Realität mal anders
Schwarze Interessenvertretung in Europa
130 Jahre nach der Berliner Kongo-Konferenz veranstaltete die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) das zweite Netzwerktreffen Schwarzer Interessenvertretungen in Berlin. Warum das gerade jetzt so wichtig ist:
Von Sophia Ayissi Nsegue Donnerstag, 13.11.2014, 8:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 13.11.2014, 16:45 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Die Zeitungen berichten erneut von einem Gewaltverbrechen an einem Mitmenschen. Ein 55-jähriger, Schwarzer Mann wird letzte Woche in Limburg zu Tode geprügelt. Dass diese Gewaltakte schockieren, aber kaum mehr überraschen, ist dabei ein Problem, von dem unsere Gesellschaft im großen Stil betroffen ist. Rassistische Hintergründe solcher Taten bleiben von der Justiz gerne unerkannt, während die Täter ins rechtsextreme Spektrum einsortiert und den Opfern kriminelle Verwicklungen zugeschrieben werden. Mit dem Abwinken rassistisch motivierter Gewalt als Einzelfall bleibt der Blick auf den gesellschaftlich und institutionell tief verankerten Rassismus verwehrt.
Racial Profiling, die polizeiliche Kontrolle aufgrund phänotypischer Merkmale wie z.B. der zugeschrieben Hautfarbe, jedoch ohne konkreten Anlass zu Verdacht auf kriminelle Handlungen, ist nur eine dieser Auswüchse institutionellen Rassismus. Dass dieser, angesichts juristischer Entscheidungen und polizeilicher Gewalt, für Individuen überaus ernste Konsequenzen hat, zeigt sich einmal wieder im Fall von Derege Wevelsiep. Die subtilen Formen, nicht annähernd so unübersehbar wie Hooligan-Aufmärsche in Deutschlands Großstädten, erstrecken sich von Politik über Medien bis hin zu Kunst und Literatur. Der diskriminierende Umgang mit Geflüchteten, diskreditierende Debatten um Wortstreichungen in Kinderbüchern und Straßennahmen oder das Pochen auf künstlerische Freiheit gegenüber berechtigten Vorwürfen des Blackfacing auf europäischen Theaterbühnen sprechen hierbei für sich, finden jedoch kaum Gehör.
Verschiedene Schwarze Interessenvertretungen in Europa möchten dem entgegenwirken und Schwarze Menschen als Gruppe mit politischen und sozialen Anliegen sichtbar machen. Die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) veranstaltete zwischen dem 8. und 9. November das zweite Netzwerktreffen Schwarzer Zusammenschlüsse in Berlin, um eine europaweite Strategie zur Umsetzung gemeinsamer Ziele zu entwickeln. Nach der Formulierung eines gemeinsamen Forderungskataloges beim ersten Treffen anlässlich der Europa-Wahlen 2014, stand beim zweiten Treffen die nachhaltige Vernetzung der Initiativen auf der Agenda. Sie sollten sich im Erfahrungsaustausch nicht nur gegenseitig stärken, sondern auch wertvolle Instrumente für politische Arbeit zur Verfügung stellen. Langfristige Ziele sind vor allem die Verbesserung der Situation Schwarzer Menschen, die Sichtbarmachung ihrer Realitäten in Europa und die Bekämpfung von Anti-Schwarzen Rassismus. Vertreter aus über 10 europäischen Ländern brachten dabei grundlegend unterschiedliche, aber auch sehr ähnliche Erfahrungen mit ein.
Die auf der Konferenz erörterten Strategien greifen dabei lokale, nationale und internationale Ebenen auf. Im Vordergrund stand hierbei vor allem die Implementation der Durban Deklaration und des dazugehörigen Aktionsprogrammes, welches 2001 auf der World Conference Against Racism (WCAR) beschlossen wurde. Die politischen Interessenvertretungen konzentrieren sich auf die Durch- und Umsetzung der Forderungen nach Maßnahmen gegen rassistische Diskriminierung und setzen auf die verstärkte Sichtbarkeit der nun verbundenen Initiativen, um eine dementsprechende Gesetzgebung voranzutreiben. Auch die von den Vereinten Nationen ausgerufene International Decade for Poeple of African Descend (IDPAD), beginnend im Jahre 2015, bietet hierfür einen geeigneten Rahmen. Dieser lässt sich für politische Arbeit nutzen, ist aber auch für die lokalen Bewegungen relevant. Mit Aktionsprogrammen, zahlreichen Bildungsmaßnahmen und Initiativen, die das Bewusstsein für die Anliegen Schwarzer Menschen schaffen sollen, bilden sie das Fundament der Bewegung.
Die europaweite Vernetzung spielt, insbesondere bei der Mobilisierung, eine wichtige Rolle. Auch kommendes Wochenende wird sich der Einfluss der Interessenvertretungen zeigen, wenn am 15. November tausende Menschen gegen die Beibehaltung der rassistischen Blackfacing-Tradition des „Zwarte Piet“ in den Niederlanden demonstrieren. Für solche konkreten Aktionen ist der Austausch essenziell: Inspiration und Motivation, demonstrative Geschlossenheit nach außen und Erfahrungsaustausch sind wichtige Bestandteile der Arbeit. Viele Teilnehmende wünschen sich deshalb, dass aus dem bislang lose verbundenen Netzwerk eine fester, europaweiter Verband mit dem Namen European Network for People of African Descend (ENPAD) wird. Diese und weitere Fragen sollen sich mit dem geplanten, dritten Netzwerktreffen im Februar 2015 klären.
Berlin bietet dem Treffen dabei einen geschichtsträchtigen Rahmen. 130 Jahre nach der in Berlin stattfindenden Kongo-Konferenz, in der vornehmlich europäische Kolonialmächte auf Einladung Bismarcks gewaltsam rassistische Strukturen verfestigten, sind diese Strukturen im politischen, ökonomischen und sozialen Kontext noch lange nicht überwunden. Diese bedürfen vor allem in Deutschland noch einen, an höchsten Stellen bislang kaum für nötig befundenen, Prozess der Aufarbeitung.
Trotzdem schauen die Teilnehmenden zuversichtlich der Zukunft entgegen. Die europaweit miteinander verbundenen Schwarzen Initiativen wollen sich nicht mit untragbaren Zuständen abfinden und selbstbestimmt handeln. Schwarze Menschen leben seit Jahrhunderten in Europa, werden aber nach wie vor von der europäischen Identitätsbildung ausgeschlossen. Im Kampf um Sichtbarkeit und Anerkennung steht die Solidarität zwischen den Interessenvertretungen, in all ihrer Diversität, im Vordergrund. Sie bildet das Fundament eines neuen Selbstbewusstsein Schwarzer Menschen in Europa, die sich als Teil dieser Gesellschaft definieren und aktiv die damit verbundenen Rechte einfordern. Aktuell Feuilleton
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