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Interview mit Naika Foroutan

„Ressentiments gegen Muslime haben seit Jahren Kontinuität“

Das im Jahr 2014 neu gegründete Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) stellte im Dezember 2014 die Studie "Deutschland postmigrantisch" vor. Institutsdirektorin Dr. Naika Foroutan im Gespräch mit "Migration und Bevölkerung" über die Ergebnisse der Untersuchung:

Von Rainer Ohliger Dienstag, 10.02.2015, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 15.02.2015, 18:31 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Frau Foroutan, Sie bezeichnen Deutschland als postmigrantisch. Was bedeutet das? Ist die Migration vorbei?

Naika Foroutan: Nein, postmigrantisch ist eine Anleihe aus der Kulturwelt. Der Begriff wurde von der Intendantin am Maxim-Gorki-Theater Berlin, Shermin Langhoff, geprägt, die ihn in Stücken über die Gegenwart kultureller Vielfalt in Deutschland verwendet hat. Er bedeutet nicht, dass es keine Migration mehr gibt, vielmehr, dass sich die Gesellschaft in einem Zustand befindet, in dem Migration und die Folgeeffekte von Migration alltäglich und allgegenwärtig geworden sind. Migration ist ein wesentlicher und strukturbildender Teil der Gesellschaft. Nach der Migration und mit der Erkenntnis, dass diese dauerhaft die Gesellschaft prägen und verändern wird, müssen fundamentale Dinge neu ausgehandelt werden, zum Beispiel Machtkonstellationen, Quoten, soziale Positionen und dergleichen. Diese Aushandlungsprozesse sind konfliktbehaftet. Eine stärkere Repräsentation, Aufstiege und Positionierungen von Migranten bringen starke Gegenströmungen hervor. PEGIDA ist dafür ein Beispiel.

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Was genau haben Sie in Ihrer Studie untersucht?

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Download: Die Studie „Deutschland postmigrantisch I. Gesellschaft, Religion, Identität – Erste Ergebnisse“ kann kostenlos heruntergeladen werden.

Foroutan: Kurz gesagt hatten wir drei thematische Blickwinkel. Wir haben in der Studie erstens die Narrationen des Deutschseins, zweitens die Zugehörigkeits-, Ausschluss- und Teilhabekriterien sowie drittens das Wissen über und die Kontakte mit Minderheiten – in dem Fall mit Muslimen, als Vertreter der größten religiösen Minderheit in Deutschland – erhoben und untersucht.

Und was haben Sie dabei festgestellt?

Foroutan: Lassen Sie mich mit der Frage nach Zugehörigkeit und Identität anfangen. Da zeigt sich ein überaus ambivalentes Bild. Man kann sagen, dass es über die Herkunftsgruppen hinweg ein positives Deutschlandgefühl gibt, das von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund geteilt wird. 85 % der Befragten gaben an, dass sie Deutschland liebten. Immer mehr Menschen sehen sich selber als deutsch, selbst wenn ihre Vorfahren nicht in diesem Land lebten. Dies ist eine grundlegend neue Situation in Bezug auf die Definition nationaler Identität.

Gibt es keine gebrochene nationale Identität mehr als Folge von Nationalsozialismus, Zweitem Weltkrieg und Holocaust?

Foroutan: Auf die Frage nach historischen Ereignissen, die den Menschen in den Sinn kommen, wenn sie an Deutschland denken, nennt knapp die Hälfte der Befragten den Mauerfall und die Wiedervereinigung. Nur 16 % denken an den Nationalsozialismus oder den Zweiten Weltkrieg, nur 0,5 % an den Holocaust. Es gibt also mehrheitlich positive Vergangenheitsbezüge. NS-Geschichte und Holocaust sind nicht mehr der vorrangige Bezugspunkt nationaler Identität. Das ist ein überraschendes Ergebnis.

Ist der Zugang zur deutschen Gesellschaft eher offen?

