Rezension zum Wochenende
Sebastian Reinfeldts: „Wir für Euch“. Die Wirksamkeit des Rechtspopulismus in Zeiten der Krise
Wie prägen und begründen rechtspopulistische Parteien den politischen Diskurs zur Finanzkrise und die politischen Entscheidungen? Wie verändern sie die Machtverhältnisse und die Demokratie – samt unserer Vorstellungen davon, was Demokratie eigentlich ist? Sebastian Reinfeldts hat sich in seinem Buch mit diesen und anderen Fragen beschäftigt – Michael Lausberg hat's gelesen:
Von Dr. Michael Lausberg Freitag, 21.11.2014, 8:20 Uhr|zuletzt aktualisiert: Samstag, 17.01.2015, 21:59 Uhr Lesedauer: 7 Minuten |
Rechtspopulismus ist eine politische Strömung in verschiedenen europäischen Staaten, die sich ab den späten 1970er Jahren in Westeuropa herausbildete und in den 1990ern auch in den Staaten Osteuropas Fuß fasste. Vertreter dieser Strömung sehen sich im Allgemeinen als Sprachrohr einer schweigenden Mehrheit, deren Interessen die etablierten Parteien ignorieren würden und die gegenüber Migranten oder ethnischen Minderheiten benachteiligt sei. Damit greifen rechtspopulistische Akteure die hegemoniale politische Klasse an, die als korrupt, machtbesessen und abgehoben angesehen wird.
Seit dem Beginn der weltweiten Finanzkrise im Sommer 2007 ist laut Reinfeldt die dazugehörige Debatte von einem permanenten Notstandsdiskurs geprägt. Es wurde der Versuch gestartet, den finanziellen Zusammenbruch des griechischen, spanischen, portugiesischen oder zyprischen Staates durch „Rettungsschirme“ zu verhindern. Dieser Notstandsdiskurs wird von rechtspopulistischen Parteien dazu verwendet, „rassistische Ein- und Ausschließungen und autoritäre Politikmuster“ zu propagieren. Reinfeldt möchte die Wirksamkeit des Rechtspopulismus insbesondere in der BRD und Österreich „auf die Deutungen der Krise, ihre Auswirkungen und Folgen untersuchen – und darüber hinaus Thesen über dessen Wirksamkeit in den Regierungspraktiken“ begründen. (S. 6f.)
Für ihn stehen zwei Fragen im Mittelpunkt seiner Analyse. Erstens beschäftigt er sich damit, wie „diskursive Muster, die rechtspopulistischen Parteien oder Strömungen zugerechnet werden können, den politischen Diskurs zur Finanzkrise und die politischen Entscheidungen prägen und begründen“. Anschließend geht er darauf ein, wie sich dadurch „die Machtverhältnisse innerhalb der Demokratien und ihre Struktur – und unsere Vorstellungen davon, was aus den Demokratien werden könnte“, verändern. (S. 6f)
Dabei vertritt er die These, dass „die gesellschaftliche Hegemonie des Neoliberalismus politisch durch Bündnisse mit rechtspopulistischen oder entsprechenden Strömungen abgesichert wird und dafür rhetorische Bezugnahmen und entsprechende politische Maßnahmen“ (S. 8) entwickelt werden. Im Sinne von Sarrazin wird von homogenen nationalen Kollektiven ausgegangen und dabei eine „kulturell-mentale Überlegenheit“ der nördlichen Länder propagiert: „Politik sei wesentlich ein Kampf ums Überleben der Gemeinschaft, andere Nationen werden als potenziell feindliche Konkurrenten wahrgenommen, die ‚uns‘ bedrohen, deshalb müssten ‚wir‘ stark, fit und vital werden – solche hier resümierten Krisendeutungen sind mit rechtspopulistischen Mustern durchsetzt.“ (S. 8) Den „Pleite-Griechen“ oder „Südländern“ wird vorgeworfen, dass sie für die Krise in Europa verantwortlich wären. (S. 40)
Reinfeldt unterscheidet dabei zwischen rechtspopulistischen Parteien, die sich in Europa in der Opposition befinden und solchen, die Regierungsverantwortung wie in Ungarn besitzen. Die Partei Fidesz verfügt in Ungarn über eine verfassungsändernde Zweidrittel-Mehrheit, die sie im Sinne der geplanten Konstitution eines autokratischen Systems ausnutzt.
Eine Stärke des Buches ist die minuziöse Ausarbeitung der Ziele und Strategien des Rechtspopulismus in Europa. Laut Reinfeldt wollen rechtspopulistische Parteien „die politische und soziale Mitte erobern, politisch infizieren und somit eine autoritäre Denk- und Machart des Staates durchzusetzen, besonders hinsichtlich der demokratischen Verfahren und Prozesse“. (S. 33) Rechtspopulistische Parteien betreiben eine Identitätspolitik, in der eine bedrohte nationale Gemeinschaft konstruiert wird. Die Medien treten als „Verstärker und Verdichter populistischer Muster“ auf, indem sie für die andauernde mediale Wiederholung derselben Argumente und Glaubenssätze, bis sie als akzeptiert angesehen werden und somit Normalität erlangen, verantwortlich sind. (S. 10) Eine weitere Komponente rechtspopulistischer Politik liegt darin, dass immer vor Wahlen öffentlichkeitswirksame Maximalforderungen gestellt werden und im Sinne einer „Catch-all“-Partei alle Wähler mitsamt ihrem politisch-sozialen Hintergrund angesprochen werden. Rechtspopulistische Parteien stehen für eine repressive Law-and-Order-Politik, die Maßnahmen wie Videoüberwachung, Aufstockung von Sicherheitspersonal und mehr Befugnissen für die Polizei beinhaltet. Der Erfolg von rechtspopulistischen Parteien steht und fällt mit einer (männlichen) Führungsfigur .
Laut Reinfeldt wendet sich rechtspopulistische Politik gegen das politische Establishment des jeweiligen Landes: „Es sind Die-da-oben, die uns sowohl schlecht als auch zu Unrecht regierten, denn sie würden die überwiegende Mehrheit ‚des Volkes‘ nur unzureichend repräsentieren und sie gegen ihren Willen beherrschen.“ (S. 51) Außerdem richtet sich die rechtspopulistische Agitation gegen Migranten, nationale Minderheiten und andere Menschen, die ihrem Gesellschaftsdogma widersprechen, wie etwa Homosexuelle. In Österreich agitierte die damals in der Regierungsverantwortung stehende FPÖ gegen die EU-Bürokraten in Brüssel sowie gegen Großkonzerne und verantwortungslose Manager und Spekulanten. Die FPÖ verfolgt das Ziel, sich als die Stimme der angeblich stummen Mehrheit der Bevölkerung zu inszenieren. Mit dem Slogan „Wir für Euch!“, der inzwischen auch von der deutschen Pro-Bewegung übernommen wurde, fuhr die FPÖ beträchtliche Wahlerfolge ein. (S. 54) Im Laufe der Zeit näherten sich etablierte Parteien im Auftreten und in ihrer Programmatik den rechtspopulistischen Parteien an, indem sie Wahlkämpfe sehr stark auf eine Führungsfigur zuschneiden. Ein Beispiel dafür ist der Bundestagswahlkampf in der BRD 2014, wo die CDU ihre Spitzenkandidatin Angela Merkel in den Mittelpunkt stellte und damit auch erfolgreich war. Aktuell Rezension
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