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Flüchtlinge mit Behinderung

Menschen in einer besonders prekären Situation

Schutzsuchende mit Behinderung gehören zum Personenkreis der besonders schutzbedürftigen Menschen. Deren angemessene medizinische Versorgung ist in EU-Richtlinien verankert. In Deutschland ist diese bislang aber nur unzureichend umgesetzt.

Von Susanne Schwalgin Freitag, 30.01.2015, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 05.02.2015, 9:21 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Die Zunahme der weltweiten Flüchtlingszahlen in den letzten zwei Jahren führte auch zum deutlichen Anstieg von besonders schutzbedürftigen Menschen auf der Flucht. Dazu gehören chronisch Kranke, traumatisierte Personen, Schwangere, (teils unbegleitete) Minderjährige, ältere Menschen und Menschen mit Behinderung. Innerhalb dieser Gruppe befinden sich vor allem Flüchtlinge mit körperlicher oder geistiger Behinderung sowie schwer und schwerst mehrfachbehinderte Schutzsuchende in einer besonders prekären Situation, da ihre Aufnahme und Versorgung von besonderen Bedürfnissen bestimmt wird. Diese werden angesichts der unzureichenden Kapazitäten bei der Flüchtlingsunterbringung und -versorgung selten erfüllt.

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Sowohl die angemessene medizinische und soziale Betreuung als auch die Versorgung mit notwendigen Hilfsmitteln stellen in der Praxis vielfach Probleme dar, die spezieller und nicht selten individueller Lösungen bedürfen. Das gilt auch für die behindertengerechte und barrierefreie Einrichtung von Aufnahmeeinrichtungen und Unterkünften. Die Notwendigkeit von Mindestnormen für eine angemessene Flüchtlingsaufnahme wurde frühzeitig auf europäischer Ebene erkannt. Bereits im Jahr 2003 wurde daher die EU-Asylaufnahmerichtlinie verabschiedet. Sie bestimmt in Art. 15, dass die Mitgliedstaaten den Schutzsuchenden die erforderliche medizinische Versorgung gewähren müssen. Dies umfasst zumindest die Notversorgung und die unbedingt erforderliche Behandlung von Krankheiten.

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Die EU-Richtlinie musste in nationales Recht umgesetzt werden. Die Bundesrepublik Deutschland deckte dies durch Regelungen im Asylbewerber-leistungsgesetz (AsylbLG) ab, insbesondere in dessen §§ 4 und 6. Diese sehen eine medizinische Grund- beziehungsweise Minimalversorgung für Asylbewerber vor. Für besonders Schutzbedürftige, also auch für Menschen mit Behinderung, können sonstige Leistungen erbracht werden, „wenn sie im Einzelfall zur Sicherung der Gesundheit unerlässlich“ sind. Vielfach unterbleiben aber dadurch dringend erforderliche therapeutische Maßnahmen sowie die Versorgung mit adäquaten Hilfsmitteln oder müssen eingeklagt werden. „Dies wirkt sich insbesondere bei Kindern mit Behinderungen langfristig gesundheitsschädigend aus“, sagt Benita Eisenhardt von der Berliner Fachstelle Menschenkind, die Lücken im Versorgungssystem für Kinder mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen identifiziert und die Versorgungsakteure miteinander vernetzt.

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Menschenrechtsorganisationen sowie Sozial-rechtsexperten erachten die Umsetzung der Richtlinie durch das AsylbLG im Allgemeinen für ungenügend und bewerten die seit Jahren fehlende Versorgung von besonders Schutzbedürftigen als Menschenrechtsverletzung. „Überfüllte Massenunterkünfte und die massiv eingeschränkte Gesundheitsversorgung verletzen grundlegend die Rechte der Menschen, die nach einer Flucht vor Krieg, Terror oder Verfolgung Schutz in Deutschland suchen“, kritisierte Beate Rudolf, Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte am 8. Dezember in Berlin. Sie forderte eine „menschenrechtskonforme Ausgestaltung der Gesundheitsversorgung“ und eine Aufnahme der Schutzsuchenden in die gesetzliche Krankenkasse. Bei der Novellierung des AsylbLG durch den Bundesrat am 28. November wurde darauf bewusst verzichtet. Für Schutzsuchende besteht ein Leistungsanspruch weiterhin nur bei „akuter“ und „schmerzhafter“ Erkrankung. Die Behandlung von chronischen Erkrankungen und Behinderungen liegt weiterhin im behördlichen Ermessen. Flüchtlingsorganisationen wie Pro Asyl fordern eine Versorgung der Schutzsuchenden nach den Sozialgesetzbüchern, was auch die notwendigen Therapien und Bereitstellung von Hilfsmitteln für Behinderte berücksichtigen würde.

Eine gesetzliche Neuregelung steht im kommenden Jahr an, da die EU die bisherige Asylaufnahmerichtlinie mit Einführung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems im Jahr 2013 durch eine neue ersetzt hat. Deren Vorgaben müssen nun wiederum bis zum 21. Juli 2015 in nationales Recht übertragen werden. Die Neufassung (Richtlinie 2013/33/EU) konkretisiert die zu erbringenden Leistungen für Personen mit besonderen Bedürfnissen. Dort heißt es nun in Artikel 19.2: „Die Mitgliedstaaten gewähren Antragstellern mit besonderen Bedürfnissen bei der Aufnahme die erforderliche medizinische oder sonstige Hilfe, einschließlich erforderlichenfalls einer geeigneten psychologischen Betreuung.“ Das heißt, dass Personen mit besonderen Bedürfnissen angemessene Wohnräume, behindertengerechte Versorgung sowie prophylaktische oder die Benachteiligung ausgleichende medizinische Behandlung gewährt werden müssen.

Expertenorganisationen und soziale Dienste – wie die Interessensvertretung Selbstbestimmt Leben e. V. oder das Berliner Netzwerk für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge am Zentrum für Flüchtlingshilfen und Migrationsdienste – fordern mit Verweis auf die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN-BRK), die Aufnahme von Menschen mit Behinderung in den Aufnahmeeinrichtungen institutionell und finanziell aufzufangen. Außerdem sei es notwendig, den Status der körperlichen oder geistigen Behinderung von Asylbewerbern bei der Erstaufnahme gesondert zu erheben, um eine angemessene medizinische und gesundheitliche Versorgung gewährleisten zu können. Ferner müssten die Aufnahme-, Wohn- und Versorgungseinrichtungen für besonders schutzbedürftige Asylsuchende barrierefrei eingerichtet werden, um eine angemessene Versorgung und Behandlung dieser Menschen zu gewährleisten. Grundsätzlich sind bei der Gesundheitsversorgung auch migrationsspezifische, kulturell bedingte und soziale Einflussfaktoren zu berücksichtigen.

Um die besonders prekäre Situation von Schutz-suchenden mit Behinderung rechtlich anzuerkennen und deren zusätzliche Diskriminierung zu verhindern, müssen die Vorgaben der EU-Aufnahmerichtlinie in vollem Umfang und im Einklang mit europäischem Recht umgesetzt werden. Dafür bedarf es dringend einer Modernisierung des Asylverfahrens und einer Anpassung des AsylbLG. Andernfalls wird diesen besonders Schutzbedürftigen weiterhin ihr Menschenrecht auf Gesundheit vorenthalten. Gesellschaft Leitartikel

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