Übrigens
Und sie wandern doch zu
Jedes Land ist durch seine Einwanderer reicher geworden. Das ist eine ewige Wahrheit. 2014 hat sich daran nichts geändert – allem Geschrei zum Trotz. 2015 dreht sich das Rad der Geschichte weiter.
Von Fritz Goergen Mittwoch, 17.12.2014, 8:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 16.04.2015, 13:33 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Als die Grenze zwischen den USA und Mexico noch praktisch unkontrolliert war, kamen so viel Mexikaner nach Norden, wie der US-Arbeitsmarkt aufnahm. Experten haben in heute gängigen Modellrechnungen herausgefunden, dass die gewaltigen Grenzzäune und massiven Kontrolleinsätze keine wirkliche Wirkung entfalten. Ohne diesen Aufwand würden die Einwanderungsströme nicht größer sein, als sie mit den spektakulären Maßnahmen sind. Weil die Zuwanderungszahlen ganz überwiegend vom Arbeitsmarkt lautlos geregelt werden und kaum von lautstarker Politik. Diese dient in erster Linie dem innenpolitischen Streit von Republikanern und Demokraten. Und sie erhöht die Preise im illegalen Geschäft von Schleuserbanden – ganz ähnlich wie im sogenannten Krieg gegen Drogen.
Würde die Politik stattdessen Preise für Arbeitsvisa festsetzen, die in einem angemessenen Verhältnis zu den erwartbaren Einkommen der Zuwanderer stünden, könnten diese ihre Visa mit Krediten bezahlen, die sich in akzeptabler Zeit auch realistisch abtragen ließen. Viele Arbeitgeber in den USA würden nach den Recherchen der Experten dabei mitwirken, weil sie die Fähigkeiten der Jobsuchenden vorher überblicken könnten. Heute bezahlen viele illegale Einwanderer nicht nur viel Schleusergeld, sondern begeben sich auf lange Zeit in inakzeptable Abhängigkeiten mit fließenden Grenzen hin zur organisierten Kriminalität.
Der rationale Umgang mit dem ewigen Weltvorgang Migration würde viele heutige Probleme bald zum Verschwinden bringen. Aber Politik geht es überall weit mehr um die Emotionen derer, die schon länger da sind, als um die Chancen jener, die erst kommen wollen: für sich selbst und ihren Beitrag zum Wohlergehen von Ansässigen UND Ankömmlingen – wirtschaftlich, kulturell und sozial. Trotz politischer Irrationalität, oder besser gerade deshalb, muss mit Vernunft gegen Gefühle argumentiert werden. Denn die Zurückweisung von Migranten ist weltweit unverändert, in Europa neuerdings wieder verstärkt zu beobachten. Nur die Begründungen wechseln.
In den USA zählen heute Asiaten zu den erfolgreichsten und akzeptiertesten Einwanderern. Im 19. Jahrhundert war der typische Amerikaner davon überzeugt, dass sich Chinesen nie integrieren könnten, weil sie Opium liebten. Polnische Einwanderer in Frankreich mussten eigene katholische Priester mitbringen, weil die ebenfalls römisch-katholischen französischen Kleriker keine Messen für diese Fremdlinge lesen wollten. Japan und Korea begründen ihre Abschottung gegen Zuwanderer auch heute ethnisch und zivilisatorisch.
Dabei müsste allen halbwegs gebildeten und informierten Zeitgenossen einleuchten: Keine wie auch immer gearteten Grenzkontrollen im Mittelmeer und am Rio Grande, vor der britischen und der japanischen Küste wird die Menschen daran hindern, ihre Chancen, die sie in den Heimatländern einfach nicht finden können, dort zu suchen, wo diese Chancen so offenkundig besser sind. Bei diesem Versuch werden sie immer wieder alle Risiken auf sich nehmen, welche Hindernisse ihnen auch in den Weg gelegt werden. Mit welcher Begründung wollen das zivilisierte Menschen eigentlich anders einstufen denn als legitim?
Eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft lässt sich in drei Worte fassen: Kreativität durch Vielfalt. Unternehmen, die auf kulturelle Vielfalt in ihrer Belegschaft setzen (Diversity Management), führen mit 69 Prozent deutlich häufiger neue oder verbesserte Produkte ein als jene, die darauf in ihrer Personalpolitik kaum achten (48 Prozent). Das repräsentative IW-Personalpanel 2013 sagt weiter: 62 Prozent der Unternehmen lernen, dass kulturelle Vielfalt zu größerer Kreativität führt, die Attraktivität des Arbeitgebers steigert (48 Prozent) und dem harmonischen Miteinander in der Belegschaft (37 Prozent) nützt. Schon jedes zweite Unternehmen fördert deshalb kulturelle Vielfalt. Knapp ein Viertel der Unternehmen setzt auf kulturell gemischte Teams. Jedes fünfte Unternehmen versteht kulturelle Vielfalt als Teil seiner Unternehmenskultur und zieht damit Zuwanderer an. Und auch jedes fünfte Unternehmen bietet diesen Mitarbeitern eine fachliche Nachqualifizierung.
Jedes Land ist durch seine Einwanderer reicher geworden: kulturell und wissenschaftlich, sozial und künstlerisch, sportlich und wirtschaftlich, im privaten wie im öffentlichen Leben. Das ist eine ewige Wahrheit. 2014 hat sich daran nichts geändert – allem Geschrei zum Trotz. 2015 dreht sich das Rad der Geschichte weiter. Ich wette, in 10 Jahren sagen wir wie unsere Nachkommen in 20 und 100: Und sie wandern doch zu. Aktuell Meinung
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