der besonders betroffenen Kommunen, in denen ein Großteil der Neueingewanderten aus den EU2 Staaten über geringe oder keine Qualifikationen für den deutschen Arbeitsmarkt verfügt und die hier keinerlei Sozialleistungen (Hartz IV / Grundsicherung Sozialamt) erhalten. Wahrscheinlich arbeiten sie beruflich auch nicht mit dieser Gruppe der Zuwanderer, sonst wäre Ihnen nur allzu bewusst, dass mein Statement durchaus einen sehr realistischen Hintergrund hat, der leider traurige Realität mitten in Deutschland ist. Diese Menschen sind, wie ich es hier beschrieben haben, eben nicht gut versorgt und leben unter menschenunwürdigen Lebensumständen hier. Und genau um diese ging es in meiner Beschreibung. Ich habe nicht von Hartz IV Leisungsempfängern oder Asylbewerbern gesprochen, sondern von EU Bürgern aus ärmeren EU Staaten ohne Fachkraftstatus.
Bildung ist nicht umsonst, denn es müssen von den Eltern Grundmaterial angeschafft werden, dass selbst zu zahlen ist. Wer keinerlei Einkommen hat, auch kein Hartz IV, kann sich dass kaum leisten! Die Folge: Die Kinder gehen ohne Material zur Schule oder eben aus Scham oder Angst vor Folgen (Jugendamt wird angerufen) auch gar nicht.
@Saadiya Sie sprechen vermutlich von „Illegalen“. Schulmaterialen sind nicht in allen Ländern kostenpflichtig, beileibe nicht. Wenn Sie nicht von Illegalen sprechen, dann geben Sie ja indirekt zu, dass Niedriglohnempfänger schlechter versorgt sein können als Asylanten oder Hartz IVler …