Foroutan: Er ist einerseits offen, andererseits exklusiv. Offenheit besteht bei der prinzipiellen Möglichkeit für Migranten, sich selbst als deutsch zu bezeichnen und damit auf Akzeptanz zu stoßen. Geschlossenheit zeigt sich hingegen bei der Einschätzung der Mehrheitsgesellschaft vor allem mit Blick auf Sprache, Herkunft und muslimische Religion. Für die Mehrheit gehört zum Deutschsein erst einmal, Deutsch sprechen zu können (das meinen 97 % der Befragten) und die deutsche Staatsangehörigkeit zu haben (79 %). Für 41 % ist es aber auch wichtig, Deutsch nicht nur richtig, sondern auch noch akzentfrei zu sprechen. 37 % meinen, es gehört dazu, deutsche Vorfahren zu haben, und 38 % finden, Deutschsein und Kopftuchtragen seien unvereinbar.

Wie wird der Islam und wie werden Muslime wahrgenommen? Gehört der Islam zu Deutschland?

Foroutan: Erst einmal gilt es festzustellen, dass 70 % der Befragten den Anteil der Muslime im Land stark überschätzen. Ein knappes Viertel meinte, der Anteil liege bei 21 % und mehr. Tatsächlich sind es lediglich 4 bis 5 %. Dann gibt es strittige Themen. In der Befragung forderten 48 % das Kopftuchverbot für Lehrerinnen, 49 % lehnten es ab. Die Einschränkung von Moscheebauten wurde von 42 % gefordert und von 54 % abgelehnt. Die Beschneidung wird von 60 % der Befragten abgelehnt.

Wie interpretieren Sie die Ergebnisse der Studie im Lichte der jüngsten Entwicklungen und Ereignisse, der PEGIDA-Proteste in Dresden und andernorts sowie der Attentate in Paris?

Foroutan: Das wäre jetzt Spekulation oder reine Interpretation. Die Datenerhebung wurde im April 2014 abgeschlossen, also deutlich vor beiden Ereignissen, sogar noch vor der Debatte um den Islamischen Staat (IS). Man kann sicher sagen, dass es seit Jahren eine Kontinuität von starken Ressentiments gegenüber Muslimen gibt. Das belegen zahlreiche Studien. Wir erfahren aber im Moment eine neue Qualität. Die konkrete Bereitschaft zu Gewalt gegenüber Muslimen scheint sich erhöht zu haben, was der Anstieg von Brandanschlägen auf Moscheen in den letzten Jahren verdeutlicht. Parallel lässt sich auch eine Zunahme radikalisierter Islamisten nachweisen. Der IS war sicherlich für die negative Präsenz des Islam im öffentlichen Raum ein Auslöser.

Bei PEGIDA kommen verschiedene Dinge zusammen. Da geht es nicht allein um Migration und Muslime. Das Gedenken an den Mauerfall, das Verhältnis von Ost- zu Westdeutschen, die Weitergabe von Stereotypen, aber vor allem die Externalisierung von Feindbildern auf Seiten eines Teils der Ostdeutschen spielen eine Rolle. Der Staffelstab der Minderheitenrolle wird von einem Teil der Ostdeutschen an Muslime und Migrationsminderheiten weitergereicht.

Wie deuten Sie die Ergebnisse der Studie?

Foroutan: In der postmigrantischen Gesellschaft ändern sich die gesellschaftlichen Trennlinien: Früher wurden sie stark durch die Herkunft bestimmt, heute durch die Haltung zu Migration. Die Gesellschaft in Deutschland beschäftigt sich fortwährend mit dem Thema. Dabei lassen sich strukturell zwei unterschiedliche Lager ausmachen. Jenes, das einem Homogenitätspostulat folgt. Und jenes, das auf Diversität setzt. Zu Ersterem gehören die gegensätzlichen Lager der PEGIDA-Anhänger einerseits und der Salafisten und Islamisten andererseits. Beide verfolgen das Ziel einer durch religiöse, ethnische oder nationale Homogenität geprägten Gesellschaft mit einer Sehnsucht nach Eindeutigkeit. Das andere Lager, wohl eine relative Mehrheit der deutschen Gesellschaft, setzt auf Pluralität, Diversität und den Wettstreit von Meinungen und Ideen. Dazwischen gibt es eine unentschiedene Mitte, die nach beiden Seiten mobilisierbar ist – die Herausforderung der Politik aber auch der Gesellschaft wird darin bestehen, die rechtspopulistische Mobilisierung aufzuhalten. Interview Leitartikel

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